WM 2034 in Saudi-Arabien: Megaevents und autoritäre Peitsche
Neue Industriezweige und gesellschaftliche Reformen: Saudi-Arabien erfindet sich gerade neu. Gleichzeitig regiert der Kronprinz Mohammed bin Salman weiter mit harter Hand.
Neue Industriezweige – Sport und Unterhaltung, aber auch erneuerbare Energien oder künstliche Intelligenz – werden gefördert. Der Tourismussektor wird ausgebaut. Um Gäste anzulocken, werden im ganzen Land von oben herab Großprojekte mit unzähligen Hotelanlagen geplant. Finanziert wird das durch einen milliardenschweren Staatsfonds, auf dessen Startfinanzierung private Investoren folgen sollen.
Die Wirtschaftsstrategie wird begleitet von gesellschaftlichen Reformen: Um Gelder und Gäste ins Land zu holen und die Kreativindustrie ausbauen zu können, hat sich das Land von seiner erzkonservativen Vergangenheit gelöst. Der streng sunnitische wahhabitische Islam, der seit den frühen achtziger Jahren tonangebend war, wird immer weiter zurückgedrängt.
Dass Jennifer Lopez letzten Monat vor einem Bühnenaufbau auftrat, der unverkennbar an die Kaaba in Mekka, das höchste Heiligtum im Islam, erinnerte, stieß zwar auf Kritik. Vor wenigen Jahren wäre das jedoch völlig unvorstellbar gewesen. Überhaupt: Konzerte gab es kaum, auch keine Kinos. Mittlerweile erregt ein Filmfestival in Jeddah internationale Aufmerksamkeit, die Filmindustrie wird staatlich gefördert und eine Uni bietet ein Film-Studium an.
Natürlich geht es dabei um mehr: Das Ganze dient auch der Sicherung der autoritären Herrschaft und ist somit durchaus als Antwort auf den Arabischen Frühling zu verstehen. Während sich das Land neu erfindet, regiert MBS mit harter Hand. 2017 wurde er in einem Coup durch seinen Vater zum Kronprinzen gemacht. Der Kronprinz, den MBS ersetzte, wurde unter Hausarrest gestellt und ist seitdem verschwunden. Konkurrierende Machtzentren in der Familie wurden ausgeschaltet.
Noch autoritärer, nicht demokratischer
Zwar würde MBS heute vermutlich alles tun, um einen spektakulären Mord wie den am Journalisten Jamal Khashoggi 2018 zu verhindern. Dieser soll von saudischen Agenten in Istanbul bei lebendigem Leibe zersägt worden sein. Aber unter dem Radar bleiben Regimegegner*innen und Aktivist*innen auch heute noch weggesperrt. Letztes Jahr wurde ein pensionierter Lehrer etwa für kritische Social-Media-Posts zum Tode verurteilt. Saudi-Arabien ist noch autoritärer geworden, nicht demokratischer.
Doch all die Entwicklungen im Land als Kosmetik abzutun und allein mit dem Ziel der Herrschaftssicherung zu erklären, wird der Realität nicht gerecht. Wirtschaft und Gesellschaft sind tatsächlich im Wandel. Und trotz nicht-existenter politischer Freiheiten begrüßen breite Bevölkerungsschichten dies. Viele Neuerungen – autofahrende Frauen, die Musik-, Comedy- und Kunstszene – sind genuine, ursprünglich von unten angestoßenen Entwicklungen. Schon lange bevor MBS an die Macht kam, drängten Frauen auf die Straßen sowie auf den Arbeitsmarkt, forderten progressive Kulturschaffende mehr Freiheiten.
Schülerinnen und Schüler lernen mittlerweile übrigens Chinesisch, um die geopolitische und wirtschaftliche Neuausrichtung zu flankieren. Außenpolitisch verfolgt MBS eine Null-Probleme-Politik. Mit dem einstigen Erzfeind Iran kommt man wieder aus, an Israel nähert man sich trotz Gaza-Krieg an, man kann mit den USA, aber auch mit China und Russland. Seinen Reichtum und die Vorteile, die der Führung durch ihre autoritäre Herrschaft entstehen, nutzt das Land aus. Mit diesem Kurs wähnt es sich auf der Überholspur – und ist es vielleicht auch.
Dass nicht alle der aktuell geplanten Riesenprojekte umgesetzt werden, mag sein. Natürlich klingt es absurd, dass bald schon eine Schnellbahn in der noch zu bauenden Rotmeer-Planstadt „The Line“ 170 Kilometer in 20 Minuten zurücklegen soll. Aber die Saudis haben mit der sogenannten „Vision 2030“ eine Entwicklungsstrategie – und die wird von vielen im Land unterstützt und gefeiert. Dazu gehören auch all die Megaevents wie Live-Konzerte von J.Lo oder eben die WM 2034.
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