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Vor dem KI-Gipfel in ParisBesser machen statt nachmachen

Kommentar von Svenja Bergt

Künstliche Intelligenz ist das riesige Thema, ein Milliardenmarkt. Die USA und China haben vorgelegt. Was kann Europa dem entgegensetzen?

Das menschliche Gehirn im Fokus: Was mehr kann KI und wie beherrschbar ist sie – durch den Menschen? Foto: Sylvio Dittrich/imago

D ie USA und China haben in den vergangenen Wochen vorgelegt: mit Investitionszusagen in dreistelliger Milliardenhöhe von Unternehmen für KI-Infrastruktur die einen, mit einem neuen und mutmaßlich effizienteren KI-Modell die anderen. Wenn sich Re­gie­rungs­che­f:in­nen und Ver­tre­te­r:in­nen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Kultur nun in dieser Woche in Paris zum KI-Gipfel treffen, dann werden diese jüngsten Entwicklungen der USA und Chinas immer in den Hinterköpfen sein. Und das wird gerade zum Problem.

Denn es zeichnet sich ab, dass sich Po­li­tiker:in­nen in Europa in die Enge treiben lassen. Sie verfallen den Forderungen der – auch europäischen – Wirtschaft: weniger Regulierung für KI, mehr staatliche Investitionen und Förderprogramme; bestehende Regeln, die gerade erst ganz langsam und schrittweise überhaupt in Kraft treten, abschwächen und bloß keine neuen dazu. Als wäre es eine gute Idee, sich im internationalen KI-Wettbewerb einfach die USA und China als Vorbild zu nehmen und das machen zu wollen, was die beiden vorlegen.

Die Forderungen treffen auf den Zeitgeist, der ohnehin von Rufen nach Deregulierung geprägt ist. In dieser Logik sind Vorschriften und Verbote nicht mehr als Bürokratie, die dringend abgebaut gehört. Wenn sich ein Friedrich Merz beispielsweise dafür ausspricht, die Datenschutz-Grundverordnung zu kippen oder abzuschwächen, dann lässt sich das zum Glück nicht einfach so umsetzen. Aber die gefährliche Haltung hinter solchen Forderungen, die muss man ernst nehmen. Denn in dieser Denke kommen immer die Gewinninteressen der Wirtschaft als Erstes – und die Bedürfnisse der Menschen ohne dickes Aktiendepot irgendwann am Schluss.

In Sachen KI heißt das: Nachteile der Technologie werden bequem ausgeblendet. Der enorme Bedarf an Energie, Wasser und Rohstoffen? Die zunehmende Marktmacht der Konzerne? Der Mangel an Transparenz bei der Entwicklung? Gefahren für die Demokratie? Nicht der Sorge wert.

Dabei kann KI, gezielt eingesetzt, sicher hilfreich sein: Im medizinischen Bereich gibt es vielversprechende Ansätze, etwa bei der Unterstützung von Ärzt:innen. Bei der Energiewende könnte sie eine tragende Rolle spielen, wenn es darum geht, Erzeugung und Nachfrage zu prognostizieren und Systeme zu steuern.

Ja, KI kann auch Teil der Lösung sein. Kann. Derzeit ist sie eher Teil des Problems. Das muss man begreifen, um ihr Lösungspotenzial nutzen zu können – und um nicht von den Problemen überrollt zu werden.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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5 Kommentare

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  • Erst nachmachen, dann besser machen!



    Diese Methode haben zuerst Japan, dann China jahrzehntelang erfolgreich bei Industrieprodukten angewendet.

  • Werkzeuge und Erfindungen können bekanntlich unterschiedlich eingesetzt werden.

    Autokraten und Kleptokraten können z.B. KI für ihren Interessen einsetzen.

    Demokraten können z.B. KI zur Stabilisierung und Stärkung der freiheitlichen Demokratie einsetzen.



    Dies wäre aus meiner Sicht der selbstverständliche Weg für die Menschen in Europa und in anderen noch starken Demokratien dieser Welt.

    Lesetip: "Die Achse der Autokraten" von Anne Applebaum:

    taz.de/Friedenspre...pplebaum/!6040812/

    • @Nilsson Samuelsson:

      Wollen wir hoffen, dass es bei Werkzeugen bleibt. Die führende KI-Firmen sagen nämlich etwas anderes: sie wollen "artificial general (!) intelligence" entwickeln, also Systeme, die alles (!) genauso gut oder besser als Menschen können (oder zumindest alles, was ein Mensch mit einem Laptop und einer Internetverbindung kann). Das ist dann kein Werkzeug mehr. Diese Systeme werden momentan auf darauf trainiert, eigene Ziele (!) zu haben, sie sie eigenständig (!) verfolgen können. Das ist dann erst recht kein Werkzeug mehr, sondern ein "autonomer Agent" (so nennen die das).

  • Sehr gut, dass die Leitmedien langsam anfangen, KI als Thema nicht nur für den Wirtschafts- oder Wissenschaftsteil zu entdecken, sondern auch die gesellschaftlichen Konsequenzen ins Auge zu nehmen.

    Leider noch zu wenig: die von über 700 führenden Denker:innen aus Wissenschaft und Gesellschaft, darunter mehrere Nobelpreisträger:innen, besuchte OECD-Konferenz zu sicherer und ethischer KI letzte Woche in Paris, die ein klares Zeichen für gesellschaftlich gesetzte Standards und gegen ein internationales Wettrennen gesetzt hat (Abschlussstatement: www.iaseai.org/conference/statement), fand z.B. fast kein Medienecho, nicht mal in Frankreich selbst, während es die parallel stattfindende Beschwichtigungsveranstaltung der KI-Industrie leicht in die Medien schaffte.

    Da geht noch was!

  • USA: der Staat tritt als massiver Nachfrager von Services auf, der private Sektor bietet an. China: der Staat befiehlt Services der USA nachzuahmen, der private Sektor exekutiert das, liefert dann auch weltweit. Europa: EU, Länder, Regionen, Städte regulieren ohne Kompetenz fürs Thema, fragen wenig an, der private Sektor schrumpft deshalb, falls wettbewerbsfähig liefert er lieber nach USA und China oder wandert direkt dorthin ab. Wer diese Unterschiede im Jahr 2025 nicht sieht, agiert dann hilflos. Nimmt mehr Schulden auf, um weiter in die falsche Richtung zu dirigieren. Am Ende steigen die Zinsen soweit an, dass die auch mit neuen Schulden nicht mehr bedient werden können, die EU wird zu Griechenland. Nur rettet dann keiner, die Welt dreht sich weiter.