Vorübergehende Stilllegung deutscher AKWs: Atomkraft auf Stand-by

Merkel will sieben AKWs vom Netz nehmen - vorerst nur für drei Monate. Doch die Regierungskoalition tut sich schwer, den Kurswechsel glaubwürdig zu verkaufen.

Begeisterung sieht anders aus: Panoramablick während der Bekanntgabe der Pläne zur Stilllegung der AKWs im Bundeskanzleramt. Bild: dpa

BERLIN taz | Schwarz-Gelb hat beschlossen, sieben ältere AKWs sofort vom Netz zu nehmen: Neckarwestheim I, Isar I, Biblis A und B, Unterweser, Philippsburg I und Brunsbüttel. Das gilt erst mal für drei Monate. Danach ist alles offen. Niemand weiß, welches wieder ans Netz geht. Klar ist nur, dass Neckarwestheim I für immer stillgelegt wird.

Das Moratorium verkündet Angela Merkel am Dienstag im Bundeskanzleramt, in einer Front mit den fünf Union-Ministerpräsidenten, in deren Ländern Reaktoren stehen. Stefan Mappus lächelt dünn. Der CDU-Chef aus Stuttgart darf als fünfter, nach Merkel, Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und CSU-Chef Horst Seehofer etwas sagen und fasst sich ganz kurz. Das Moratorium, sagt er, "ist exakt richtig". Es "ergibt sich aus sich selbst heraus". Dies sei "keine Kehrtwende". Vor einem Jahr machte sich Mappus noch einen Namen als Pro-Atom-Einpeitscher. Schwarz-Gelb tut sich schwer in diesen Tagen, den neuen Kurs zu verkaufen.

Auch FDP-Mann Brüderle. Der erklärt bislang stets, ohne Laufzeitverlängerung sei die Stromversorgung gefährdet, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sowieso, und die Stromkosten schössen in die Höhe. Gestern warnt er nur noch verhalten, das Moratorium wirke "preiserhöhend in der Tendenz".

Neckarwestheim I (EnBW): 840 Megawatt (MW) Nennleistung; gebaut 1976; geplante Laufzeit bis 2019

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Philippsburg I (EnBW): 926 MW Nennleistung; gebaut 1979; geplante Laufzeit bis 2020

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Isar I (Eon): 912 MW; gebaut 1977; geplante Laufzeit bis 2019

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Biblis A (RWE): 1.225 MW; gebaut 1974; geplante Laufzeit bis 2020

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Biblis B (RWE): 1.300 MW; gebaut 1976; geplante Laufzeit bis 2020

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Unterweser (Eon): 1.410 MW; gebaut 1978; geplante Laufzeit bis 2020

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Brunsbüttel (Vattenfall/Eon): 806 MW; gebaut 1976; geplante Laufzeit bis 2020

Wird der Strom teurer? "Nein", sagt Felix Matthes, der Energieexperte des Öko-Instituts - langfristig nicht und "kurzfristig sowieso nicht". Die Stromkonzerne verkauften das Gros ihrer Kapazitäten immer drei Jahre im voraus. Nur 5 Prozent des Stroms würden am sogenannten Spotmarkt, "also für morgen" gehandelt. Und auch da "seien die Effekte überschaubar". Es gebe "Überkapazitäten", sagt Matthes. Deutschland exportiert Strom "in einer Größenordnung von sieben Atomkraftwerken". Das ist lange bekannt. Für die schwarz-gelben Politiker ist es indes eine neue Einsicht, dass sieben AKWs einfach so runtergefahren werden können.

"Staatliche Anordnung aus Sicherheitsgründen"

Die Regierung sieht auch rechtlich kein Problem. Sie werde, so erklärte Merkel, als "staatliche Anordnung aus Sicherheitsgründen" umgesetzt. Sie beruft sich auf Paragraf 19 des Atomgesetzes. Ob dies zulässig ist, ist zwar unter Juristen umstritten. Doch solange keiner der vier Atomkonzerne - Eon, RWE, EnBW und Vattenfall - dagegen klagt, sind juristische Fragen unerheblich. Und die Konzerne halten sich bislang zurück.

Eon erklärte stattdessen, den Betrieb von Isar I zu unterbrechen und so eine "offene und kritische Bewertung" zu erleichtern. RWE-Chef Jürgen Großmann ließ via Zeit wissen, dass sich der Konzern nicht aus der Atomenergie zurückziehen wolle, aber akzeptiere, dass die Sicherheit überprüft wird. Sind die Zeiten vorbei, in denen sie der Politik Vorgaben machten?

Ein Alt-AKW bringt täglich eine Million Euro

Der schleswig-holsteinische CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen kündigte an, mit den Betreibern der Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel - derzeit beide vom Netz - Gespräche zu führen. Ziel sei, dass die Konzerne auf den Betrieb für immer "verzichten".

Für die Konzerne geht es um viel Geld: Ein Alt-AKW bringt ihnen täglich etwa eine Million Euro. Für den Staat wäre der Verlust eher gering. Es ist Verhandlungssache, ob und wie viel Steuern und Abgaben der Staat weniger kassiert, wenn die alten Meiler für immer vom Netz gehen.

Die Brennelementesteuer, die Schwarz-Gelb 2010 einführte, soll dem Finanzminister bis 2016 pro Jahr 2,3 Milliarden Euro bringen. Diese Steuer soll bleiben, hieß es am Dienstag. Sie sei nie an die Laufzeitverlängerung geknüpft gewesen. Auf Mindereinnahmen kann sich der Staat beim Fonds zur Förderung Erneuerbarer Energien gefasst machen. Den hatte Schwarz-Gelb mit dem Laufzeitplus eingeführt. Der fehlende Betrag wäre aber überschaubar. Für 2011 sind zum Beispiel 300 Millionen Euro eingeplant.

Vorübergehende Stilllegung "erinnert an Guttenberg"

Bärbel Höhn, grüne Fraktionsvize, kritisierte Merkel gegenüber der taz. Die Ankündigung, ein paar AKWs vorübergehend stillzulegen "erinnert an Guttenberg, der seinen Doktortitel auch zeitweise ruhen lassen wollte". Merkel versuche nach dem Motto "erst mal prüfen, dann schauen wir mal", über die Wahlen zu kommen. "Das geht schief." Die um die Kanzlerin am Dienstag versammelten Unions- und FDP-Männer dementieren, dass es ihnen um Wahltaktik geht. Seehofer sagt: "Wir haben doch erst 2013 Wahlen in Bayern." Und sie senden eine Botschaft ans Volk - und an die Grünen. Man dürfe nicht gegen alles sein - gegen AKWs, gegen die unterirdische CO2-Speicherung, die Kohlekraft sauberer machen soll, gegen Stromtrassen, die Windkraft von der Nordsee gen Süden transportieren sollen.

Ein Gewinner des Tages ist Norbert Röttgen, der immer schon schneller zur Ökoenergie wollte. Der Umweltminister hat jetzt viel zu tun, vielleicht zu viel. In NRW stehen Neuwahlen vor der Tür, er soll dort eigentlich als Spitzenkandidat in einen fast aussichtslosen Wahlkampf ziehen. Ob er das macht, ist offener denn je. Irgendjemand muss die Neujustierung der schwarz-gelben Atompolitik managen. Röttgen steht am Dienstag im Foyer des Kanzleramtes, er weiß den Weg zum Ausgang nicht und fragt: "Wo geht es denn jetzt lang".

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