WDR-Podcast „Der Schuss von Porz“: Ein Abend in Deutschland
Ein CDU-Lokalpolitiker schießt auf einen Jugendlichen und beleidigt ihn rassistisch. Ein WDR-Podcast versucht nun, die Tat zu rekonstruieren.
Der Kölner Stadtteil Porz, Dezember 2019. Vier junge Männer Anfang 20, die abhängen, und ein Rentner, der sich in seiner Nachtruhe gestört fühlt. Eine Geschichte, die in Deutschland wohl jeden Abend irgendwo so passiert. Doch diesmal zückt der Rentner eine Waffe und schießt. Die jungen Menschen erzählen, sie seien davor rassistisch beleidigt worden. Der Schuss trifft den 20-jährigen Krys am Oberarm. Krys’ Familie stammt aus Polen. Der Schütze, stellt sich etwas später heraus, ist der kommunale CDU-Politiker Hans-Josef Bähner.
Das ist die Ausgangslage des WDR-Podcasts „Der Schuss von Porz – Ein Politiker drückt ab“. Es geht darin um die Frage: War der Schuss rassistisch motiviert? Zehn Monate lang haben die Journalistinnen Stefanie Delfs und Antonia Märzhäuser recherchiert. Zur Tatnacht und vor allem zu all dem, was danach folgte: Der damalige CDU-Generalsekretärs Paul Ziemiak schrieb einen verurteilenden Tweet, der wieder gelöscht wurde. Der Medienanwalt und damalige Geschäftsführer der Werteunion, Ralf Höcker, der sonst nur prominente Politiker:innen wie Alice Weidel oder Hans-Georg Maaßen vertritt, schaltete sich ein. Er setzte die lokale Presse unter Druck, den Namen des Schützen nicht zu nennen. Ein Bündnis gründete sich neu, für die der Fall einer von vielen ist, auf der langen Liste rechter Gewalt. Und die vier jungen Menschen merkten plötzlich, dass ihnen die Schuld für die Tat in die Schuhe geschoben werden soll.
Der Podcast führt die Hörer:innen gut recherchiert durch zwei Jahre Gerichtsverfahren, Nachforschungen und lokale Berichterstattung. Es geht dabei nicht nur um den CDU-Politiker, der wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und unerlaubten Waffenbesitzes angeklagt ist. Es geht auch um einen Stadtteil, der für so viele Stadtteile in Deutschland steht, in dem zwei unterschiedliche Milieus nebeneinander her leben, aber nicht miteinander: junge migrantische Menschen und alteingesessene Menschen, die sich regelmäßig am Stammtisch treffen, die sich selbst nicht als rassistisch bezeichnen würden, „aber …“.
Direkt, sachlich, kaum reißerisch wird die Geschichte nacherzählt. Manchmal mit einem gewollten Drang, durch Szenerie und einem gerappten Abspann aufzulockern. Trotz trockener Gerichtsprotokolle, die immer wieder im Podcast auftauchen, bleibt es aber dauerhaft spannend. Zu Beginn der fünf halbstündigen Folgen gibt es einen Warnhinweis: „In Nacherzählungen und Interviews fallen diskriminierende Begriffe, die für manche Menschen verletzend sein können.“ Es sei jedoch nicht möglich, die Geschichte und die Strukturen hinter diesem Fall zu erzählen, ohne diese in Zitaten zu reproduzieren. Und dann kommt man den Betroffenen ganz nah: Es sprechen der angeschossene Krys, seine Mutter, seine Freunde, Aktivist:innen der Initiative „Tatort Porz“. Einseitig bleibt der Podcast dabei nicht.
„Der Schuss von Porz – Ein Politiker drückt ab“. ARD-Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.
Die Hörer:innen treffen auf Stammtischfreund:innen und Schützenkollegen von Hans-Josef Bähner, die sich einfach nicht vorstellen können, das Ganze sei rassistisch motiviert. Auch Bähner selbst wurde angefragt, es kam aber keine Rückmeldung. Der Podcast will nicht belehren, er will verstehen. Doch der Versuch, völlig wertfrei zu bleiben, den Hörer:innen ihr Fazit selbst zu überlassen, gelingt nicht immer. Am Stammtisch in einem Porzer Wirtshaus entgleitet es da sogar der Erzählerin: „Eine verstörende Aussage und es ist nicht die einzige.“
Am Ende bekommen wir gezeigt, was nicht oft genug gezeigt werden kann: Kreise, in denen „Rassismus überall vorhanden ist, ohne dass die Leute akzeptieren, rassistisch zu sein.“ Der Podcast blickt auf die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“. Und erzählt somit eine Geschichte, die weit mehr als nur von lokalem Interesse ist. Denn sie ist ein Paradebeispiel: ein rechtskonservativer älterer Mann, CDU, und auf Facebook noch mal deutlich rechter. Ein Mann, der auch mal „alternative Medien“ teilt, aber in seinen Kreisen als freundlicher, älterer Mann, unscheinbar mit „konservativer Grundhaltung“ gilt. „Schönes kleines Haus am Rhein, eine nette Frau, großen Hund. Also so, wie es sein sollte“, beschreibt ihn ein Bekannter. Der Übergang zwischen Rechtskonservativismus und Rechtsextremismus scheint fließend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück