Vortrag von Abraham Melzer in Bremen: Mäandern für Meinungsfreiheit
In einem erkenntnisarmen, aber langatmigen Vortrag erklärt Abraham Melzer, warum er Antisemitismus für Hysterie hält und sich selbst für ihr Opfer.
BREMEN taz | Kritik hatte es vorab gegeben, auch die Bitte, die Veranstaltung abzublasen. „Mir ging es an diesem Abend um die Meinungsfreiheit in Deutschland“, teilt Johannes Feest, emeritierter Jura-Prof mit, „und um das handliche Etikett ‚Antisemit‘ für Andersdenkende.“ Das bringt ihm zufolge die Meinungsfreiheit in Gefahr. Es sorge nämlich dafür, dass man mit Kritik an Israel hinter dem Berg hält. Zum Auftakt einer Reihe über Meinungsfreiheit hat daher am Samstag im Gästehaus der Uni Bremen auf dem Teerhof Abi Melzer einen Vortrag gehalten, dessen Thema „Antisemitismus und Israelkritik“ lauten sollte.
Seit Frühjahr 2016 betreibt Melzer den Cosmics Verlag mit bislang sechs erschienenen Titeln. Vor allem aber wirkt er als Blogger: Die in seinem online-Magazin „Der Semit“ publizierten Beiträge zeichnen sich durch einen überbordenden Gebrauch von Starkwörtern und Schmähungen aus. Ganz in diesem Stil korrigiert der 72-Jährige, der sich als Sohn des Verlegers Joseph Melzer einen Namen gemacht hat, auch den Titel: Er spreche lieber „über die Antisemitismus-Hysterie heute“. Das scheint den Erwartungen nicht nur der fundamentalistischen Islamisten im Publikum entgegenzukommen.
Sonst aber macht es Melzer seinen ZuhörerInnen nicht leicht: Anderthalb Stunden liest er aus einem vielseitigen Typoskript vor, ohne dass eine Struktur erkennbar wäre. Die These, klar, die steckt ja bereits im Titel. Die wird nicht argumentativ unterfüttert, sondern anekdotisch illustriert.
Abi Melzer, Blogger und Verleger
Wobei dem Referenten frei erfundene Tatsachenbehauptungen, sehr eigenwillig gedeutete Vorgänge und tatsächlich skandalöse Vorfälle durcheinander purzeln. Zu ersteren gehört die geschichtsklitternde Aussage, weder gebe es einen islamisch-arabischen Judenhass noch habe es den je gegeben: „Die Araber haben Jahrhunderte in Frieden mit den Juden zusammen gelebt“, behauptet Melzer – unterbrochen nur durch gelegentliche Pogrome. Die jüngst durch islamistischen Terror ermordeten Juden nennt er „nur eine Handvoll“, die „im Schatten des Nahost-Konflikts“ starb.
Zu den skandalösen Vorfällen, die er referiert, gehört die gesinnungspolitisch motivierte einseitige Auflösung von Bankverbindungen für einschlägige Körperschaften. So hatte Anfang Dezember die Bank für Sozialwirtschaft dem Verein „Jüdische Stimme für Gerechtigkeit in Nahost“ das Konto gekündigt. Begründung: Der Verein stelle das Existenzrecht Israels infrage.
Inszenierung als Opfer eines vermeintlichen Zensurkartells
Selbst das zu erzählen gelingt Melzer indes nicht, ohne die Wahrheit in seinem Sinne zu verbiegen: „Keine deutsche Zeitung außer der Jungen Welt hat darüber berichtet“, behauptet er. Was nicht stimmt: Selbstverständlich hat auch die taz den Vorgang aufgegriffen. Aber Melzers Inszenierung als Opfer eines vermeintlichen Zensur- und Schweigekartells gewinnt an Plausibilität, je weniger es gemeldet haben. Von da „kommt man schnell zum Vorwurf der Lügenpresse“, resümiert er. Und von dort ist es dann wirklich nur ein Schritt zum „gigantischen System der Vertuschung“, das Israel betreibe: „Alles ist Teil des Systems“, so Melzer.
Qualifiziert hatte er sich für den Vortrag zumal, weil ihm in München ein Auftritt verweigert wurde infolge einer Intervention von Charlotte Knobloch: Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde hatte die Veranstalter vor Melzer gewarnt. Der sei „für seine antisemitischen Äußerungen regelrecht berüchtigt“, hatte sie gemailt. In Bremen behauptete er: „Was Knobloch von mir meint, geht mir am Arsch vorbei.“ Dennoch hat er geklagt, und in erster Instanz gewonnen: Zwar handele es sich bei Knoblochs Aussage um eine durchs Grundgesetz geschützte Meinungsäußerung, so das Landgericht, und nicht mal eine Schmähung. Ehrverletzend werde die Äußerung aber wegen der „durch den Holocaust geprägten“ Biografien: Knobloch hat die Shoa im Versteck überlebt. Deshalb darf sie nicht sagen, Melzer, aufgrund der Flucht seiner Eltern aus 1944 in Samarkand geboren, äußere sich antisemitisch. [Diese Passage ist aufgrund von Hinweisen nachträglich korrigiert worden, d. Verf.]
In Bremen gab es zuletzt antizionistische Veranstaltungen in der Stadtbücherei, im Überseemuseum, in Bürgerhäusern und in der Villa Ichon. Im Eingangsstatement hatte Johannes Feest gleichwohl zensorische Bestrebungen gegen Palästina-Anhänger beklagt. „Es wird einem schwer gemacht, Räume zu bekommen“, so Feest: Die Villa Ichon habe jüngst mitgeteilt, dem Arbeitskreis Nahost keine Räume mehr zur Verfügung zu stellen.
Dagegen, dass die Uni Räume bereitstellt, hatte es Bedenken gegeben in der Jüdischen Gemeinde. Die hatte Rektor Bernd Scholz-Reiter gebeten, die Räume nicht bereitzustellen. Das sei geprüft worden, heißt es aus der Pressestelle, man habe sich aber dagegen entschieden. „Die Universität ist ein Raum des freien Diskurses.“ Das bedeute, „auch konträre Positionen zuzulassen“.
Beim Melzer-Vortrag fand derartiges nicht statt. Im Gegenteil: Als pro-israelische Aktivisten, die bis zuletzt ausgeharrt haben, eine Frage stellen, bürstet Melzer die brüsk ab: „Quatsch!“ sei das, „dazu sage ich nichts“. Beifall brandet auf. Und aus dem Publikum werden die Fragesteller angezischt, sie wollten ja wohl nur die Veranstaltung chaotisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku