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Vorbild für die „Transitzonen“Das Niemandsland auf dem Flughafen

Horst Seehofers „Transitzonen“ gibt es längst: Flüchtlinge werden bis zu 19 Tage im „Flughafenverfahren“ am Frankfurter Airport festgehalten.

Flüchtlinge erleben den Aufenthalt wie eine Internierung, so Bernd Mesovic von Pro Asyl (Archivbild 2003) Foto: dpa

FRANKFURT AM MAIN taz | Das Gebäude 587 in der Frankfurter Cargo-City-Süd, in unmittelbarer Nachbarschaft des Frankfurter Flughafens ist von außen gesichert wie ein Gefängnis. Hohe Zäune, nach innen abgewinkelte Pfosten, überall Überwachungskameras.

Tausende Flüchtlinge sind hier gestrandet, seit 1993 als Reaktion auf gestiegene Asylbewerberzahlen das „Flughafenverfahren“ eingeführt wurde. Menschen, die auf dem Frankfurter Flughafen ankommen und die nicht die erforderlichen Papiere vorzeigen können, landen hier im Transitzentrum, im Niemandsland neben dem Flughafengelände. In dem schmucklosen, zweistöckigen Gebäudekomplex, der einen grasbewachsenen Innenhof mit ein paar Bäumen umschließt, werden Männer, Frauen und Kinder untergebracht, während die Behörden die Rechtslage prüfen.

Juristen nennen das, was hier geschieht, eine „fiktive Nichteinreise“. Obwohl die Ankommenden deutschen Boden betreten haben, bleiben sie im Transitbereich, reisen formal also nicht ein. Es gibt eine amtliche Überprüfung des Einzelfalls. Wenn kein begründeter Asylantrag vorliegt oder die Einreise aus anderen Gründen verweigert werden kann, muss der oder die Reisende Deutschland umgehend verlassen. Er oder sie wird „zurückgeführt“, muss also in das Land zurückfliegen, aus dem er oder sie kam. Hat jemand Geld, muss er den Rückflug selbst bezahlen. Hat er keins, muss die Fluglinie dafür aufkommen, die ihn eingeflogen hat. Bis über einen Fall entschieden ist, darf der oder die Betroffene die Einrichtung nicht verlassen.

In den ersten beiden Tagen des Aufenthalts müssen die Mitarbeiter des Bundesamts die Angekommenen anhören. Spätestens nach 19 Tagen dürfen die Menschen die Einrichtung wieder verlassen – in die eine oder die andere Richtung.

In der Einrichtung hat es im vergangenen Jahr 18 Fälle von Selbstverletzung oder Suizidversuchen gegeben

Es gibt zwar Freizeiteinrichtungen, etwa Tischtennisplatten oder einen Tischkicker. Trotzdem beschreiben Flüchtlingshelfer die Lebenssituation im Transit als trostlos. „Abgeschnitten von der Außenwelt ist es eine Art Internierung“, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Auf eine Anfrage der Linkspartei im Hessischen Landtag musste das Landessozialministerium zuletzt mitteilen, dass es in dieser Einrichtung im vergangenen Jahr 18 Fälle von Selbstverletzung oder Suizidversuchen gegeben hat.

Neben pro Asyl kritisieren auch die beiden großen Kirchen das Flughafenverfahren. Die Flüchtlingsseelsorge der evangelischen Diakonie beklagt zum Beispiel, dass in dieser Einrichtung auch Kinder und Schwangere untergebracht werden, die nicht selten eine lange Leidenszeit hinter sich hätten und traumatisiert seien. Diakonie und Caritas haben einen Hilfsdienst eingerichtet. Das kleine Team führt Gespräche, vermittelt Anwälte und Dolmetscher oder sorgt für psychologische Betreuung.

Die überwiegende Zahl derer, die das Flughafenverfahren durchlaufen haben, werden anschließend in die Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen gebracht, weil sich die komplizierten Fragen von Asyl und Bleiberecht in der kurzen Frist oft nicht endgültig klären lassen. Nach einem Bericht des Hessischen Rundfunks durften im vergangenen Jahr von 380 Personen 300 zunächst bleiben, lediglich 80 wurden direkt vom Flughafen aus wieder abgeschoben.

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