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Vor der Parlamentswahl in ÄthiopienNoch eine Trophäe fürs Triple

Äthiopiens Premier Abiy Ahmed ruft sein Land zu den Wahlurnen. Mitten im verheerenden Krieg in der Region Tigray will er seine Legitimation stärken.

Macht hat er, jetzt will er Legitimation: Äthiopiens Premier Abiy Ahmed Foto: Tiksa Negeri/reuters

Nairobi taz | Zwei wichtige Wahlen hat Abiy Ahmed in seiner bisherigen politischen Laufbahn gewonnen. Im Frühjahr 2018 bestimmte ihn die Führungsriege der äthiopischen Regierungskoalition zum neuen Premierminister, als Nachfolger des zurückgetretenen Hailemariam Desalegn. Und im Herbst 2019 verlieh ihm das Nobelpreiskomitee in Oslo für seine Aussöhnung mit Eritrea den Friedensnobelpreis. Was dem 44-jährigen Abiy aber noch fehlt, ist eine Wahl durch das äthiopische Volk.

Am 21. Juni will er das ändern und seine Führerschaft bestätigen lassen. Bei den äthiopischen Parlamentswahlen am Montag können 37 der 110 Millionen Einwohner des Landes Abgeordnete wählen, die dann den Premierminister bestimmen. Nach offiziellen Angaben bewerben sich über 9.000 Kandidaten, so viele wie nie zuvor. Doch es ist kein günstiger Zeitpunkt für eine Wahl: In der Kriegsregion Tigray droht eine Hungersnot und in anderen Teilen des Landes kommt es zu ethnischen Spannungen und Gewalt.

Noch vor anderthalb Jahren wurde Abiy weltweit als Reformer und Friedensbringer gefeiert. Aber seit November 2020 ist seine Regierung verwickelt in einen bitteren Krieg mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die bis zum Kriegsbeginn in der im Norden des Landes gelegenen Region Tigray regierte und vor Abiys Amtsantritt auch die äthiopische Regierung dominierte. Es ist ein Krieg, der das Potenzial hat, Äthiopien zu zerreißen.

Dabei feuerte zwar die TPLF die ersten Schüsse ab, aber die nationale Armee Äthiopiens schlug unbarmherzig zurück. Die TPLF zog sich zurück in die Berge und formierte sich als Rebellenarmee in Guerillastruk­turen.

Eritreas Rolle im Konflikt

Was Ahmed Abiy als schnellen Militärschlag gegen eine rebellische Regionalregierung bezeichnete, hat sich zu einer Strafaktion gegen die Bevölkerung entwickelt. Millionen von Menschen sind auf der Flucht. Viel Gewalt gegen die Einwohner Tigrays scheint dabei auch von der Armee des Nachbarlandes Eritrea zu kommen – Eritrea war lange mit Äthiopien verfeindet und als die beiden Länder von 1998 bis 2000 gegen­einander Krieg führten, war die TPLF der militärische Hauptgegner Eritreas.

Jetzt hat Abiy Eritrea geradezu dazu eingeladen, die TPLF in Tigray zu zerschlagen. Schon kurz nach Beginn des Krieges gab es Meldungen von verbreiteten Hinrichtungen, Vergewaltigungen und Plünderungen. Die äthiopischen und eritreischen Regierungen wiesen die Vorwürfe zurück, später bezichtigte Äthiopien dann ­Eritrea, für Übergriffe verantwortlich zu sein.

Infografik: infotext-berlin.de/A.E.

Die äthiopische Regierung und ihre Alliierten aus Eritrea haben mit ihrem Vorgehen in Tigray zudem dafür gesorgt, dass eine durch Menschen verursachte Hungersnot vor der Tür steht. Es ist ein Krieg mit Methode, sagen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Landwirtschaftliche Maschinen werden von den Soldaten zerstört und Saatgut vernichtet, das gerade in der im Juni beginnenden Regensaison ausgesät werden müsste. Abebe Gebrehiwor, Vizechef der von Äthiopiens Regierung eingesetzten Übergangsbehörden in Tigray, erklärte gegenüber der Presseagentur AP: „Es ist nicht die äthiopische Armee, die versucht, die Landwirtschaft zu verhindern. Es sind die eritreischen Truppen.“

„Nahrung wird als Kriegswaffe eingesetzt“, sagt auch Mark Lowcock, Chef der Humanitären Abteilung der UNO, über die Lage in Tigray im Sommer 2021. Er wirft vor allem eritreischen Soldaten vor, mit Absicht Hilfsgüter für diejenigen zu blockieren, die außerhalb der Regierungskontrolle leben.

Die dramatische Lage war diese Woche Thema im UN-Sicherheitsrat, doch zu einer Verurteilung kam es aufgrund der Blockade von Russland und China nicht. Lediglich der G7-Gipfel in der vorigen Woche hatte von Äthiopiens Regierung humanitären Zugang in Tigray, einen Abzug der eritreischen Truppen und ein Ende der Straflosigkeit gefordert.

Vielen droht der Hungertod

Henrietta Fore, Chefin des UN-Kinderhilfswerks Unicef, berichtete, dass mindestens 33.000 schwer unterernährten Kindern in der Tigray-Region der Hungertod droht, wenn nicht sofortige Hilfe kommt. „Diese Kinder gehören zu den mehr als 2,2 Millionen Menschen in Nordäthiopien, die akut von Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Darunter mindestens 140.000 in Tigray, die bereits mit hungersnotähnlichen Zuständen konfrontiert sind.“

Erinnerungen werden wach an 1984. Damals verhungerten dort rund eine Million Menschen – das Drama ging um die Welt und inspirierte internatio­nale Hilfsaktionen wie „Live Aid“. Der Grund war eine andauernde Dürre, aber auch, dass Äthiopiens damalige kommunistische Diktatur keine Hilfe in einem Gebiet zuließ, das auch schon in den 80er Jahren TPLF-Rebellengebiet war. Die TPLF und ihre Verbündeten, zusammengeführt in der Rebellenkoalition EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker), stürzten diese Diktatur schließlich 1991. 30 Jahre später ist diese Koalition zerbrochen und die Tigray-Kämpfer befinden sich wieder im Untergrund.

Der Wahlkampf dient Ahmed Abiy nun dazu, das äthio­pische Volk um sich zu scharen. „Die Kräfte, die Äthiopien vor dem Zusammenbruch bewahrt haben, werden das Horn von Afrika zum Machtzentrum des Kontinents machen“, sagte Abiy in seiner ersten und zugleich letzten Wahlkampfveranstaltung. Der Premierminister verspricht der Bevölkerung wirtschaftliches Wachstum. Die früher zeitweise sogar zweistelligen Wachstumsraten fielen 2020 wegen der Coronapandemie auf 6 Prozent. Dieses Jahr sollen es nun wieder 8 Prozent werden, und Abiy arbeitet hart daran, immer mehr internationale Investoren anzuziehen.

Stimmung? Prächtig! Ahmed bei der im Wahlkampf am 16. Juni Foto: Tiksa Negeri/reuters

Für viele Äthiopier ist der Konflikt in Tigray nicht so wichtig und kein Grund, Abiy nicht zu wählen. Schließlich ist die Abneigung gegen die TPLF, nach ihrer langen Dominanz innerhalb einer autokratischen EPRDF-Führung, im Rest des Landes sehr groß.

Bei den letzten Wahlen im Jahr 2015 gewann die Regierungskoalition um die EPRDF alle 547 Sitze im Parlament. Abiy hat die EPRDF aufgelöst, seine neue Wohlstandspartei soll im Gegensatz zur EPRDF Menschen aus allen ethnischen Gruppen umfassen. Aber ethnische Konflikte sind eine große Bedrohung für Äthiopien. Neben dem Krieg in Tigray gibt es Konflikte zwischen Oromo und Amharen, den beiden größten ethnischen Gruppen Äthiopiens. Dabei wurden in diesem Jahr zahlreiche Menschen getötet, vor allem in der westlichen Region Benishangul-Gumuz, wo ein riesiger Staudamm am Blauen Nil entsteht.

Äthiopien ist in zehn ethnische Regionen und zwei administrativ unabhängige Städte unterteilt. In drei Regionen, darunter Tigray, wurden die Wahlen aus Sicherheitsgründen verschoben, sie stellen 63 der 547 Parlamentssitze. Ausländische Experten glauben allerdings, dass es um viel mehr Sitze gehen könnte, weil auch in anderen Regionen manche Wahlkreise keinen Urnengang haben werden.

Abiy hat versprochen, dass es „der erste Versuch der Nation sein wird, freie und faire Wahlen abzuhalten“. Aber das ist fraglich. Wahlkampfstimmung kommt nicht auf, nur wenige Kundgebungen finden statt. Mehr als 50 Oppositionsparteien sind angemeldet, aber sie kandidieren fast nur auf lokaler Ebene. In Äthio­piens bevölkerungsreichster Region Oromia, aus der auch Abiy stammt, haben Parteien angekündigt, die Wahl zu boykottieren.

Oppositionelle in Haft

Die Oromo Liberation Front (OLF), eine der ältesten Parteien in Äthiopien mit einer großen Anhängerschaft in Oromia, zog sich im März zurück und verwies auf die Inhaftierung einiger ihrer Führer und die angebliche Schließung ihrer Büros durch die Regierung – einschließlich ihres Hauptsitzes in der nationalen Hauptstadt Addis Abeba.

Der Oromo Federalist Congress (OFC) des ebenfalls inhaftierten populären Oppositionellen Jawar Mohammed sah sich aus ähnlichen Gründen „gezwungen“, sich von der Wahl zurückzuziehen. Die Inhaftierten sind unter anderem wegen terroristischer Straftaten angeklagt. Es geht um tödliche Gewalt im Juli 2020 in Addis Abeba und in der Oromia-Region nach der Ermordung des Sängers Hachalu Hundessa, einer prominenten Stimme bei den Protesten in der Zeit von 2015 bis 2017, die dazu geführt hatten, dass der junge Reformpremier Abiy überhaupt an die Macht kam.

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„Auch wenn im Land Unsicherheit herrscht und es Abiy an Konkurrenz in seiner eigenen Region Oromia fehlt, wird seine Position durch diese Wahl gestärkt. Sie verschafft ihm mehr Legitimität“, meint Adem Abebe vom Internationale Institut für Demokratie und Wahlhilfe (IDEA), das sich für die Unterstützung und Stärkung demokratischer Prozesse auf der ganzen Welt einsetzt.

Die ethnischen Konflikte sorgen jedoch für große Polarisierung in Äthiopien. In den sozialen Medien schießen Mitglieder der verschiedenen Ethnien mit Worten aufeinander, die nur erahnen lassen, was mit der Waffe passiert. Kritiker werden gnadenlos angegriffen. Beobachter fürchten, dass Äthiopien zerfallen könnte wie dereinst Jugo­slawien.

Um das zu verhindern, muss Abiy mit den Aufständischen in Tigray sprechen und eine Lösung finden, sagt Adem Abebe vom IDEA: „Dann muss ein nationaler Demokratisierungsprozess gestartet werden. Daran sollten sich nicht nur Politiker beteiligen, sondern die ganze Bevölkerung, um sich auszusprechen, wie ein zukünftiges Äthiopien aussehen könnte.“

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