Vorwürfe gegen Rammstein: Das „lyrische Ich“ und die Realität
Gegen die Band Rammstein gibt es Vorwürfe der sexualisierten Gewalt. Zuvor schon hatte Sänger Till Lindemann mit einem Gedicht zum Thema kokettiert.
J etzt also Till Lindemann. Eine Frau namens Shelby Lynn, die nach eigenen Angaben ein Rammstein-Konzert in Vilnius besucht hat, sagt online, sie sei backstage unter Drogen gesetzt worden, der Sänger habe sie zum Sex aufgefordert und wäre sauer geworden, als sie ablehnte. Dazu postete sie Fotos von Verletzungen mit der Angabe, sie könne sich nicht daran erinnern, wie diese zustande gekommen seien. Die Band dementierte den Vorfall per Twitter. Gleichzeitig gibt es immer mehr Frauen, die von Gewalterfahrungen mit Rammstein berichten. Als Journalistin muss ich sagen: Lindemann und seine Leute sind mutmaßliche Täter, weil sie nicht verurteilt sind, sondern bisher nur beschuldigt werden. Als Kolumnistin sage ich, dass ich den mutmaßlichen Opfern glaube.
Ich glaube ihnen, weil falsche Vergewaltigungsvorwürfe sehr selten sind, die Anschuldigungen glaubhaft klingen, seit Jahren derartige Geschichten kursieren und immer mehr Frauen (meist anonym) von ähnlichen Erfahrungen berichten. Und ich habe noch einen weiteren Grund: Erstaunlich oft gehen (mutmaßliche) Täter mit ihren (mutmaßlichen) Taten hausieren, weil sie, gerade wenn sie Stars sind, wissen, dass sie fast unberührbar sind. Damit meine ich nicht nur das übermaskuline Gehabe, das Rammstein seit Jahrzehnten zur Schau trägt (gepaart mit Fascho-Ästhetik, aber das ist ein anderes Thema).
Vor allem spreche ich vom Buch „100 Gedichte“ von Till Lindemann, das der KiWi Verlag vor drei Jahren veröffentlichte; aus lyrischer Sicht ziemlich unterdurchschnittliche Gedichte. Relevant ist aber nicht ihre Literarizität, sondern der Inhalt. Unter anderem schildert er darin Vergewaltigungsfantasien wie „Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst/Wenn du dich überhaupt nicht regst“, die sehr nah an dem sind, was der Band jetzt vorgeworfen wird. Marilyn Manson wird Vergleichbares vorgeworfen. Und auch er hat schon über sexuelle Übergriffe auf bewusstlose Frauen geschrieben, 1998 in seiner Autobiografie „The Long Hard Road Out Of Hell“.
Als die „100 Gedichte“ publiziert wurden, gab es einige User*innen auf Twitter (auch ich gehörte dazu), die den Verlag kritisierten. Daraufhin sprangen viele Lindemann zur Seite, mit der Begründung, es handele sich um sein lyrisches Ich, Dichterin Nora Gomringer sprach von einer „Hypermoralisierung“, und auch Helge Malchow, Editor-at-Large bei KiWi, beklagte die „moralische Empörung“ und „Diffamierung des Autors“. Selbst wenn es sich doch „nur“ um Lindemanns lyrisches Ich handelt: Muss man Vergewaltigungsfantasien veröffentlichen?
Jahrelang kamen Leute wie Lindemann und Manson problemlos damit durch, mit ihren Gewaltfantasien zu kokettieren, und seien sie verpackt in lyrische Ichs. Teils wurden sie sogar verteidigt. Es sagt viel über unsere Rape Culture aus, dass so was überhaupt durchgeht.
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