Jürgen Trittin über das AKW-Moratorium: "Schwarz-Gelb hat Angst vor Wählern"

Die Abschaltung der AKWs soll die Koalition nur über die Wahlen retten, kritisiert der Grünen-Fraktionschef. Um die Ängste der Menschen vor Atomkraft ginge es nicht.

"Ein billiger Wahlkampftrick": Jürgen Trittin nimmt der Kanzlerin ihr Verhalten in der Atomdebatte kein bisschen ab. Bild: dpa

taz: Herr Trittin, hat die Kanzlerin Sie Ihres größten Wahlkampfschlagers beraubt: "Atomkraft - Nein danke"?

Jürgen Trittin: Ach, was. Trotz aller zur Schau gestellten Nachdenklichkeit der Regierung wird keine einzige Kilowattstunde Atomstrom weniger produziert werden. Frau Merkel hat ein Moratorium für drei Monate erlassen, zudem auf einer fragwürdigen Rechtsgrundlage. Die Atomkonzerne haben einen Hebel in der Hand, um die Regierung zu erpressen: Selbst bei der endgültigen Schließung einzelner Anlagen dürften sie die Restlaufzeiten, die ihnen per Gesetz zustehen, auf andere Anlagen übertragen. Schwarz-Gelb will sich bloß mit einem Trick über die Landtagswahlen retten.

Müssen die Grünen, um den ersehnten Ausstieg nicht zu gefährden, dieser Rechtsbeugung zusehen?

56, ist seit 2009 Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. Der Diplomsozialwirt war von 1998 bis 2005 in der rot-grünen Koalition Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Das tun wir nicht. Wir bringen heute einen Entschließungs- und einen Gesetzesantrag in den Bundestag ein, mit dem der Atomausstieg rechtlich wiederhergestellt wird, den Schwarz-Gelb im vergangenen Herbst gekippt hatte. Ich lade die Abgeordneten von Union und FDP ein, unseren Anträgen zuzustimmen. Damit können sie das Handeln der Kanzlerin in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz bringen. Denn kein Kanzler und keine Kanzlerin kann ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz aussetzen. Wir leben nicht in einem Obrigkeitsstaat, das sollte Frau Merkel eigentlich wissen.

Aber ihre Entscheidung war wahltaktisch ungemein clever.

Darauf fallen nur französische Grüne wie Daniel Cohn-Bendit rein. Der Auftritt von Merkel, fünf Unions-Ministerpräsidenten, einem verwirrt blickenden Umweltminister und seinem schmerzfreien Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium am Dienstag - das war zu offensichtlich ein Wahlkampfmanöver. Das war nicht getragen von dem Eingehen auf die berechtigten Ängste der Menschen vor der Atomkraft, sondern von der Angst von Schwarz-Gelb vor den Wählern.

Auch in der Regierung mehren sich die Stimmen, die bezweifeln, dass die Reaktoren nach drei Monaten wieder ans Netz gehen werden.

Hören Sie genauer hin: Auch Röttgen geht von einer Laufzeitverlängerung weit über den alten Atomkonsens hinaus aus. Allerdings sieht es im Moment nicht danach aus, dass nach dem 27. März der baden-württembergische Ministerpräsident noch Stefan Mappus heißen wird. Die Union verliert nicht nur absehbar einen Ministerpräsidenten, wir stehen dann auch vor dem Anfang vom Ende der Ära Merkel. Damit stellen sich viele Fragen neu - nicht zuletzt in der Union. Das sind Fragen zur Machtpolitik, aber natürlich auch Machtfragen.

Und was ist mit den Protesten gegen den Bau von oberirdischen Höchstspannungsleitungen von Nord- nach Süddeutschland?

Bei der Verteilung des Stroms aus Erneuerbaren haben wir weniger ein Problem mit Höchstspannungsleitungen, sondern im 80-Kilovolt-Bereich, also im Mittellastbereich. Wir Grünen sind dafür, die dafür nötigen Kabel unter die Erde zu legen. Das ist ohne Probleme möglich. Außerdem müssen wir die Planungsblockaden in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen aufheben. Dort wird jeweils weniger als ein Prozent des Stroms aus Windkraft hergestellt, im Bundesschnitt sind es neun Prozent. Außerdem müssen wir Biogas effizienter verwenden.

Vorausgesetzt, die abgeschalteten sieben AKWs bleiben vom Netz: Ist der Weg jetzt wieder frei für Schwarz-Grün im Bund?

Sie glauben doch nicht im Ernst, das wir auf Merkels billigen Wahlkampftrick hereinfallen und plötzlich an das Gute in der CDU glauben.

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