Vorentscheidung ESC: Neue Deutsche Angst
Um 20.15 Uhr zeigt die ARD die Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest. Es treten fast nur Neulinge an, Stars scheuen das Risiko
Einerseits ist alles wie immer. Im Frühjahr veranstaltet die ARD eine Show, bei der ein Act für den Eurovision Song Contest im Mai ermittelt wird. In den vergangenen drei Jahren waren das Casting in Kooperation mit Stefan Raabs TV-Firma Brainpool. Der allerdings hat sich aufs Altenteil zurückgezogen – Motto: Alles gereicht, nichts mehr steigerbar.
Und jetzt? Ist es so, wie Anke Engelke, die Moderatorin des heutigen Abends, sagte, dass nun alles am Anfang ist, man müsse ein neues Format probieren – denn: Casting war gestern? Thomas Schreiber, Chef der ARD-Unterhaltung und des deutschen ESC-Engagements, sagt: „Das Ziel, ein deutsches Melodifestival zu veranstalten und eine dem schwedischen Vorbild vergleichbare Breitenwirkung zu erzielen, bleibt. Aber es hängt wesentlich von der Bereitschaft der Musiker ab, sich auf das Abenteuer ESC einzulassen.“
Das ist ein mächtiges Ziel, die schwedische Vorentscheidung zum ESC ist die wichtigste Popmesse des Landes. Quoten im Monsterbereich erntet das schwedische Fernsehen SVT.
Davon ist die ARD noch weit entfernt. Hierzulande hat der öffentlich-rechtliche Sender mit seinem Image zu kämpfen. Musik? Wenig Cooles, Angesagtes, dafür Volksmusik und ein Publikum, das auch in puncto Neugier im Ruhestand weilt.
Die Etablierten riskieren viel
Und damit ist das Problem umrissen: Heute Abend treten in der größten Messearena von Hannover zwölf Acts an – und die meisten sind keine Stars. Okay, die Söhne Mannheims machen mit, aber ohne Xavier Naidoo, auch Cascada, eine Dancecombo, die nie nur national arbeitete. Sonst sind es Newcomer aus den Weiten des Pop. Thomas Schreiber sagt: „Ich freue mich über die Söhne Mannheims oder Cascada, die haben Mut, sich diesem Contest zu stellen.“ Andere Künstler hatten diesen Mut nicht. Schreiber will das nicht kritisieren: „Das muss man unbedingt respektieren – wer will schon schlechter als auf dem ersten Platz abschneiden? Die arrivierten Künstler – die riskieren viel.“
Man kennt die Namen derer nicht, die gekniffen haben – aber man munkelt von Nena, Juli oder Peter Fox. Ein Manager einer arrivierten Künstlerin sagt: „Schon ein Platz zwei wäre eine Niederlage – wer will mit diesem Makel schon noch auf Tour gehen?“
Aber die Musikindustrie habe, so Thomas Schreiber, nicht dirigiert: „Ansagen hat es von dort nicht gegeben, wer mitmachen darf oder nicht.“
So spricht womöglich einer, der es sich nicht verderben darf mit den Leitstellen der Popindustrie. Die ARD und ihre Unterhaltung – das sei eben auch ein Projekt, nicht nur als Abspielstation für klassischen Schunkelschlager wahrgenommen zu werden. „Echo“ oder andere Shows in der ARD sollen die Glaubwürdigkeit unterfüttern.
Wozu auch zählt, auf eher unseriöse Performances wie von Rudolf Moshammer, Zlatko oder Fancy zu verzichten. Unterhaltungschef Schreiber sagt: „Bestimmte Krawallauftritte wie früher wird es nicht geben. Inclusive Vorarbeit hat es Jahre gebraucht, solch ein Teilnehmerfeld zusammenzubekommen. Dass wir als ARD ein Stück weit besser dastehen, hat auch mit der Zusammenarbeit beim ’Echo‘ zu tun, mit der Kooperation mit Brainpool und mit den Talentsuchen, die Lena und Roman Lob hervorgebracht haben.“
Hoppel-Bläser aus Bayern
Über Sieger und Verlierer will er keine Auskunft geben, natürlich. Eventuell erwischen ja Newcomer wie Ben Ivory oder Mia Diekow, Blitzkids oder Mobilee ein Momentum von mitreißendem Entertainment. Oder die bayerischen Ex-Trikont-Bläser von LaBrassBanda – Letztere eindeutig mit der trendigsten Musik, Hoppel-Bläser-Pop, als sei’s ein Stück Lärm vom Balkan.
Die Erfolgslatte des NDR für die Show heute Abend liegt nicht in Quoten im Langfristvergleich. Man wolle Tagessieger werden; im ZDF läuft eine Pilawa-Show, auf RTL „Alarm für Cobra 11“.
Jan Feddersen bloggt auf der NDR-Seite regelmäßig zum ESC
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