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WM im StraßenradsportEhrlich und hart

Natürlich möchte sich Tadej Pogačar für das Zeitfahrdebakel bei der WM revanchieren. Beim bergigen Straßenrennen der Elite in Kigali gilt er als Favorit.

Trainingsausfahrt in Kigali: Tadej Pogačar (in Grün) führt eine Gruppe Kollegen an Foto: Jan de Meuleneir/Photo News/imago

Kigali taz | Revanche ist das große Motto vor dem WM-Straßenrennen. Tadej Pogačar will die Schmach vom Zeitfahren abschütteln. Da verpasste er nicht nur das fest eingeplante Podium. Hauptrivale Remco Evenepoel holte ihn sogar ein. Eine Demütigung für den Slowenen. Und ein kräftiger Ansporn für das Straßenrennen am Sonntag. „Ich denke, das macht ihn noch wütender und motivierter, zu beweisen, dass er die Nummer eins im Radsport ist“, meinte sein Landsmann ­Matej Mohorič. Trotz der bitteren Niederlage vom letzten Sonntag ist Pogačar weiter der Top­favorit.

Der 267,5 km lange Kurs in Ruanda mit 5.475 Höhenmetern ist dem so kletterstarken wie explosiven wie auch extrem ausdauernden Titelverteidiger regelrecht auf den Leib geschrieben. „Es ist sicherlich das härteste Rennen meiner Karriere“, blickte der deutsche Starter Jonas Rutsch auf den Sonntag voraus. „Mit über 5.000 Höhenmetern, dem ewigen Auf und Ab sowie kaum einem Punkt, um dich zu erholen, ist es ein extrem ehrliches Rennen. Hinzu kommt noch die Hitze. Da kann sich niemand verstecken“, meinte Teamkollege Felix Engelhardt in einer Presserunde.

Die Deutschen rechnen sich auch angesichts der nur vier Mann, die an den Start gehen, bestenfalls Außenseiterchancen aus. „Wichtig ist, dass wir mit einer guten Moral reingehen. Wir haben nicht die Rennfahrer, die jetzt von Sieg zu Sieg gefahren sind“, ordnete Nationaltrainer Jens Zemke die Ausgangslage ein.

Eine Frage der Kontrolle

Bei den Fahrern, die mit breiter Brust nach Kigali gereist sind, bezog er sich neben Tour-de-France-Sieger Pogačar auch auf den frisch gebackenen Zeitfahrweltmeister Evenepoel, den zweifachen Vuelta-Etappensieger Juan Ayuso und den Giro-Zweiten Isaac Del Toro. Der Mexikaner unterstrich seine brillante Spätform mit fünf Siegen bei sieben Starts im Monat September.

Ohne klare Zielvorgaben will Zemke sein Vier-Mann-Team aber auch nicht ins Rennen schicken. „Ich denke mal, wir können die Sache ein bisschen clever angehen. Wir sind nicht das Team, dass das Rennen kontrollieren muss. Wir können vielmehr davon profitieren, dass wir vier Fahrer haben, die ziemlich weit kommen können.“

Rennkontrolle wird vor allem von der slowenischen Equipe um Pogačar und der belgischen um Evenepoel erwartet. Die Slowenen haben sogar den Vorteil, mit neun Mann anzutreten wegen des extra Startplatzes für den amtierenden Weltmeister. Trotzdem ist man dort vorsichtig. „Tadej ist es gewohnt, ein komplettes Team um sich zu haben. In Ruanda wird er starke Unterstützung haben, aber nicht die totale Kontrolle wie wenn er mit UAE Emirates fährt. Das ist die Herausforderung und die Schönheit der Weltmeisterschaften. Alles kann passieren“, meinte Sloweniens Nationaltrainer Andrej Hauptman vorab.

Vielleicht setzt Pogačar auch die Ungewissheit über seine Form nach dem Zeitfahrdebakel zu. Er selbst hatte das vor allem auf krankheitsbedingt eingeschränktes Zeitfahrtraining zurückgeführt. Falls Pogačar schwächelt, hat Slowenien aber noch weitere Asse im Ärmel. „Wir haben ein sehr starkes Team, nicht nur Tadej. Matej Mohorič hat in Rennen wie Mailand–Sanremo oder bei der Tour immer wieder Großes gezeigt.

Und dann haben wir noch Primož Roglič. Alle haben die Freiheit, aggressiv zu fahren, wenn sich die Gelegenheit ergibt“, meinte Hauptman. Bei all diesen Pfeilen im Köcher liegt es auch an dem Coach, die richtige Balance zu finden. „Wir können nicht nur für Tadej fahren und auch nicht nur für Primož. Wir müssen klug bleiben und uns an die Rennsituation anpassen“, stellte er sich selbst als Aufgabe.

Es drängen sich aber auch andere Szenarien auf. Weil kein Nationalteam die Art von totaler Kontrolle ausüben kann wie Team UAE bei den Grand Tours, bietet sich auch für Ausreißer die Chance, noch vor dem Mount Kigali zu attackieren. „Es kann schwer werden, dann jemanden zurückzuholen“, meinte Belgiens Nationalcoach Serge Pauwels. Er befürchtet auch, dass Pogačar schon dort zu einem mehr als 100 km langen Soloritt aufbrechen könnte. Für diesen Fall hofft er auf Verbündete wie etwa die Spanier um Ayuso. Wer sich zu diesem Zeitpunkt vor Pogačar in einer Ausreißergruppe und auch auf dem Gipfel des Mount Kigali noch im Windschatten des Slowenen befindet, könnte wiederum von dieser Situation profitieren, mit Pogačar kooperieren und sich mit Silber belohnen.

Das wäre wohl die reellste Chance der Deutschen.

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