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Vor der Wahl in Baden-WürttembergNichts ist egal in Wasiristan

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Viel spannender als in Bayern: Die Wahl in Baden-Württemberg kann historische Bedeutung haben. Und das sogar in mehrerlei Hinsicht.

Überall nur Kretschmann? Ach was, auch auf die FDP wird zu achten sein. Foto: dpa

S eit Anfang des Jahres muss man den Eindruck haben, dass Deutschland in Bayern liegt. Kreuth, Seehofer, Söder, Seehofer, Dobrindt, Seehofer, Kreuth. Die CSU führt den wichtigtuerischen Titel „Regierungspartei“, und wenn sie zu Pressekonferenzen einlädt, hält halb Polit-Berlin den Atem an. Lässt man allerdings die Realität ins Leben sickern, erinnert man sich, dass die CSU bloß eine Regionalpartei ist. Und Bayern ein Bundesland, in dem die politischen Verhältnisse entsetzlich langweilig sind.

Das politisch erstaunlichste Bundesland dieses Jahresanfangs ist ein anderes: Baden-Württemberg. Am 13. März wird dort der Landtag gewählt – und diese Formulierung hört sich noch zu gewöhnlich an, allein wenn man bedenkt, welches Personal im Südwesten um die Macht streitet.

Oder hat Bayern einen grünen Ministerpräsidenten, der bis weit in die Mitte vorgedrungen ist? Der sogar unter Unionsanhängern beliebter ist als deren eigener Spitzenkandidat, Guido Wolf; dessen wiederum bekannteste Tat die feierliche Übergabe eines Stoffwolfs an Angela Merkel ist. In Bayern ist auch der Kronprinz des Ministerpräsidenten langweiliger: Während Seehofers Markus Söder der eigenen Partei ständig Zuckerle spendiert, verabreicht Kretschmanns Boris Palmer den Seinen irgendetwas zwischen saure Gurke und Salzlakritz.

Bayern hat auch keinen Politclan vom Rang der Schäuble-Strobls, der Patriarch Finanzminister, der Schwiegersohn Parteivize; die Degeto hätte das längst als ARD-Soap inszeniert, wenn die Degeto-Chefin – Schäubles älteste Tochter – nicht selbst zum Clan gehörte. Bayern hat keinen SPD-Finanzminister, der türkisch spricht. Keine FDP-Generalsekretärin, die als Insolvenzanwältin ihr Geld verdient. Keine sozialökologischen Rebellen, die die Realo-Grünen in den Gemeinderäten herausfordern. Baden-Württemberg aber bietet all dies.

Ganz anders als Bayern

Nun werden unverbesserliche CSU-Fetischisten sagen: Ist ja ein schönes Spätzlespektakel in Stuttgart. Aber am Ende eben doch nicht mehr als Unterhaltung. Geht doch maximal darum, ob es Kretschmann – für viele Linke das blassgrüne kleinere Übel – noch einmal schafft. Aber das ist zu klein gedacht. Diese Haltung fußt auf altem Defätismus, gewachsen in dem halben Jahrhundert, als im Ländle tatsächlich die CDU-Regierungsmacht zementiert war. Der Südwesten wurde ja jenseits des Maultaschenäquators sogar noch nach der Kretschmann-Wahl als Skurrilität abgetan: als Absurdistan. Jürgen Trittin verglich die Gegend sogar höhnisch mit Wasiristan, einer Bergregion in Pakistan, die die Zentralregierung nicht unter Kontrolle bekommt.

Aber all das ist jetzt die falsche Perspektive, denn in Baden-Württemberg könnte nach dem 13. März Geschichte geschrieben werden – sogar in mehrerlei Hinsicht.

Die AfD kann erstmals in das Parlament eines westdeutschen Flächenlandes einziehen. Das gilt zwar auch für Rheinland-Pfalz, wo die Partei in den Umfragen zurzeit ebenfalls zweistellig ist. Aber Baden-Württemberg ist als drittbevölkerungsreichstes Land größer. Zudem dürfte am Wahlabend in Stuttgart mit Jörg Meuthen nicht irgendein AfD-Kandidat auftrumpfen. Der Wirtschaftsprofessor ist eine Art Ersatz-Lucke und Co-Bundesvorsitzender neben Frauke Petry. Er hat Potenzial, die rassistischen Züge im Profil der Partei weichzuzeichnen.

Dann die CDU Baden-Württemberg. Sie war auch in den fünf Kretschmann-Jahren in Umfragen immer stärkste Partei. Mit der Wahl 2016 hat sie stets die Erwartung verbunden, dass sie zurück an die Macht gespült wird. Die Niederlage von 2011 wurde als Ausrutscher abgetan, der aus einem einmaligen Gemisch resultierte: der Gigantomanie von Stuttgart 21, der Grobschlächtigkeit des Stefan Mappus und dem Grauen von Fukushima. Doch so ist es nicht.

Die Wahl in Baden-Württemberg ist mehr als nur ein Spätzlespektakel

Während die Werte der Südwest-CDU früher stets weit vor der Bundes-CDU lagen – auch bei der Bundestagswahl 2013 –, steht sie nun schlechter da. Der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf laviert in der Flüchtlingspolitik zwischen Merkel und Seehofer. Kretschmanns Positionen sind von denen der Kanzlerin kaum zu unterscheiden. Wolf bliebe nur eine Abgrenzung von Merkel, aber die kann er sich nicht leisten. Ein anderes Thema hat er nicht. Bleibt eine Schönheitskonkurrenz der Spitzenkandidaten, die gegen den beliebten Kretschmann nicht zu gewinnen ist.

Der baden-württembergische Landesverband ist der zweitgrößte der CDU. Beim Aufstieg der Angela Merkel spielte er eine entscheidende Rolle, im Falle einer Niederlage könnte er sie extrem schwächen.

Wie keine andere Partei ist die Union aufs Regieren fixiert. Würde Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz Ministerpräsidentin, würde das zwar Merkel helfen. Aber wenn zugleich die CDU in Baden-Württemberg in der Opposition bleibt und somit die Niederlage von vor fünf Jahren nicht mehr als Panne gesehen werden kann, hat das Folgen. Die Hochburg im Südwesten: eine Ruine. Die Wut in der Partei: so laut, dass Seehofers Drohungen rückblickend als Kreuther Knallerbsen erscheinen.

Mögliche Kretschmann-Ampel

Aber wie soll das passieren? Rumpelt Guido Wolf mit, sagen wir mal: 35 Prozent ins Wahlstudio, könnte er sich immer noch aussuchen, ob er mit den Grünen – zurzeit bei 28 Prozent – oder der SPD – 15 Prozent – eine Regierung bildet. Allerdings bleibt eine dritte, noch nie dagewesene Option. Grün, Gelb, Rot. Die umgedrehte Ampel, die Kretschmann-Ampel.

Die SPD, auf die Rolle der Mehrheitsbeschafferin reduziert, könnte zwischen Wolf und Kretschmann wählen. Und die FDP? Sie hat in ihrem Stammland eine stabilere Grundlage als anderswo und darum gute Chancen, es wieder in den Stuttgarter Landtag zu schaffen. Die Kretschmann-Ampel böte ihr Ämter, Ansehen, Aufmerksamkeit. Bundespolitisch brächte eine solches Bündnis der FDP Dynamik, sie würde nicht länger als Wurmfortsatz der Union gelten. Stattdessen bekäme sie eine neue Regierungsoption. Und SPD und Grüne auch. Auf einmal könnten sie wieder von einer Bundesregierung ganz ohne CDU träumen, dazu noch ohne Seehofers Regionalpartei.

Es wäre nichts weniger als ein neues Machtmodell. Über Baden-Württemberg hinaus. Nichts ist egal in Wasiristan.

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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30 Kommentare

 / 
  • 3G
    31955 (Profil gelöscht)

    "Die Hochburg im Südwesten ein Ruine."

    Frau konnte förmlich spüren, wie Löwisch diebischen Spaß daran hatte diese bröckelnden Zeilen zu schreiben, ich grinse noch.

     

    Genau: So muss Artikel.

     

    Ich freue mich jetzt schon auf den 13.03., vor der Glotze sitzend, die drögen Kommentare der alten und neuen Verlierer tief einsaugend. Vielleicht wird es ein karnevalistischer Nachschlag.

     

    Die kunterbunte Spätzlefraktion wird sich schon irgendwie an die Macht streichen und lecken.

     

    Und die Totgeschwiegenen? Werden sie nur das Fähnchen schwingen?

  • Zum Thema ein Titel von ZON:

    "Grüner MP Kretschmann betet jeden Tag für Merkel".

     

    Tja.

  • Jürgen Trittins Witz wurde wohl überhaupt nicht verstanden. Waziristan bezog sich nicht auf de ferne Bergregion im Hindukusch sondern auf Hessen mit dem Grünen Al Wazir. Da macht Trittin mal einen guten Witz und keiner kapiert ihn.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Jochen Rohwer:

      Das ist schon manchem guten Witz so ergangen.

      Gute Witze sind eben nur für Minderheiten "gut"...

    • @Jochen Rohwer:

      Na - besser - als

      Alle Spätzles sitzen -

      Grünlich aufm Sofa &

      Nehmen übel!

      kurz - K-ler unter sich;)

  • Der große Zuspruch von Konservativen, Stockkonservativen und rechtem Spektrum, den die Grünen im Schländle erfahren, zeigt, wie überflüssig sie geworden sind.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Schon bemerkenswert, dass die CDU dort in Umfragen immer noch stärkste Partei ist.

      Trotz (oder wegen) Mappus, T. Gönner u. a. rabenschwarzen Wasserwerfern, die es nie gewesen sein wollen.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Natürlich nicht trotz sondern wegen. Genau deshalb gibt sich der Kretsche ja solche Mühe, kompatibel zu werden.

  • Inhaltlich bilanziert sieht es halt finster aus in BaWü. Kernkompetenz Umwelt:

    Feinstaubalarm in Stuttgart mit dem kühnen Fritz und Energiewende bei der EnBW mit BaWü als Hauptaktionär eine träge Masse. Ziemlich enttäuschend spielt aber alles keine Rolle, da nur über % hin oder her diskutiert wird oder um Meinungen oder Standpunkte einzelner Personen. Palmer, Wolf, Kretschmann, Schmid.... austauschbare Opportunisten dominieren die Schlagzeilen.

     

    Dann haben wir eben auch kein anderes Politikergebnis zu erwarten.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Tom Farmer:

      Man nennt sie doch lieber "Realpolitiker", wobei Wolf der wäre, den ich nicht für "austauschbar" einschätze. Gegen wen auch?

  • Nach den jetzigen Umfragen würde in BaWü den Wählern schwarzgrün am besten passen. Wäre auch schon bei der letzten Wahl möglich gewesen, aber wegen Mappus auch von Seiten der CDU nicht denkbar.

     

    Schwarz-grün.

    Ich habe einige Jahre mal da gelebt.Ich denke, schwarzgrün verdient auch ein Land, in dem NPD, Reps und bald die AfD mit guten Ergebnissen im Landtag waren und wo Handgranaten auf Flüchtlingsheime geschmissen werden.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Age Krüger:

      "Schwarz-grün.

      Ich habe einige Jahre mal da gelebt.Ich denke, schwarzgrün verdient ..."

       

      Die Rechtsextremen sind bekanntlich nie lange im Landtag gewesen. Vielleicht fehlen Ihnen doch ein paar Jährchen, um mitschwätzen zu können.

      KLAUSK, 69 Jahre in BaWü

      • @571 (Profil gelöscht):

        Mir reichten drei Jähre, um zu wissen, dass mir nicht die Regierungen in Ba-Wü problematisch erscheinen, sondern die spießigen Bewohner.

        Man verdient da gut, das ist aber auch wirklich alles, was mir das Schändle bieten konnte.

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @Age Krüger:

          "... das ist aber auch wirklich alles, was mir das Schändle bieten konnte."

           

          Schade, dass Sie sich zu solchen Pauschalisierungen hinreißen lassen.

          Vielleicht gibt es im "Schändle"(?) mehr Spießer (die mich auch nerven) als anderswo, dafür aber auch jede Menge liberaler und toleranter Mitmenschen, selbst unter den weniger Verdienenden.

          • @571 (Profil gelöscht):

            Ich pauschalisiere ja eben nicht, da ich klar über mich schreibe. Wenn es Leute gibt, die unmenschliche Steigungen oder Filbingers und Schäubles lieben, dann wünsche ich denen viel Spaß dort. Für mich als jetziger Niedersachse ist das alles nix.

             

            Aber in einem Punkte muss ich doch noch sagen, dass Baden-Württemberg was hat. Die Küche ist hervorragend und zumindest nach Baden-Baden und nach Baiersbronn fahre ich bis heute gerne.

  • "Oder hat Bayern einen grünen Ministerpräsidenten, der bis weit in die Mitte vorgedrungen ist?"

     

    Nein, aber einen schwarzen solchen. Nur - was spielt dabei die Farbe für eine Rolle?

     

    Was im Schländle sonst immer schwarze Ministerpräsidenten machten, nämlich schwarze Politik, macht jetzt halt ein Grüner weiter. Und Radwege kriegen die Kommunen auch ohne Grüne hin. Ergo: Es ist wieder mal Wurschtwahl im März - wurscht, wer gewinnt.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      "Was im Schländle sonst immer schwarze Ministerpräsidenten machten, nämlich schwarze Politik, macht jetzt halt ein Grüner weiter."

       

      Der Grüne hatte noch keine Zeit, den schwarzen Filz von Jahrzehnten CDU zu beseitigen. Die CDU BaWü hielt sich ja schon für die Eigentümerin des Landes, der CSU in Bayern von daher nicht unähnlich.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Wenn man sich nicht die Mühe macht genau hinzusehen, ist es nicht verwunderlich wenn alles gleich aussieht...

  • schön. nur wirken die grünen in bw wie der rechte flügel der cdu mit ausnahme der agrarwende.

    • @Worst Case:

      Sehr treffend formuliert!

    • @Worst Case:

      @ worst case - Die Umfragen zeigen, dass die Grünen ihr letztes Wahlergebnis sogar noch steigern können. Sie werden ein historisches Ergebnis einfahren. Von daher kann ihre Kritik den Grünen in Schwaben reichlich am Bart vorbeigehen.

      Zudem ist es ein Unterschied, ob man Opposition ist, oder regiert, und vor einem Haufen Problemen steht.

      • @Rohloffbiker:

        nun ja, was nutzt es, wenn eine linke partei in den landtag kommt, die weit entfernt von linker politik ist? da könnte man auch gleich die cdu wählen.

      • @Rohloffbiker:

        Das mit den Grünen kann schon sein aber zu Lasten der SPD - die verliert ca 10% sagen die Meinungsforscher. Ausserdem ist die umgedrehte Ampel für Berlin völlig utopisch - da kommen die 3 nicht mal auf 40% zusammen - wenn die FDP überhaupt wieder reinkommt

        • @Peter Guenther:

          wer braucht den die FDP für Berlin?

           

          Aktuell hätten SPD, Grüne und Linke eine Mehrheit im Bundestag!

        • @Peter Guenther:

          @ Peter Günther . Ich bin einige Jahre politisch aktiv gewesaen, und habe im Stadtrat einer 25.000 Einwohner Stadt gesessen. Eines habe ich dabei gelernt. Die Konfrontation mit der Realität macht aus jedem Fundi einen Realo. Je mehr Leute Revoluzzer sein wollten, desto spießiger waren sie am Ende. Deshalb richte ich mein Leben nach dem Machbaren aus. Und da denke ich, dass Kretschmann im Ländle auf dem richtigen Weg ist.

  • "Kretschmanns Positionen sind von denen der Kanzlerin kaum zu unterscheiden."

     

    reicht als kommentar

    • @hh:

      welche Positionen hat denn die Kanzlerin?

       

      ich geb mal ein paar Beispiele:

      - "PKW-Maut wird es mit mir nicht geben"

      - "wir schaffen das"

      - "Stirbt der Euro stirbt Europa"

       

      und was sagt uns das jetzt?

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @Grisch:

        Nichts.

        Es gibt (immer noch) keine Maut, das Flüchtlingsproblem könnte noch gelöst werden (Geduld!) und den Euro gibt es auch noch (eine ganze Weile).

         

        Was sagt Ihnen das?

         

        (Übrigens waren vermutlich nicht gerade die europapolitischen Themen gemeint.)

  • Ich hoffe, die Vernunft wird siegen - also noch ein paar Jahre Kretschmann! es gibt noch genügend zu tun im Ländle um das Land zukunftsfähig zu machen...

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Grisch:

      Sie wird nicht siegen.

      Dazu sind die Grünen als Partei noch zu schwach gegen Jahrzehnte der schwarzen Übermacht im Land.