Vorschläge für den Verkehrsknotenpunkt: Hamburgs besserer Hauptbahnhof
Überlastet, eng und zu wenig Gleise: Hamburgs Hauptbahnhof ist ein Nadelöhr. Der Verkehrsclub legt Pläne für einen Bahnhof vor, an einem anderen Ort.

„Der Hamburger Hauptbahnhof ist der verspätungsanfälligste und überfüllteste Deutschlands“, sagt Jonas Spanier, Vorstandsmitglied beim VCD Nord, von dem die Idee für einen Bahnhofsneubau stammt. Nur acht Gleise hat der Hauptbahnhof, auf dem täglich 550.000 Menschen unterwegs sind. Nicht nur Fern- und Regionalzüge, sondern auch U- und S-Bahnen verkehren hier. Der ehemalige Bahnchef Rüdiger Grube hatte den Hamburger Hauptbahnhof gegenüber dem Hamburger Abendblatt mal als den größten Flaschenhals im Schienennetz bezeichnet.
Ein solches Nadelöhr wie der Hauptbahnhof steht den Plänen der Deutschen Bahn entgegen, in den 2030er-Jahren den sogenannten Deutschlandtakt einzuführen, bei dem landesweit Züge aufeinander abgestimmt in regelmäßigen Abständen fahren sollen. Um die Kapazität des Hamburger Hauptbahnhofs zu erweitern, hatte der ehemalige Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann (CDU), vorgeschlagen, einen Tunnel zu bauen: einen Verbindungsbahnentlastungstunnel (VET). In diesem Tunnel könnte dann die S-Bahn zwischen City und Altona unter die Erde verlegt werden und oberirdisch würden zwei Gleise für die Fernbahn frei.
Verdoppelung der Fernbahngleise reicht nicht
Eine Verdoppelung der Fernbahngleise – das hört sich gut an, bringt aber Jonas Spanier zufolge: gar nichts. Schon heute ende etwa jeder zweite ICE im Bahnhof Altona und verkehre auf der Verbindungsbahn zwischen dem Hauptbahnhof und dem Bahnhof Altona weitgehend leer. Spanier hat zudem ermittelt, dass ein Verbindungsbahnentlastungstunnel die Taktzeiten des Verkehrs ab Hamburg nicht verkürzen und für die schnellste Verbindung nach München sogar verdoppeln würde.
Die Bahn betont, wie wichtig die zusätzlichen Gleise seien, um die Verbindungsbahn zu entlasten. „Durch zwei zusätzliche S-Bahn-Gleise im VET würde die S-Bahn nicht mehr auf der Verbindungsbahn verkehren und damit die Auslastung der Strecke von mehr als 140 auf 80 Prozent sinken“, sagt ein Sprecher.
Der Verkehrsclub hingegen findet, das Kapazitätsproblem müsse dort angegangen werden, wo es auftrete: beim Hauptbahnhof. „Wir müssen einmal alles komplett neu denken“, fordert Spanier. Um das Angebot an Verbindungen um das mindestens anderthalbfache steigern zu können, brauche der Hamburger Hauptbahnhof 27 Bahnsteigkanten – ähnlich wie die Bahnhöfe in Frankfurt am Main oder München.
Was am Berliner Tor möglich wäre
Als Ort, wo das möglich wäre, hat Spanier den Verkehrsknotenpunkt Berliner Tor ausgemacht. Hier gibt es bereits ein Gleisdreieck sowie großzügige Straßenverkehrs- und Brachflächen. „Zehn Hektar bisher unvorteilhaft genutzter Fläche“, stünden hier zur Verfügung, um einen großen Bahnhof zu bauen, der auch für die Stadtentwicklung ein Gewinn wäre.
Jonas Spanier, VCD Nord
Wie das konkret aussehen könnte, entwickelten Studierende der Hochschule 21 in Buxtehude unter Anleitung der Professoren Philipp Kamps und Karsten Ley. „Als Bürger hätte ich mir gewünscht, dass die Bahn oder die Stadt mit solchen Ideen gekommen wäre“, sagte Alexander Montana, Vorstand des VCD Nord, bei der Vorstellung ausgewählter Entwürfe.
Die Aufgabe sah in der oberen Ebene einen Kopfbahnhof für die Fernbahn vor und in der unteren die S-Bahn sowie je zwei Durchgangsgleise von Ost- oder Süddeutschland Richtung Fehrmarnbelt oder Flensburg.
Ein Bahnhof wie ein Wald
Der ungewöhnlichste Entwurf von Laura Kindler und Malte Nickel erinnert an einen Wald aus baumähnlichen Stützen mit runden Dächern. Er erstreckt sich in das umliegende Quartier hinein und soll mit den auf den Bahnhof zulaufenden Grünachsen verschmelzen.
Der Bahnhof mit begrünten Brüstungen im Inneren soll auch von den Menschen in der Umgebung genutzt werden, etwa mit Märkten oder Spielplätzen. Abzureißende Hochhäuser sollen durch drei Neubauten in der Umgebung ersetzt werden.
Alexander Montana, Vorstand des VCD Nord
Ein anderer Entwurf betont die aus verschiedenen Richtungen auf den Bahnhof zulaufenden Gleise, die mit filigranen Halbröhren überdacht werden sollen. Quer darüber liegt eine Brücke, die alle Gleise erschließt. Die Halbröhren sollen sich zu einem Vorplatz öffnen, von dem aus Passagiere, direkt zu den hier endenden Zügen gehen können. Drei Backsteintürme betonen die Eingänge.
Verkehrsclub rechnet sich Chancen aus
Die Entwürfe mussten mit einer Höhendifferenz von zehn Metern auf dem Gelände zurechtkommen, weswegen zwei Entwürfe massive Sockelgebäude mit lichten Hallen darüber vorschlagen. Ein Entwurf schlägt eine bespielbare Leuchtfassade vor. Die Entwürfe zeigten, „wie wichtig sich so ein Gebäude machen muss“, sagte Architekturprofessor Kamps. Es sei notwendigerweise raumgreifend und brauche wohl auch noch reichlich Platz drumherum, so dass wohl auch ein paar Bestandsgebäude dran glauben müssten. Die vorhandenen Straßen sollen unter den Bahngleisen hindurchgeführt werden.
Der Verkehrsclub VCD rechnet sich Chancen aus, dass über den Bahnknoten Hamburg neu nachgedacht wird. Das Projekt VET sei „mittlerweile faktisch eingestellt“ und werde nicht mehr aktiv vorangetrieben. Zudem hätten die Bahn und die Stadt im Rahmen des Dialogforums Schiene Hamburg-Altona, an dem sich auch der VCD beteiligt, garantiert „offen zu sein für bessere Lösungen zur Erreichung der Ziele, wenn sie sich verfahrensbegleitend ergeben“. Ein Sprecher der Bahn sagt: „Der Bund wird nach unserer Kenntnis eine Kostenstudie für Hamburg beauftragen.“
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