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Vor dem Parteitag in MagdeburgGysi nennt Linke „saft- und kraftlos“

Nach der Wahlschlappe will die Linke auf dem Parteitag in Magdeburg mehr Haltung zeigen. Zuvor kritisierte Ex-Fraktionschef Gysi die Flüchtlingspolitik seiner Partei.

Was will die Linke? Die neue Fraktionschefin Wagenknecht mit Gysi Foto: imago/CommonLens

BERLIN rtr/dpa/afp | Der Ex-Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, hat heftige Kritik am Zustand seiner Partei geübt. Sie sei „saft- und kraftlos“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Wähler sprächen der Linken „die Gestaltungskraft ab, weil wir auf Bundesebene den Eindruck vermitteln, nicht in die Regierung zu wollen“.

In Ostdeutschland müsse sie zunehmend die Konkurrenz der AfD fürchten. „Wir sind im Osten nicht mehr die Protestpartei, eher im Westen“, sagte Gysi. „Es schockiert mich, dass auch Arme, Abgehängte und Arbeitnehmer die AfD wählen.“

Zudem kritisierte er den Umgang seiner Partei mit der Flüchtlingskrise. „Die Willkommenskultur war richtig“, sagte der ehemalige Fraktionsvorsitzende. „Aber wir hätten parallel dazu darum kämpfen müssen, dass den unteren Bevölkerungsgruppen Jobs angeboten werden. Und wir hätten kluge Vorschläge für die Integration machen müssen.“

An diesem Wochenende will die Linkspartei nun ein Aufbruchssignal nach den Niederlagen bei den Landtagswahlen im März setzen – vor allem in der Flüchtlingsfrage. Den knapp 600 Delegierten des Parteitags in Magdeburg liegt ein Leitantrag des Bundesvorstands zur Flüchtlingspolitik vor. Darin erteilt die Parteispitze zentralen Maßnahmen der Bundesregierung zur Begrenzung des Zuzugs an Hilfesuchenden eine Absage.

So werden etwa Residenzpflichten, Abschiebungen und Einschränkungen bei den Arbeitsmöglichkeiten abgelehnt. Für alle über die Türkei eingereisten Flüchtlinge fordern die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger ein Bleiberecht. Ausdrücklich werden Obergrenzen für Flüchtlinge abgelehnt.

Neuen Fokus setzen

Dieser Kurs ist nicht unumstritten. Kurz nach der Wahlen hatte die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sahra Wagenknecht, erklärt, es gebe Grenzen für die Aufnahmebereitschaft . Auch sie reagierte damit vor allem auf die herbe Wahlniederlage in Sachsen-Anhalt, wo die Linke von 23,7 Prozent bei der Landtagswahl 2011 auf 16,3 Prozent abrutschte. Deklassiert wurde sie von der rechtspopulistischen AfD, die aus dem Stand auf 24,2 Prozent kam. Bei den zeitgleichen Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schaffte die Linke gar nicht erst den Einzug in die Landtage.

Dominierendes Thema der Wahlkämpfe war die Flüchtlingskrise. Nach Erkenntnissen von Wahlforschern wanderten frühere Linken-Wähler massiv zur AfD ab. Widerstand gegen die bisherige Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen zeichnet sich in Magdeburg bislang aber nicht ab. Die Forderung nach einer Obergrenze wird in keinem Änderungsantrag erhoben.

Die Spitze der Partei sieht auch nicht in der Flüchtlingspolitik den Weg zurück zu alten Erfolgen. Einigkeit besteht darin, soziale Fragen verstärkt in den Fordergrund zu rücken. Wagenknecht erklärte bereits vor Wochen, vom Parteitag solle das Signal ausgehen, die Linke sei die soziale Opposition. Themen wie drohende Altersarmut oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse sollen stärker in den Fokus genommen werden, heißt es im Bundesvorstand.

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29 Kommentare

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  • Wegen was haben die zur AfD abgewanderten Wähler zuvor die "Die Linke" gewählt? Solidarität und Sozalsmus war es ja wohl offensichtlich nicht.

    • @Rudolf Fissner:

      Da haben Sie sicher recht. Solche Wechselwähler treibt eine allgemeine Unzufriedenheit und ein Bedürfnis, Ihrem - oft durchaus berechtigten - Protest gegenüber diesem Staat irgendwie Ausdruck zu verleihen. Ein politisches Bewußtsein, oder gar politischen Gestaltungswillen findet man bei denen nicht.

  • Um über linken Inhalten, linker Politik, linken Werte usw. reden zu können, müßte zunächst eine linke Partei in Sicht sein, die in der Lage ist, eine ernstzunehmende linke Bewegung zu initiieren. In Griechenland, Spanien, Portugal, ja sogar in Großbritanien gibt es Beispiele.

    Alls die allerdings alle vor allem Europäische Solidarität gebraucht haben, hat unsere linke Partei DIE LINKE, mit aller Kraft... na das dürfte ja jeder hier wissen, was unsere Linke Partei gemacht oder nicht gemacht hat...

    Gysi war der charmante Aal, mit Intelligenz und Potenzial, aber ohne den notwendigen Biss, es sei denn hinter den Parteikulissen, was letztlich sicher nicht wenig war. Bevor er aber jetzt zum Deutschen linken Helden hochstilisiert wird, sollten wir uns im klaren sein, dass es mehr braucht als witzige Antworten in Talk-Shows,, wenn es in den Kampf gegen soziale Katastrofen geht.

  • Gysi teilt in wesentlichen Punkten die Positionen der Rechtsaußen-Propagandisten Wagenknecht, Lafontaine und Diether Dehm:

    weg mit der EU, Grenzen-zu aus Angst um Wählerstimmen,

    statt die Umverteilung des Reichtums zu thematisieren.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Was er meint:

    Die LINKE braucht wieder einen charmanten Charismatiker wie mich an der Spitze, nicht so einen bräsigen und grundehrlichen Schwaben wie den Riexinger.

  • Linke Politik wird im Kapitalismus immer Opposition sein. Aber sie wird gebraucht und kann nur von einer Partei gemacht werden, die sich zu dieser Situation auch bekennt. Was aus einer Partei wird, die regieren will, sieht man an den Grünen.

  • @LOWANDORDER Gysi ist nicht Die Linke, auch wenn er lange Zeit ihr bester Redner war. Auf Bundesebene den Eindruck zu vermitteln, in die Regierung zu wollen, erscheint mir eher lächerlich und albern, solange es dort praktisch keine programmatischen Überschneidungen mit den anderen Parteien gibt. Wenn Gysi eine Annäherung der Linken an die Politk von Union und SPD wünscht, soll er das auch klar so sagen. Ich kenne jedenfalls hier im Westen niemanden, der da mit ihm mitgehen würde.

    • @Rainer B.:

      Der Beitrag hier geht nicht speziell an LOWANDORDER. Ist nur falsch gelaufen und dann immer noch falsch adressiert. Sorry, die Altershitze.

  • "Zudem kritisierte er den Umgang seiner Partei mit der Flüchtlingskrise. „Die Willkommenskultur war richtig“, sagte der ehemalige Fraktionsvorsitzende. „Aber wir hätten parallel dazu darum kämpfen müssen, dass den unteren Bevölkerungsgruppen Jobs angeboten werden. Und wir hätten kluge Vorschläge für die Integration machen müssen.“

     

    Exakt hier liegt eine wesentliche Ursache für den massiven Verlust an Wählerstimmen. Wenn man sich die Stellungnahmen vieler linker Spitzenpolitiker seit September 2015 zu Gemüte führt, stand ein Aspekt ganz klar im Mittelpunkt: Ein nahezu uneingeschränktes Lob für die Kanzlerin. Der „normale“ Linkenwähler musste den Eindruck gewinnen, dass die Linke offensichtlich bereit war, alle „Grausamkeiten“ der jahrelangen Merkelpolitik in den Hintergrund zu verbannen, nur um den engen Schulterschluss mit der Kanzlerin zu demonstrieren, die ein einziges Mal (vorrübergehend) eine Entscheidung getroffen hatte, die nicht von kalter Berechnung, sondern von Menschlichkeit geprägt war.

     

    Angesichts der monatelang geäußerten überschwänglichen Lobeshymnen über Merkel ist es jetzt natürlich äußerst schwierig, zu einer differenzierten Betrachtungsweise der Politik dieser Kanzlerin umzuschwenken. Die nahezu täglich von Linkenpolitikern mit leuchtenden Augen zur Schau getragene Bewunderung Merkels hat gerade bei Stammwählern eine tiefe Verunsicherung hinterlassen und die Glaubwürdigkeit der Linken elementar erschüttert. Da steht jetzt viel Überzeugungsarbeit an.....

    • @Urmel:

      Na, der Gysi wird halt davon ausgehen, dass beim modernen, zivilisierten Menschen der Intellekt stark genug ausgeprägt ist, um den Instinkt im Zaum zu halten. Ich meine, es sollte doch auch dem Ungebildedsten noch gelingen, seinen eigenen Schlächter zu meiden.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Wenn das so wäre, dann dürften CDU/CSU, SPD und Grüne gemeinsam seit Jahren nicht mehr als 10% aller Wählerstimmen erhalten.

  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Wenn es ihn wirklich schockiert, dass A..,A... und Arbeitnehmer die AfD wählen, dann bestärkt es mich in meiner Wahrnehmung, dass die Partei vom Menschen wirklich keine Ahnung hat. Hat er nichts aus der Geschichte gelernt? Hat er nicht gesehen wie es gelaufen ist? Die meisten Menschen folgen in bestimmten Situationen ihren Instinkten. Auch der "kleine Mann" kann gierig sein, will etwas vom Kuchen abhaben. Wenn er das Wenige dann in Gefahr sieht, kommen die Beißreflexe wieder hervor. Daher müsste die Partei jeden Tag auf die Trommel hauen und den Vertretern herrschender Politik den Spiegel vorhalten. Wenn heutzutage fußballspielende Jüngelchen mit Millionengehältern in den Medien als Nationalhelden gepriesen werden, dann muss jedem Linken klar sein, dass die zu bohrenden Bretter mit der Zeit immer dicker werden und gehandelt werden muss. Da reicht es nicht, permanent darauf zu verweisen, dass die unten auch was abbekommen müssen. Da muss den Geldsäcken gesagt werden, was sie für Heuchler und grenzenlose Schwätzer sie sind die nur an sich denken. Das muss man ihnen jeden Tag unter die Nase reiben, sonst wird das nichts.

    Und die Medien müssen sich wirklich fragen lassen, ob sie nicht im vorauseilenden Gehorsam vor der Wirtschaft berichten.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @27741 (Profil gelöscht):

      "Wenn heutzutage fußballspielende Jüngelchen mit Millionengehältern in den Medien ..."

      Vielleicht sind unter den früheren Linke- und heutigen AfD-Wählern zu viele Bams-, Super-Illu- und Sportbildleser, die womöglich noch werbefinanziertes Blöd-TV reinziehen?

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Die LINKE ist ein Kollateralschaden des europaweiten Misstrauens gegenüber den etablierten Parteien des linken Spektrums. Sie hatte, trotz der Regierungsbeteiligung in den Ländern, nie wirklich eine auch nur Korrektivfunktion und glich vielmehr einer Kassandra, der medial sämtliches Spektrum von Unzurechnungsfähigkeit und Realitätsverlust zugeschrieben wurde.

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    „Es schockiert mich, dass auch Arme, Abgehängte und Arbeitnehmer die AfD wählen.“

    Arme, Abgehängte und Arbeitnehmer, die die AfD gewählt haben, trauen anscheinend der Linken nicht mehr zu, eine Umkehr von der wirtschaftsliberalen bzw. neoliberalen Politik herbeizuführen. Die Vermögenden und oberen Einkommensschichten werden weiterhin entlastet und die mittleren und unteren Einkommensschichten weiterhin belastet. Arme, Abgehängte und Arbeitnehmer, die die AfD gewählt haben, folgen nun auch dem Postulat der wirtschaftsliberalen unsolidarischen Marktlogik: Wenn die vorhandenen und immer noch verknappten Ressourcen für die unteren Einkommensschichten auf mehr Bittsteller verteilt werden müssen, wird das Gerangel um Jobs, bezahlbaren Wohnraum usw. womöglich immer größer werden, da der Staat womöglich nicht ausreichend angemessene Mittel für alle zur Verfügung stellen wird. Solidarität mit Flüchtlingen wäre somit nach der jahrelang postulierten Marktlogik ein erheblicher Nachteil für die unteren Einkommensschichten. Diese Argumentationskette ist schäbig, unsolidarisch, asozial und menschenverachtend. Allerdings sind die wirtschaftsliberalen bzw. neoliberalen Argumentationsketten, die Vermögenden und oberen Einkommensschichten zu entlasten und die mittleren und unteren Einkommensschichten zu belasten, ebenso schäbig, unsolidarisch, asozial und menschenverachtend. Daher kann es nicht verwundern, wenn diese unsolidarische Haltung der Kernelite nun auch von den unteren Einkommensschichten z.T. übernommen wird. Daher kann nur eine Umkehr erreicht werden, wenn die Vermögenden und oberen Einkommensschichten auch erneut in die Pflicht genommen werden, sich angemessen am Solidarsystem zu beteiligen.

    • @2097 (Profil gelöscht):

      "Arme, Abgehängte und Arbeitnehmer, die die AfD gewählt haben, trauen anscheinend der Linken nicht mehr zu, eine Umkehr von der wirtschaftsliberalen bzw. neoliberalen Politik herbeizuführen."

       

      Genau. Deswegen wählen sie eine neoliberale Partei.

  • Natürlich ist es schockierend, dass so viele - und auch viele der Armen, Abgehängten und Arbeitnehmern - die AfD wählen.

     

    Ich frag' mal bewusst provokant: Wen sonst sollten sie denn im tatsächlichen und konkreten Parteienspektrum auch wählen?

     

    So als kurze Beschreibung der Parteien füg' ich mal an:

    "Wer hat uns verraten?

    Die Sozialdemokraten!

    Wer war mit dabei?

    Die grüne Partei!

    Und wer hatte und hat bei all' dem im Hintergrund das Sagen?

    Die Konservativ-Liberalen!"

     

    Vor dieser Auswahl, die den Wähler*innen zur Verfügung stehen, sagt nun Gysi, dass auch die LINKE nicht mehr gewählt wird, weil sie saft- und kraftlos wirke und auch noch den Eindruck vermittele, gar nicht regieren zu wollen.

     

    Was also sollen die Wähler*innen denn wählen?

    • @Der Allgäuer:

      "Ich frag' mal bewusst provokant: Wen sonst sollten sie denn im tatsächlichen und konkreten Parteienspektrum auch wählen?"

       

      Eine neoliberale Partei als ultima ratio für die Opfer neoliberaler Politik? Klingt nicht logisch. Eher ist es so, dass sich im AfD-Erfolg ein gewisser Hang des Deutschen hin zum bräunlich-xenophoben Gedankengut ausdrückt.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Der Hang zum bräunlich-xenophoben Gedankengut ist keine deutsche Spezialität. Schauen Sie sich mal um in Europa oder auch in den USA.

  • Wagenknecht hatte sachlich korrekt, in Hinblick auf die weltweit Millionen Flüchtlingsbewegungen, von Grenzen der Möglichkeit auch für Deutschland gesprochen. Sie hat diesbezüglich nie von der Bereitschaft gesprochen.

  • Wer werfe den ersten Mauerstein?

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Der unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Mauerstein!

       

      Also keiner...

    • @Lowandorder:

      Gysi ist nicht Die Linke, auch wenn er lange Zeit ihr bester Redner war. Auf Bundesebene den Eindruck zu vermitteln, in die Regierung zu wollen, erscheint mir eher lächerlich und albern, solange es dort praktisch keine programmatischen Überschneidungen mit den anderen Parteien gibt. Wenn Gysi eine Annäherung der Linken an die Politk von Union und SPD wünscht, soll er das auch klar so sagen. Ich kenne jedenfalls hier im Westen niemanden, der da mit ihm mitgehen würde.

      • @Rainer B.:

        Sorry! Der sollte eigentlich nach oben.

    • @Lowandorder:

      Damit auch der letzte amerikanische Tourist noch zu seinem echten Deutschland-Souvenir kommt?