WM-Doppelvergabe durch die Fifa: Die Fußballverweser
Wie der Fußballverband Fifa alle Reformbestrebungen mit der WM-Doppelvergabe 2030 und 2034 über den Haufen wirft. Im Fokus: Ausrichter Saudi-Arabien.
Mal ganz grundsätzlich: Was ist eigentlich diese Fifa?
Die Fifa, das ist so etwas wie die Weltregierung des Fußballs. Der Fußball ist eigentlich ein Spiel. Aber weil es das wichtigste Spiel auf der ganzen Welt ist und jeder schon einmal gegen einen Ball getreten hat, gibt es eben diese Fifa. Sie hat 211 Mitglieder, sogar mehr als die Vereinten Nationen (193). Das liegt daran, dass auf allen Kontinenten und allen Gegenden Fußball gespielt wird, in Timbuktu, Wladiwostok, Gaborone, Altötting oder Reykjavík. Überall trifft man diese Fifa an, weil sie sagt, Fußball sei nun mal ihr Ding und niemand könne den Fußball besser verwalten. Die Fifa organisiert nicht nur die weltgrößten Turniere, sie versorgt ihre Mitglieder auch zuverlässig mit Geld und gibt ihnen Posten in Kommissionen, die in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.
Jede und jeder darf irgendwo mitmachen, Spesen abrechnen und dann sagen, dass es der Fifa immer und überall um diese vier Dinge gehe: Transparenz, Objektivität, Nachhaltigkeit und Integrität. Die Fifa sagt, sie möchte den Fußball jeden Tag etwas besser machen und freundschaftliche Beziehungen zu humanitären Zwecken in allen Gesellschaften fördern. Das klingt super und steht auch so im Fifa-Statut, aber klappen tut das nicht immer. Die Fifa glaubte, sooo gut zu sein, dass die bösen Dinge nicht mehr auffallen. Bis zum Jahr 2015 gab es deswegen in der Fifa ganz schreckliche Funktionäre. Es wurde geschummelt und gemauschelt. Etliche Fußballverweser wurden verhaftet, weil sie nicht mehr an den Fußball gedacht hatten, sondern nur noch an sich. Niemand kontrollierte sie. Die Fifa stand kurz davor, wie eine kriminelle Vereinigung behandelt zu werden. Wie die Mafia. Wie die Cosa Nostra. Dann kam Gianni Infantino.
Gianni wer?
Den Anfang einer neuen Zeit hat dieser Gianni Infantino angekündigt, als er zum Fifa-Präsidenten gewählt wurde. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Sepp Blatter kam der neue Weltverbandspräsident schließlich aus dem Nachbardorf im schweizerischen Wallis. Er hat viel von Reformen und einer besseren, ehrlicheren Fifa gesprochen. Laut dem neuen Fifa-Statut sollte er vornehmlich die Fifa nach außen präsentieren. Er sollte wie Blatter reden und lächeln dürfen, aber nicht regieren. Die wichtigen Entscheidungen sollten künftig andere treffen, die Macht auf mehrere Schultern verteilt werden. Reden und lächeln wie Blatter oder ein Bundespräsident kann Infantino gut.
Er sagt so Sätze wie: „Fußball ist Freude, Glück, Leidenschaft, Liebe und Frieden.“ Zur geplanten WM 2030, die erstmals in sechs verschiedenen Ländern stattfinden soll, also in Spanien, Portugal, Marokko, Uruguay, Paraguay und Argentinien, erklärte er: Das ist eine großartige Botschaft des Friedens, der Toleranz und der Integration.“ Und er spricht gern über seine starken Gefühle, die ihn mit anderen verbindet. Die Weltmeisterschaft 2022, sagen Kritiker, hätte nie nach Katar vergeben werden dürfen, weil dort Wanderarbeiter, Homosexuelle und Frauen schlecht behandelt werden. Infantino ficht so etwas nicht an. Er verkündete dort auf einer bizarren Pressekonferenz unverdrossen: „Heute fühle ich mich homosexuell. Heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant.“ Auf Nachfrage fühlte er sich auch als Frau. Statuten hin oder her, Gianni Infantino regiert unterdessen auch wie einst Blatter.
Er verteilt geschickt Geld, Ämter und Weltmeisterschaften und erhält dafür Zustimmung. Nicht immer gehen alle Pläne auf. Einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine während der WM 2022 gab es nicht. Weltmeisterschaften alle zwei Jahre, wie von ihm gewünscht, gibt es auch noch nicht. Aber der zweiten Weltmeisterschaft in der Wüste steht nichts mehr im Wege.
Wie kann man Fußball in der Wüste spielen?
Früher gab es Kamelrennen und Falknerei in der Wüste, jetzt eben auch Fußball, weil das die Herrscherfamilie al-Saud so will. Nach denen ist ja ein ganzes Land benannt. Klingt verrückt, ist aber so. Die haben verdammt viel Geld. Es kommt als Öl aus der Erde, und das kann man teuer in der Welt verkaufen. Mit den Dollars shoppt man dann auch alles für den Fußball: Spieler, Stadionbauer, Infrastruktur, eine Liga.
Der Nachbar, also Katar, hat schon einmal gezeigt, wie das geht, 2022. In Katar kommt zwar eher Gas aus der Erde, aber das Prinzip ist das gleiche. Im Westen sagt man kulturelle Aneignung zu so einem Vorgehen: Man übernimmt etwas, was andere erfunden haben. Mit Geld geht das prima. Den Fußball hat natürlich die Fifa erfunden, also fast, ein Patent für die Ausrichtung der Weltmeisterschaften haben sie auf jeden Fall. Monopolist ist so jemand. Oder Allesbestimmer. So ein Allesbestimmer kann natürlich auch bestimmen, dass der Fußball in die Wüste kommt, schließlich ist ja auch ein Cristiano Ronaldo in die Wüste gegangen oder ein Lionel Messi als Werbeträger.
Nun ist es nicht so, dass Ronaldo sich über Dünen quälen muss oder vor Hitze umkommt, er bewegt sich wie die meisten Saudis in klimatisierten Palästen aus Stahl und Beton. Selbst durch die Arenen weht eine frische Brise, erzeugt von sehr vielen Klimaanlagen. Um diesen Luxus zu genießen, darf man nichts gegen die al-Sauds sagen. Wer das trotzdem tut, zum Beispiel gegen Mohamed bin Salman, den saudischen Oberchef, der wird schon mal – Achtung! – in einem saudischen Konsulat in Ankara, also in der Türkei, äh, zersägt oder für Jahre inhaftiert. Frauen sind nicht gleichberechtigt, müssen sich in der Öffentlichkeit verschleiern, dürfen erst seit einigen Jahren Auto fahren – und Schwule müssen ihr Schwulsein verheimlichen.
Hat denn niemand etwas dagegen, dass da gespielt wird?
Es mag schon sein, dass sich der eine oder andere Verband nicht ganz wohl fühlt mit der Entscheidung für Saudi-Arabien. Aber deswegen gleich dagegen stimmen? Außerdem ist das gar nicht so einfach. Dafür hat die Fifa Sorge getragen. Wie? So wie die Fifa das eben macht: indem sie möglichst vielen etwas gibt, damit Saudi-Arabien etwas gegeben werden kann. Die WM-Turniere der Jahre 2030 und 2034 werden also in einer gemeinsamen Abstimmung vergeben.
Wer gegen Saudi-Arabien votiert, stimmt auch gegen die WM-Bewerbung für das Jahr 2030. Die kommt gleich aus sechs Mitgliedsverbänden und soll, wie schon erwähnt, in Spanien, Portugal, Marokko, Paraguay, Uruguay und Argentinien stattfinden. Gleich drei Kontinentalverbände auf einmal werden mit dem wertvollen Turnier bedacht. Und welcher afrikanische, europäische oder südamerkanische Verband würde wohl gegen eine solche WM stimmen, nur um zu verhindern, dass der Fußballzirkus zwölf Jahre nach der Katar-WM schon wieder in der Golfregion ausgetragen wird? Eben.
Eigentlich hatte die Fifa sich in ihre reformierte Satzung geschrieben, keine Weltmeisterschaften im Doppelpack mehr zu vergeben. Das hatte man nämlich schon einmal gemacht, als Russland und Katar am selben Tag bedacht worden sind. Da sei es doch arg korrupt zugegangen, hieß es. Aber so eine Satzung lässt sich ändern. Und so geschah es auch. Was sich die Fifa und ihr Präsident Gianni Infantino dabei gedacht haben, hätte man vielleicht gerne erfahren. Alle kritischen Fragen dazu blieben aber nach der Satzungsänderung einfach im Raum stehen. Der Präsident gab keine Pressekonferenz. Wozu auch? Es war ja alles entschieden?
Und da macht der Deutsche Fußball-Bund mit?
Der DFB wollte lange nichts Böses über die Weltmeisterschaft in Katar sagen. Franz Beckenbauers Einschätzung zur Menschenrechtslage vor Ort wurde berühmt: „Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen da frei rum.“ Kurz vor der WM entdeckte der Verband, dass Kritik auch gut ankommen kann. DFB-Nationalspieler wurden gefilmt, wie sie Großbuchstaben auf elf schwarze Hemden pinselten und sich später zusammenstellten. „Human rights“ war so zu lesen.
Die One-Love-Protestbinde durfte bei der WM dann wegen der bösen Fifa nicht getragen werden. Dafür hielt sich die DFB-Elf beim Foto vor einem Spiel die Münder zu. Mittlerweile hat der DFB seinen Spaß an Protestaktionen verloren. Wie der Verband zu der voraussichtlichen WM-Vergabe 2034 nach Saudi-Arabien steht, interessiert viele schon seit einem Jahr. Auf die jüngste Anfrage der taz diese Woche hieß es: „Eine finale Entscheidung darüber, wie sich der DFB positioniert, ist noch nicht erfolgt, weil zur genannten Thematik noch weitere Gespräche anstehen.
Das DFB-Präsidium wird sich mit der Angelegenheit im zeitlichen Vorlauf des Fifa-Kongresses final befassen und anschließend die Öffentlichkeit informieren.“ Wenig überraschend verkündete DFB-Präsident Bernd Neuendorf dann am Freitag, der DFB werde auch für die WM in Saudi-Arabien stimmen. Ein Nein hätte bedeutet, dass sich der Verband zugleich gegen die Co-Gastgeberschaft von Portugal und Spanien bei der WM 2030 entschieden hätte. DFB-Chef Bernd Neuendorf hatte ohnehin in der Vergangenheit alle Beschlüsse im Fifa-Rat mitgetragen, welche der WM in Saudi-Arabien den Weg ebneten.
Zur Statutenveränderung, welche erst die Doppelvergabe von zwei Weltmeisterschaften ermöglichte, erklärte Neuendorf am Freitag: „Warum soll ich aufstehen? Am Ergebnis hätte und würde es nichts ändern.“ Neuendorf erhält für seine Erscheinen im Fifa-Rat übrigens eine nette Vergütung: 250.000 US-Dollar. Darüber hinaus erhält jedes Mitglied für jeden Arbeitstag ein Tagegeld von 250 US-Dollar – oder 150 US-Dollar, falls die Fifa, wie es heißt, „für Frühstück und Mittag- oder Abendessen aufkommt“. Ein Boykott der WM in Saudi-Arabien, argumentierte Neuendorf, hätte den Verband in die Isolation geführt. So habe man jetzt die Möglichkeit, gemeinsam mit der Fifa Einfluss darauf auszuüben, dass sich die Menschenrechtslage dort verbessere.
Der DFB ist wieder voll auf Fifa-Linie: Eine Fußball-WM führt zu einer verbesserten Menschenrechtslage. In vielen Ländern warten die Menschen nun sehnlichst auf dieses beglückende Turnier.
Und wie wird abgestimmt?
Die Fifa veranstaltet am Mittwoch einen Onlinekongress, also so ein Zoom-Ding. Die Vergabe der Turniere gilt nur noch als Formsache, nachdem Gianni Infantino vor Jahresfrist schon mit seinen Plänen vorgeprescht war und Fakten geschaffen hat. Der Fifa-Kongress fügt sich nun seinem Willen. Die Abstimmung wird per Akklamation erfolgen, die Mitglieder werden also vor ihrem Computermonitor die Hand heben oder ein entsprechendes Emoji anklicken. Jeder kann sehen, wie der andere abstimmt.
Ein geheimes Votum ist nur bei der Wahl eines Präsidenten vonnöten, aber auch das wurde in der Vergangenheit schon, äh, weggeklatscht. Wenn es nur einen Kandidaten gibt, den allmächtigen Infantino, dann ist das doch viel praktischer, weiß die Fifa. „Kann durch Handerheben keine sichere Mehrheit für die Annahme eines Antrages festgestellt werden, muss die Abstimmung durch Namensaufruf erfolgen“, heißt es in den Fifa-Statuten. Aber mal ehrlich: Niemand rechnet mit Widerspruch. Schon wenige Gegenstimmen kämen einer Sensation gleich.
Wird die Fifa nun immer einiger und größer?
Wo soll das denn hinführen? Die Fifa wächst und wächst. Infantino-Vorgänger Sepp Blatter prophezeite einst, es werde irgendwann interplanetarische Wettbewerbe geben. Diese Erde ist einfach zu klein für die Fifa. Nach jedem Kassensturz heißt es: Rekordeinnahmen! 7,5 Milliarden Euro strich der Weltverband zwischen 2019 und 2022 ein. Rekord! Für die Periode zwischen 2023 und 2026 stellte Infantino 11 Milliarden Euro in Aussicht. Rekord! Fast die Hälfte aller Einnahmen speist sich aus den TV-Geldern.
Je mehr Länder mitmachen bei einer WM, desto profitabler wird das Geschäft. Bei der nächsten Weltmeisterschaft 2026 wird sich die Teilnehmerzahl (48 Teams) im Vergleich zur WM 1978 in Argentinien verdreifacht haben. Kaum ein Land dieser Erde schafft es noch, diese Mammutveranstaltung alleine zu stemmen. Lediglich Autokraten, die sich ebenfalls der Gigantomanie verpflichtet fühlen, bekommen das noch exklusiv hin. Für die Fifa ist das kein Problem. Die Co-Gastgeberschaft wird als Beitrag zur Völkerverständigung verkauft. Die Fans, die bei der WM 2026 in Kanada, USA und Mexiko dabei sein wollen, müssen dann auch mal 4.000 Flugkilometer überbrücken.
Vier Jahre später wird dann eifrig zwischen Afrika, Südamerika und Europa gependelt. Ist das nicht schlecht für die Umwelt und beschleunigt den Klimawandel? Keine Sorge, die Fifa wird rechtzeitig zu jedem Turnier auf Broschüren ihre Nachhaltigkeitsstrategie vorstellen. Vermutlich werden noch mehr Bäumchen gepflanzt werden, und natürlich ist die Fifa dem UN Sport Climate Action Framework beigetreten, das bis zum Jahr 2040 auf Klimaneutralität setzt. Zudem gibt es doch diesen Ablasshandel mit der CO2-Kompensation. Und wer jetzt schon in der Wüste Weltmeisterschaften austrägt, mag man sich bei der Fifa denken, dem muss vor der Zukunft nicht bange sein.
Wenn die Fifa die Fehlentwicklungen im Fußball vorantreibt, warum dann nicht einfach andere Wege gehen?
Theoretisch kann sich jederzeit ein Alternativverband gründen und der Fifa Konkurrenz machen. Es gibt etwa das Nouvelle Fédération-Board (NF-Board) oder die Confederation for Independent Football Associations (Conifa). Beide Weltverbände repräsentieren Regionen, die keinen Status als souveräner Staat besitzen und daher kein Fifa-Mitglied sind. Beide Organisationen veranstalten eigene Weltmeisterschaften, wie den Viva World Cup oder den Conifa World Cup. Dort nehmen dann Regionen wie Kurdistan, Lappland, Quebec, die Grafschaft Nizza, Tibet, West-Papua, Bergkarabach oder Nordzypern teil. Diesen Weltverbänden könnten sich Deutschland, Wales, Südafrika oder Neuseeland anschließen. Und schon würde nicht mehr die Fifa den Ton angeben im Weltfußball.
Klingt nett, ist aber so unwahrscheinlich wie ein Sieg von Liechtenstein bei der WM 2034. Leider.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“