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Vorstoß bei Drogenpolitik in BerlinDer Rausch im Lieferservice

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Eine Berliner Grüne plädiert für eine Eigenbedarfsregel – auch bei harten Drogen. Dabei kann eine Partei, die sich für Nachhaltigkeit einsetzt, schwerlich Koks bagatellisieren.

Begehrte Ware zum Naserümpfen Foto: dpa

F ür eine lebenswerte Stadt braucht es für manche mehr als günstige Mieten. Koks zum Beispiel. Wer demnächst seine Miete um 100 Euro im Monat absenkt, kann sich locker ein Gramm Kokain dafür leisten. Der Taxi-Fahrer des Vertrauens bringt vielleicht auch zwei. Man könnte fast glauben, SPD-Fraktionschef Raed Saleh hätte genau das im Sinn gehabt, als er den Mietendeckel als „gut für die Wirtschaft und die Konjunktur“ bezeichnete.

Rückendeckung für diese Form der Investition kommt zumindest von den Grünen. Deren drogenpolitische Sprecherin Catherina Pieroth forderte diese Woche eine Eigenbedarfsregelung auch für sogenannte harte Drogen. Eine Grenze für Kokain und Heroin könnte etwa bei 3 Gramm liegen. Ähnlich wie bei Cannabis – hier liegt die Grenze in Berlin bei 15 Gramm – sollten Staatsanwaltschaften die Verfahren dann einstellen. „Das wäre eine Entlastung für Polizei, Gesellschaft und alle Beteiligten“, so Pieroths nachvollziehbare Begründung.

Statt der Verfolgung der Konsumenten könnte sich die Polizei auf die Händler fokussieren, etwa auf ein Phänomen, das sie zuletzt verstärkt beobachtet: Drogenkuriere, die auf Anruf oder Nachricht die gewünschte Menge direkt vor die eigene Tür fahren. Von Mai bis Oktober wurden bereits 35 Ermittlungen zu Koks-Taxen aufgenommen, ein ganzes Kommissariat sei mit entsprechenden Ermittlungen beschäftigt. Die Fahrer scheinen aufgeschreckt: Mehrere taz-Interviewanfragen wurden negativ beschieden.

Die Droge hat sich aus den Clubs der Reichen und Schönen ausgebreitet

Das Geschäft läuft dennoch prächtig weiter; europaweit steigt die Nachfrage nach Kokain, was auch auf einen rapiden Preisverfall in den vergangenen beiden Jahrzehnten zurückzuführen ist. Die Droge hat sich aus den Clubs der Reichen und Schönen ausgebreitet, bis zu einer arbeitenden, auch alternativen Klientel. Dass aber ausgerechnet die Grünen die Droge entkriminalisieren wollen, ist auch ein Treppenwitz. Eine Partei, die sich Nachhaltigkeit und einen bewussten Umgang mit der Natur auf die Fahnen schreibt, kann schwerlich Koks bagatellisieren.

Aber sie ist in guter Gesellschaft: Linke, Veganer, Menschenfreunde koksen sich in Massen die Nasen blutig und ignorieren in ihrem Rausch, welche katastrophale Folgen mit dem Anbau und dem Vertrieb der Droge verbunden sind. Dazu gehören die großflächige Zerstörung des Regenwaldes, die Versklavung von Koka-Bauern und ein Drogenkrieg der Kartelle untereinander und gegen staatliche Armeen und Polizeien, der mittlerweile zu Hunderttausenden Toten und Geflüchteten geführt hat. Egal, Hauptsache, man spendet für Sea-Watch und isst Tofu-Wiener.

Raed Saleh ist – das muss man fairerweise sagen – keiner dieser Ignoranten: „Ich halte das für eine verrückte Idee“, sagte er zu dem Grünen-Vorschlag. Aber Mietabsenkungen hielt die SPD ja auch für verrückt. Und Argumente für eine neue Handhabe gibt es ja wirklich.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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8 Kommentare

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  • Dass die Bauern in Leibeigenschaft gehalten werden, ist wohl in Südamerika der Normalfall, egal, ob sie Drogen anbauen, Kaffee oder Bananen.



    Einen solchen Artikel hätte ich in der Bild normal gefunden, für eine Zeitung mit Aufklärungsanspruch ist er ziemlich peinlich.



    Ich kann ja verstehen, dass die Autorin möglicherweise eine Antipathie gegen Kokser hat.



    Aber dass die Prohibition gescheitert ist und nur die Mafia stärkt, sollte sich doch bei den meisten rumgesprochen haben.

  • 9G
    99140 (Profil gelöscht)

    Abseits der Beschäftigung mit der hier bereits, völlig zu Recht, angeführten Vergleiche zur Umweltbilanz der pharmazeutischen Industrie oder der Alkoholherstellung empfehle ich der Autorin eine Recherche der in Portugal seit mehr als 18 Jahren äusserst erfolgreich betriebenen Drogenpolitik, inkl. Eigenbedarfsregelung.



    Rückgang der Drogentoten, erfolgreiche Reilhabe am Arbeitsmarkt und im Sozialen der Konsumenten, Rückgang der Verbraichsmengen etc.



    Artikel von ahnungslosen und desinteressierten Autoren zu gesellschaftlich dermassen relevanten Themen, sind seit gefühlten Ewigkeiten der punlizistiache Lärm der Anti-Drogen-Lobby in der Bundesrepublik, der eine Sachbezogene Auseinandersetzung mit der Thematik cerhindern soll. So wohl auch hier...Agenturmeldung zu Drogentaxis gelesen und schnell ein paar unmotivierte Zeilen in der TAZ platziert.



    Der Sache ebenso wie dem Medium mitnichten dienlich.

  • Geht es hier nicht um Suchtkranke? Also laut Herr Peter müsste man also auch Antibiotika oder andere Medikamente verbieten weil die Pharmaindustrie böse ist und die Produktion eine schlechte Öko Bilanz hat?

    Die Drogenbekämpfung hat bisher nicht funktioniert. Experten raten zur Legalisierung plus therapeutische Begleitung und Jugendschutz. So wie beim Tabak oder Alkohol. Der Vorschlag der Grünen geht in die Richtung und es ist höchste Zeit sich dem Ganzen lösungsorientiert und weniger moralisch ideologisch anzunehmen.

  • "Qualitätsjournalismus" ist etwas Anderes. Es wäre schön, wenn die Authorin bitte auch mal erklärt, was "Eigenbedarf" bedeutet.

    Oder hat Sie es vielleicht selber (nie) verstanden? Naja, ist ja auch wichtiger mal die Moral-Apoestelin rauszuhauen und auf die böse Versklavung von Koka-Bauern hinzuweisen. Wobei auch hier schon ein Fehler liegt: Gibt es etwas keine Koka-Bäuerinnen? Sind es nur Männer die Opfer sind?

    Der sog. Eigenbedarf ist nicht mehr als eine Richtline (Anweisung) des Justizministeriums an die Staatsanwaltschaft, wie gewisse Dinge zu regeln sind. Im Ergebnis wird nur ausgesagt, dass die Staatsanwaltschaft sich in bestimmten Fällen nicht ans Gesetz halten, also eine Strafverfolgung einleiten, muss. Mit DeKriminaliserung (wie z. B. in Portgual) hat dies nichts zutun, da weiterhin großer Spielraum für die Polizei/Staatsanwaltschaft besteht. Formal juristisch gesehen kann sich keine Bürger*in vor Gericht darauf berufen kann, dass es sich um "Eigenbedarf" handelt.

    Im Ergebnis ist die zu erwartende Strafe auch für Kokser*innen das kleinere Übel. Bei Besitz wird Konsum unterstellt und einmaliger Konsum selbst außerhalb des Straßenverkehrs reicht schon aus, um den Führerschein zu verlieren. Die Kosten für MPU usw. sind insofern oftmals höher als die Geldstrafe. Hierin liegt nämlich der eigentliche Skandal der Drogenpolitik, da der Führerscheinverlust im Regelfall ziemlich dramatisch ist. Über den Weg des Führerschein vernichtet der Staat Existenzen von Drogenkonsument*innen. In keinem anderen mir bekannten Land der Welt gibt es derart perfide Regeln. Aber Dank des guten "Qualitätsjournalismus" weiss dies kaum einer ..... und Politiker können sich feiern lassen für ihre "Entkriminaliserungs-Versuche".

    • @rujex:

      Freie Fahrt auch für Drogenkonsumenten?

      Erlebte einen PKW-Fahrer, der von links nach rechts, dabei diagonal ohne Warnzeichen, geradezu fünf Fahrspuren durchquerte, dabei ohne Rücksicht auf den fliesenden Verkehr in der jeweiligen Fahrspur. Es war wie ein Wunder, dass es dabei zu keiner Karambolage mit mehreren Fahrzeugen kam.

      Ob Alkohol oder andere Drogen, wer sie dauerhaft konsumiert, so auch vor und während der Fahrt, darf nicht auf die VerkehrsteilnehmerInnen losgelassen werden.

      PS: Bei erwiesener Abhängigkeit muss der Führerschein entzogen werden. Gelingt der Nachweis eines Entzugs, über einen kontrollierten Zeitraum, kann eine Neuerteilung erfolgen. Im Wiederholungsfall bleibt es beim dauerhaften Entzug des Führerscheins.

      RS. Immer nüchtern und unfallfrei, seit mehr als 30 Jahren.

  • Der legale Zugang zu Drogen stabilisiert den Kapitalismus und hält die Konsumenten davon ab, die Suchtursachen zu bekämpfen und die gesellschaftliche Entfremdung (und Ausbeutung) überwinden.

    Wer kein Geld hat, der versucht es auch mit Diebstahl, Prostitution, Anwerbung und Weiterverkauf an neue Konsumenten.

    Es ist wie beim Alkohol und Nikotin, die Legalisierung erleichtert die Generierung von steuerpflichtigen Einnahmen und legalisierten Neuinvestitionen, die Gesellschaftsfähigkeit von Drogenhändlern.

    PS: Der Mafia werden neue (legale) Geschäftsfelder der ehrenwerten Gesellschaft eröffnet. Demnächst auch im Parlament und Bundesregierung?

    • @Reinhold Schramm:

      Die meisten Drogen sind Substanzen die billig in der Herstellung sind. Wie Seife oder Käse. Da sie verboten sind (ursprünglich um die Asiaten in USA einsperren zu können, weil sie Opium konsumiert haben, dann im die Schwarzen einsperren zu können), kosten sie halt ein Unvermögen und treiben die Süchtigen früher oder später in die Beschaffungskriminalität. Wenn es legal wird, ist es kein hoch lukratives Geschäft mehr. Wie Tabak oder Alkohol oder Zucker.

      • @Doktor No:

        Das Kapital hat ein Interesse an der Drogenabhängigkeit, sei es wie beim Alkohol, Zucker oder Tabak-Nikotin und weiteren giftigen Zusatzstoffen. Drogenabhängigkeit hält die Menschen vom Kampf gegen den Kapitalismus ab.