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Vorbilder der KindheitEin Hoch auf die Tanten

Ohne ihre zwei Tanten wäre unsere Autorin nicht, wer sie heute ist. Sie findet: Es ist an der Zeit, die Tante zu feiern.

Ein Hoch auf das Tante-Sein Foto: Silas Stein/imago

G eile Tante. Ja, vielleicht werde ich einfach eine. Ob ich mal Elternteil werden will, werde ich oft gefragt, ob ich Tante werden will nicht. Dabei ist es ja wohl an der Zeit, das Tantensein so was von abzufeiern.

Ohne meine zwei Tanten wäre ich heute nicht, wer ich bin, nicht, wo ich bin, und nicht, wie ich bin

Ohne meine zwei Tanten wäre ich heute nicht, wer ich bin, nicht wo ich bin und nicht wie ich bin: Wer nimmt denn bitte für seine zwölfjährige Nichte jede „Star Trek“-Sendung auf Videokassetten auf und schickt sie ihr alle paar Wochen per Post, weil zu Hause das Kabelfernsehen zu teuer ist? Wer lässt denn genau diese Nichte, die gerade ihr queeres Erwachen hat, nach dem Abi bei sich in den USA wohnen, sodass sie dort nicht nur Gender Studies entdecken, sondern vor allem eine ­Cousine fürs Leben kennen lernen wird, die nun das niedlichste kleine Bündel von Mensch großzieht?

Nenncousine würde man auf Old-School-Deutsch wohl sagen. Da verstecken sich überhaupt so einige Sprachsnacks: Base, Muhme, Oheim, immer so über Kreuz, ob nun Mutter- oder Vaterseite, sind das Vaterschwestern, Mutterschwestern, der Mutterbruder. Erbrechtlich dichotom einmal durch die Jahrhunderte so durchgedacht, nur dass sich mit der Zeit die Alterslinien verschieben, aus Base plötzlich Cousine wird oder ganz allgemein eine weibliche Verwandte. Das tolle am Oheim, Lateinisch Avunculus? Seine soziale Elternschaft wurde gefeiert. Wo ist dieses ganze Wissen, wo sind diese Praktiken eigentlich hin?



Scheinbar alles verschüttet unter der 2. Bedeutung von Tante, die der Duden ausspuckt: nämlich, „… Tante (abwertend)“. Alte Tante, Klatschtante, ihr kennt das ja. Gefühlt macht die deutsche Sprache hier mal wieder einen auf Alleingang. In Italien oder Mexiko ist „Zia“ oder „Tia“ ein liebevoller Ausdruck für ältere Verwandte oder Menschen, die man sehr schätzt und respektiert.

Verwandtes Wort oft „kinderlos“



In Wörterbüchern wird bei „Tante“ als verwandtes Wort oft „kinderlos“ angegeben. Das kennen die Briten wiederum auch. Tante = kinderlos, das geht in Richtung „Spinster“, wobei die Spinsters, die Jungfern, wie die Jungfrauen der Antike ja einfach die Frauen sind, die sich entscheiden, keine Ehe mit einem Mann einzugehen. Da, wo Abwertung angehängt wird, ist ja meist eine Stärke zugegen, mit der irgendjemand nicht klarkommt.



Von wegen kinderlos: In der Linguistik ist „Tante“ auch ein Wort, dass in der Sprache von Kindern im Altfranzösischen eine sogenannte spielerische Umbildung erfuhr. Klingt ja auch bisschen wie „aunt“ nur mit T vorne dran, oder? Da müssen ganz schön viele Kinder ständig Tante gesagt haben, um es in die Sprachwissenschaft zu schaffen. Und das Wort ist verwandt mit dem Lallwort „Amme“ – „Lallwort“. Was für eine großartige Wortschöpfung, da ist mir das Deutsch für einen Moment wieder weich und warm.

Die besten Vorbilder



Ich jedenfalls habe meine Tanten selten „Tante“ genannt. Wieso mit diesem abwertenden Hauch hantieren, wenn ich in meinen Tanten die zwei besten Vorbilder hatte und habe, die man sich nur wünschen kann. 



Gerade haben wir uns entschieden, das Grab meiner Tante, die mich mit den Stapeln lebensrettender Science-Fiction versorgt hat und die viel zu früh gestorben ist, für weitere zehn Jahre zu behalten. Was sollten wir auch anderes antworten auf eine Auflösungsanfrage. Wir pilgern gern zweimal im Jahr in die Stadt, in der niemand mehr von uns lebt. Weil wir dann alle wieder zusammen sind.

Danke, liebe Tanten. Ich komm in euren Klub.

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Noemi Molitor
Redakteur:in
Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. 2022-2024 Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle von Queer-Theorie, abstrakter Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.
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2 Kommentare

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  • Also meine Tante war eher destruktiv, der Apell, alle Tanten zu ehren, weil alle Tanten gute Menschen seien, nur weil sie Tanten sind, ist schon sehr naiv.

    Fangt doch bitte erst einmal an, Mütter Mutterschaft ausreichend gegen Abwertung / Diskriminierung und berufliche Schlechterstellung zu schützen, damit die Versorgung von Kindern überhaupt angemessen bewerkstelligt werden kann, und damit sich Frauen überhaupt für Kinder entscheiden können, ohne ihren existenziellen Stand auch in rententechnischer, beruflicher und



    gesellschaftlicher Anerkennung zu verlieren.

  • Genau Genau “Vorbilder der Kindheit: Ein Hoch auf die Tanten und Onkels!



    Ohne meine eins zwei drei ff Tanten und Onkels - wäre ich - wie unsere Autorin nicht, wer sie und ich heute sind. Sie findet wie ich:



    Es ist an der Zeit, die Tante und Onkels zu feiern.



    Hurra 🎉 Hurra 🎉 - So siehste mal - geht’s fei genderneutral!

    🎉 Ok Ok - Denn n Tusch 🍾🥂 auf den ollen Busch! 🎉



    “"Vater werden ist nicht schwer, / Vater sein dagegen sehr", lautet eins seiner geflügelten Worte, die selbst in der zitatarmen heutigen Zeit noch kursieren; und doch gilt ebenso: "Onkel heißt er bestenfalles, / Aber dieses ist auch alles."