Vorzeitige Entlassungspraxis in Berlin: Zeit, Hausaufgaben zu machen
Berlin wird rot-grün-rot regiert, aber Knackis haben in der Hauptstadt nach wie vor keine Lobby.
K eine öffentliche Empörung, nichts folgte, als in dieser Woche die Zahlen bekannt gegeben wurden: Berlin schneidet im Bundesvergleich fast am schlechtesten ab, wenn es um die vorzeitige Entlassung aus Strafhaft geht. Nur jeder zehnte Häftling kommt nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe vorzeitig frei.
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Immerhin wird die Hauptstadt seit annähernd 6 Jahren von rot-rot-grünen oder rot-grün-roten Koalitionen regiert, die sich die Vermeidung von Haftstrafen auf die Fahnen geschrieben haben. Aber Knackis haben in Berlin nach wie vor keine Lobby.
In Bremen, Hessen und Baden-Württemberg wird fast jeder fünfte Häftling vorzeitig entlassen, nur in Sachsen-Anhalt ist die Quote schlechter als in Berlin. Es ist noch gar nicht so lange her, da lag die vorzeitige Entlassungsrate in Berlin sogar bei nur 6 Prozent.
Angesichts der Tatsache, dass ein Grüner in der letzten Legislaturperiode als Justizsenator die Strippen zog, hätte man da einen deutlicheren Anstieg erwartet. Solange er in der Opposition war, hatte Dirk Behrendt stets vollmundig die Missstände beklagt. Wenigstens das hat er als Justizsenator dann aber auf den Weg gebracht: Der Kriminologische Dienst untersucht in einer wissenschaftlichen Studie, woran es liegt, dass es in Berlin so selten zu vorzeitigen Entlassungen kommt.
Die Gründe sind bekannt
Eine solide Datengrundlage könnte helfen, wenngleich die wesentlichen Gründe für Strafvollzugsexperten wie den langjährigen Vorsitzenden des Berliner Vollzugsbeirats, Olaf Heischel, auch so feststehen: mangelnder Mut der Haftanstalten, positive Prognosen für die vorzeitige Entlassung zu stellen, sowie eine sehr restriktive Rechtsprechung der Strafvollstreckungskammern am Landgericht. Die haben die letzte Entscheidung.
Wenn es keinen Veränderungswillen gibt, nützen aber auch die besten Studien nichts. Zuständige Fachreferenten der Senatsverwaltung für Justiz haben gerade unlängst wieder gegenüber der taz angeführt, dass Berlin im bundesweiten Vergleich gar nicht so schlecht da stehe, wie behauptet werde. Schließlich sei die Hauptstadt führend, was den offenen Vollzug angehe. Mit Verlaub, da werden Äpfel mit Birnen vergleichen.
Machen wir einen Faktencheck: Die absolute Mehrzahl der Berliner Gefangenen sind Männer; 2.264 sitzen aktuell im geschlossenen Vollzug ein. Im offenen Vollzug befinden sich 679 – eine Quote von rund 30 Prozent aller männlichen Gefangenen. Der offene Vollzug ermöglicht, ein Leben in Freiheit zu erproben. Die Insassen gehen außerhalb der Anstalt zur Arbeit und dürfen teilweise an Wochenenden zu Hause schlafen. Das ist zu begrüßen. Zum Vergleich: In Bayern liegen die Prozentzahlen der Gefangenen, die in den offenen Vollzug kommen, im einstelligen Bereich.
Auf eine Entlassung nach zwei Dritteln ihrer Strafe können aber auch die Insassen des offenen Vollzugs in Berlin nur vergleichsweise selten hoffen. Wäre es anders, lägen die Zahlen der vorzeitigen Entlassungen nicht bei 11, sondern bei 25 bis 30 Prozent. Wenn sich schon diese Gefangenen keine Hoffnungen machen können, dann die Insassen des geschlossenen Vollzugs erst recht nicht.
Diese Praxis muss sich ändern. Es ist Zeit, dass die rot-grün-rote Landesregierung ihre Hausaufgaben macht. Allen voran Justiz-Senatorin Lena Kreck (Linkspartei), die in Antrittsinterviews Anfang des Jahres stets betonte: Der Knast sei nur die Ultima Ratio.
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