Strafvollzug in Berlin: Kein guter Ort für Gefangene

Der Berliner Vollzugsbeirat appelliert an neue Justizsenatorin, die Teilanstalt II in der JVA Tegel zu schließen. Die Bedingungen dort seien unwürdig.

Noch wie im 19 Jahrhundert: Fenster zum Hof in der JVA Tegel

Noch wie im 19 Jahrhundert: Fenster zum Hof in der JVA Tegel Foto: imago/Götz Schleser

taz: Herr Heischel, es gibt wohl wenig Menschen, die den Berliner Strafvollzug so gut kennen wie Sie. Wie lange sind Sie schon im Berliner Vollzugsbeirat aktiv?

Olaf Heischel: Ich sitze seit 1989 im Vollzugsbeirat, das ist die Dachorganisation der acht Berliner Haftanstalten. Seit 1999 bin ich Vorsitzender. Ich kenne nicht jeden Knast so genau wie einzelne Anstaltsbeiräte, aber durch die Informationen, die ich erhalte, habe ich einen guten Überblick – auch was die geschichtliche Entwicklung betrifft. Wir setzen uns für die Fortentwicklung des Strafvollzuges ein und äußern bei Missständen auch öffentlich Kritik.

In der vergangenen Legislaturperiode hatte Berlin einen grünen Justizsenator. Jetzt haben wir erstmals eine linke Justizsenatorin. Was erwarten Sie von Lena Kreck für den Strafvollzug?

Grüne und Linke sind sich in ihren Vorstellungen relativ nahe, ich hatte mit beiden Parteien schon viel zu tun. Was Frau Kreck als Justizsenatorin bislang öffentlich geäußert hat, ist ein hervorragender Ansatz: dass sie sich dafür einsetzen will, dass darauf hingearbeitet wird, dass der Strafvollzug, das Strafen, tatsächlich Ultima Ratio sein soll.

Im Knast In den acht Berliner Gefängnissen sitzen derzeit 3.994 Menschen ein, 146 sind Frauen. Die JVA Tegel ist mit 900 Gefangenen der größte Männerknast. Tegel besteht aus sieben Teilanstalten. Die Ende des 19. Jahrhunderts gebaute Teilanstalt II ist das älteste noch belegte Haus. Die Probleme dort sind lange bekannt.

Die Teilanstalten Planungen für einen Ersatzneubau unter der früheren SPD-CDU-Regierung waren relativ weit gediehen. Doch dann wechselte die Regierung und Rot-Rot-Grün stoppte das Vorhaben. Stattdessen wollte der grüne Justizsenator Dirk Behrendt die Teilanstalt (TA) III reaktivieren. Zuvor sollte das denkmalgeschützte ehemalige Langstra­fer-Haus saniert und umgebaut werden, was deutlich länger dauert als ein Neubau. Vor 2024 werde die TA III nicht bezugsfertig sein, sagte Behrendts Sprecher Ende 2019 auf taz-Nachfrage. Die veranschlagten 28 Millionen Euro seien noch nicht bewilligt. Der Berliner Vollzugsbeirat sprach seinerzeit von einer fatalen Fehlentscheidung. Er könne nur vermuten, dass der Justizsenator als Grüner aus ideologischen Gründen keine neuen Haftplätze bauen wolle, sagte Olaf Heischel vom Vollzugsbeirat damals zur taz. (plu)

Diesen Ansatz hatte der grüne Justizsenator Dirk Behrendt auch vertreten, ausgewirkt hat sich das nicht.

Meine Hoffnung ist, dass sich Frau Kreck im Strafvollzug für die offenen „Baustellen“ einsetzen wird, die wir mit Herrn Behrendt nicht regeln konnten und die er auch nicht so gesehen hat.

Sie hatten Dirk Behrendt hart wegen der Zustände im Männerknast Tegel kritisiert und ihm vorgeworfen, aus ideologischen Gründen (siehe Beitext) eine Fehlentscheidung getroffen zu haben. Was war der Hintergrund?

Ich meinte damit und das meine ich immer noch, dass die Teilanstalt II in der JVA Tegel kein Ort ist, an dem man verurteilte Gefangene verwahren sollte. Ein vernünftiger Umgang der Gefangenen miteinander ist dort ebenso wenig möglich wie dass sich Bedienstete vernünftig um sie kümmern können. Nach meinem Empfinden sind die Bedingungen in dem Haus auf ein ungesetzliches Niveau heruntergeschraubt. Der Resozialisierungsauftrag des Strafvollzuges wird dadurch sträflich vernachlässigt.

Was ist Ihr Appell an Justizsenatorin Kreck?

Sie möge sich dafür einsetzen, dass die Teilanstalt II geschlossen wird. Als Alternative sollte ein angemessener Bau gefunden oder ein neues Haus gebaut werden.

67, ist Rechtsanwalt im Ruhestand und Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats.

Das sagt sich so leicht. In der TA II sitzen immerhin 300 Männer ein.

Die Problematik ist schlicht und einfach, dass es dort so viele schwierige Gefangenen gibt. Deutlich Schwierigere als in den anderen Teilanstalten. Die baulichen Verhältnisse befördern die unerträglichen Zustände.

Die im sogenannten panoptischen System in offener Galeriebauweise errichtete TA II stammt noch aus dem 19. Jahrhundert. Der Lärm ist unerträglich, die Zellen sind dunkel, die Sanitäranlagen veraltet.

Aufgrund der Bauweise ist das Haus im Inneren relativ durchlässig. Das bedeutet, dass die schwierigen Gefangenen das Heft in der Hand haben und es viel Subkultur und Gewalt unter den Insassen in jeglicher Hinsicht gibt.

Wie muss man sich das vorstellen?

Die Stärkeren üben Druck auf die anderen aus, um ungestört ihre Geschäfte abwickeln zu können. Dabei geht es um Dinge, die im Knast begehrt sind. Im Zweifelsfall ist das der Handel mit Rauschmitteln und Handys. Die Starken halten sich ihre Helfer, bedrohen die anderen oder bestechen sie. Bedrohung wirkt im Regelfall nur, wenn man ab und zu auch jemanden körperlich fertig macht. So läuft das Geschäft.

Wie konnte das so lange toleriert werden?

Da bin ich ratlos. Meine These ist, das ist so wie früher. Auch da gab es immer einen besonders schlechten Teil des Vollzugs, um den Gefangenen als abschreckendes Beispiel vor Augen zu hal­ten:­ Guckt mal, das blüht euch, wenn ihr nicht brav seid. Dass sie von einem angenehmen oder mittelmäßigen Bereich in einen hundsmiserablen abgeschoben werden können. Früher war das die Teilanstalt III …

… das inzwischen stillgelegte Langstrafer-Haus, einst auch das Zuchthaus.

Und jetzt ist es eben die Teilanstalt II. Die Stilllegung dieses Hauses verbunden mit der Schaffung von zivilisationsangemessenen Gefängnisverhältnissen hat für mich absolute Priorität. Was das angeht, gibt es in Tegel allerdings noch eine weitere „Baustelle“: die Teilanstalt IV.

Sie meinen die sozialtherapeutische Anstalt, kurz SothA genannt?

Ja. Der Bau stammt zwar aus den 70er Jahren und ist somit wesentlich neuer. Aber die räumlichen Bedingungen sind inzwischen überhaupt nicht mehr geeignet für therapeutische Gruppen- und Einzelarbeit. Wenn die räumlichen Verhältnisse so heruntergekommen sind, braucht es nicht mehr viele andere negative Einwirkungen.

Worauf wollen Sie hinaus?

Jeder Mensch, der in halbwegs vernünftigen Verhältnissen untergebracht ist, empfindet ein Grundmaß an Achtung vor sich selbst. Wenn jemand von vornherein missachtet wird, hat er überhaupt nicht die Idee, warum soll ich mich ändern? Das ist in der SothA mittlerweile ähnlich wie in der Teilanstalt II. Diese Dinge muss man angehen.

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