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Vorstoß aus Niedersachsen„Catcalling“ soll verboten werden

Hinterherpfeifen auf der Straße, anzügliche Kommentare: Frauen müssen kein Freiwild sein, meint die niedersächsische Justizministerin.

Was Mädchen sich so anhören müssen: Kreideaktion in Berlin Foto: Paul Zinken/dpa

Hamburg taz | Niemand solle für einen „verunglückten Flirtversuch bestraft werden“, betonte Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) vergangene Woche. Da hatte die rot-grüne Landesregierung beschlossen, einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen, um einen neuen Straftatbestand zu schaffen: Auch nicht-körperliche sexuelle Belästigungen, sprich verbale Äußerungen und Gesten, sollen künftig Eingang in das Strafgesetzbuch finden.

„Viel zu viele Mädchen und Frauen müssen bislang erleben, dass Männer sie mit Worten oder Gesten zum bloßen Sexualobjekt degradieren“, sagte Wahlmann. Sexuell belästigende Äußerungen und damit vergleichbare nonverbale Verhaltensweisen seien „nicht harmlos – und schon gar kein Kompliment“.

Als „Catcalling“ hat dieses Phänomen in den vergangenen Jahren vermehrt Aufmerksamkeit bekommen: Gemeint sind damit Pfeif- oder Kussgeräusche, aufdringliche Blicke, vermeintliche Komplimente, anzügliche Bemerkungen, Kommentare über das Äußere oder auch sexuelle Belästigung auf Social Media.

Einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zufolge sind 97,2 der Tä­te­r*in­nen männlich. Frauen und diverse Personen dagegen sind deutlich stärker als Männer von Catcalling betroffen. 93,4 Prozent aller Befragten berichteten von nonverbalem Catcalling in Form von Pfeifen, Anstarren oder Anhupen, 75,4 Prozent von anzüglichen Bemerkungen, sexuellen Fragen und obszönen Witzen oder sexuellen Aufforderungen. Verfolgung, sexuelle Annäherungsversuche und Aufdringlichkeit erlebten 72,2 Prozent der Teil­neh­me­r*in­nen.

Je jünger, desto mehr

Je jünger die Befragten, desto mehr wurden sie zur Zielscheibe. Während 53,6 Prozent der über 45-Jährigen über unterschwellige sexuelle Kommentare oder Gesten klagten, waren es bei den 16- bis 19-Jährigen 82,1 Prozent.

Catcalling findet besonders oft an öffentlichen Plätzen wie Straßen oder Parks und im öffentlichen Nahverkehr statt, in Clubs und Kneipen, aber auch im Internet und an Universitäten. Nur 5 Prozent der Opfer meldeten ihre Catcalling-Erfahrung der Polizei. Das Erlebte sei ihnen zu „trivial“ erschienen, und ihnen hätten die Beweise gefehlt, so die Studie.

Damit sich das ändert, hat die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Salzgitter, Simone Semmler, 2022 eine Meldeplattform für Catcalling einrichten lassen. „Es braucht ein deutliches, sichtbares, rechtliches Zeichen, dass dieses Verhalten unrecht ist“, sagt Semmler, die bei ihrem Vorstoß mit einem Netzwerk aus Frauenbüros und Gleichstellungsbeauftragten zusammengearbeitet hat, die Aktion trug den Namen „#kein Kompliment“.

Sie sei „entzückt“, dass die Aktionen nun Wirkung zeigten, sagt Semmler. Es brauche das Zeichen, um einerseits die Täter in ihre Schranken zu weisen und andererseits zur Bestätigung der Wahrnehmung der Betroffenen, dass nicht tolerierbar ist, was ihnen geschieht.

Mit Zeugen nicht unmöglich

Für eine Strafverfolgung braucht es Beweise, das ist Semmler klar. „Mir ist bewusst, dass das schwierig ist, aber mit Zeugen nicht unmöglich.“ Vor rund 30 Jahren hätten die alten Männer im Bundestag gelacht, als Petra Kelly von den Grünen Vergewaltigung in der Ehe als Strafratsbestand forderte. Heute würde niemand mehr das Unrecht infrage stellen. Warum solle das bei Catcalling anders sein?

„Hast du kurz Bock auf eine Runde Sex?“, „Geiler Arsch, da kann man was machen“: Das sind nur zwei Beispiele von hunderten, die Hannoveranerin Lisanne Richter mit Kreide auf die Straße malt. Richter, die auch den Instagram-Channel „Catcalls of Hannover“ gegründet hat, ist Vorsitzende des Vereins „Chulk Back Deutschland“, der solche Aktionen in vielen Städten durchführt.

Eine Aufnahme von verbaler Belästigung ins Strafgesetzbuch gebe Betroffenen Sicherheit, aber das reiche nicht, sagt sie. „Um dieses Verhalten nachhaltig zu beenden, braucht es gesellschaftliches Umdenken.“ In Hannover habe „Chulk Back“ die Ratsinitiative „Catcalling is over in Hannover“ angestoßen, dabei sei das Ordnungsamt geschult worden.

Im niedersächsischen Vorstoß wird der Begriff „Catcalling“ allerdings bewusst vermieden: Er könne als „unangemessen verniedlichend“ empfunden werden; insbesondere sei es herabwürdigend, „die Betroffenen mit Katzen gleichzusetzen“, heißt es in der Einführung des Gesetzentwurfs.

Weder Belästigung noch Beleidigung

Nötig sei die Ergänzung im Strafgesetzbuch, weil nicht-körperliche sexuelle Belästigung „derzeit grundsätzlich nicht strafbar und in der überwiegenden Anzahl der Fälle auch nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet werden“ könne. Weder stellten Sprüche wie „Ich will dich ficken“ den Straftatbestand der sexuellen Belästigung dar noch den der Beleidigung. Ersterer setze eine körperliche Berührung des Opfers voraus; zweitere erfordere den Angriff auf die Ehre der betroffenen Personen. „Du Schlampe“ zum Beispiel gelte als Beleidigung der Ehre, „geiler Arsch“ hingegen nicht. Auch als Ordnungswidrigkeit können diese Taten meistens nicht verfolgt werden.

Dass eben nicht ein „verunglückter Flirtversuch“ zu einer Verurteilung führt, soll gewährleistet sein, indem nur belangt werden kann, wer „erheblich“ belästigt. Wie auch bei anderen Straftatbeständen braucht es für eine Verurteilung hier also schon einen umfassenden Angriff auf das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. In Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal und den Niederlanden gibt es bereits entsprechende Tatbestände. Als Strafmaß ist eine Geldstraße oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorgesehen.

Ob mit dem niedersächsischen Vorstoß tatsächlich das Strafgesetzbuch erweitert wird, ist offen. Mit der Bundesratsinitiative müssen zunächst die anderen Bundesländer überzeugt werden, ehe auch der Bundestag zustimmen kann. Niedersachsen schätze die Erfolgsaussichten aber als gut ein, sagte eine Sprecherin Wahlmanns: „Das ist eine Sache, die über die Partei­grenzen hinweg überzeugt.“

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2 Kommentare

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  • Ich brauche mal dringend Hilfe: Wer kann mir dies Phänomen erklären? Was wird mit dem bescheuerten Gehabe bezweckt? Hat das irgendwann in der Menschheitsgeschichte zu etwas anderem geführt als im besten Fall Augenverdrehen der so Angesprochenen, ansonsten zu Weglaufen oder besser noch Backpfeifen? Hat das schon mal geklappt? "Fikkifikki" zu rufen und die so Angesprochene antwortete "oja, bitte, nimm mich"? Bitte gerne - unter Meldung von Zeugen - hier im taz Kommentarbereich angeben.



    Mir kommt nämlich immer öfter der Gedanke, dass der männliche Teil der Menschheit einfach nicht lernfähig ist: es bringt nichts, es wird als lästig betrachtet, man festigt seinen Ruf als schwanzgesteuerter Vollhonk - und trotzdem wirds gemacht.



    Biiitte erklär mir das einer!

  • Das ist eine gute Nachricht!



    Ich hoffe auf eine erfolgreiche Gesetzgebung.



    Das Thema hat auch viel mit dem zunehmenden Verlust von Respekt zu tun, der , wie im Netz nachweisbar, deutlich zunimmt.



    Derartige Umgangsformen sind mir fremd und "das war normal". Erziehung muss manchmal vom Staat ausgehen...



    Da es schon wahlkämpfelt:



    es gibt ja einige Grüne, die meinen ihre Zukunft liege bei der CDU.



    Landesverbände wie der in NRW arbeiten bereits mit der CDU zusammen. Nun hat Wüst NOCH striktere Regeln gegen Migration gefordert. Die Grünen wirken in ihrer Unterstützung des Ministerpräsidenten nur noch wie ein mehrheitsbeschaffender Waschlappen.



    Ganz anders wirkte die im Artikel erwähnte Petra Kelly.



    Zu den erwähnten "alten Männern" , die gegen das Gesetz Vergewaltigung der Ehe stimmten, gehörte Friedrich Merz.



    Es wäre ein trauriges Zeichen der Grünen, mit so Jemandem koalieren zu wollen.



    Liebe Grüne, für mich ist Opportunismus nicht wählbar . Auch wenn Friedrich so verfährt, sein Fähnchen nach dem Wind zu drehen ist Eurer Partei nicht würdig.



    Beliebt ist der Meckermerzi übrigens nicht,



    Eure Taktik also sehr fragwürdig.