Vor Gerichtsurteil in Deutschland: Dänische Ökos für Belttunnel
Deutsche Naturverbände kämpfen gegen den Tunnel zwischen Fehmarn und Lolland. Die aus dem Nachbarland sind dafür. Warum?
Der 18 Kilometer lange Tunnel von Puttgarden auf der Insel Fehmarn nach Rødby auf der dänischen Insel Lolland soll fast 11 Milliarden Euro kosten. Drei Viertel davon will Dänemark tragen, das sich eine bessere Verkehrsanbindung erhofft. So soll die Fahrzeit mit dem Zug zwischen Kopenhagen und Hamburg von 5 auf 3 Stunden sinken.
„Wir werden das Projekt wahrscheinlich nicht komplett verhindern, können aber in vielen Punkten für einen besseren Umweltschutz sorgen“, sagte Malte Siegert vom klagenden Naturschutzbund Nabu am letzten Verhandlungstag im Oktober. Ein Bündnis mehrerer deutscher Verbände fürchtet, dass Vögel, Fische und der Meeresboden vom Tunnel auf Dauer geschädigt würden. Bemerkenswert: Dänische Umweltschützer*innen klagen nicht gegen den Jahrhundertbau über den Belt. Die dänischen Kolleg*innen finden sogar den deutschen Widerstand ökologisch problematisch.
„Der Tunnelbau wird die Biodiversität der Region erhöhen“ sagt Michael Løvendal Kruse vom Danmarks Naturfredningsforening (DN), dem dänischen Naturschutzbund. Für Kruse gründet der deutsche Widerstand gegen das Tunnelprojekt auf einem altmodischen Naturverständnis, das die Konservierung der Natur zu hoch bewerte.
40 neue Tümpel für gefährdete Frösche
Zwar bezweifelt auch der DN nicht, dass die Bauarbeiten Schäden anrichten werden – aber die Kompensationsmaßnahmen für das Projekt würden der Natur nützen. So ein etwa 130 Hektar großes, neues Naturgebiet und mehr als 40 neue Tümpel für gefährdete Frösche. „Wir bekommen mehr und bessere Natur als die, die zerstört wird“, sagt Kruse. Der DN ist die größte Umweltorganisation in Dänemark – und gilt nicht als besonders folgsam: Er hat große Autobahnen bekämpft und deren Umweltschäden gemindert.
Michael Løvendal Kruse
Der bei den deutschen Klägern tonangebende Nabu hält die dänische Argumentation für „komplett absurd“. So sagt es Malte Siegert, Leiter der Nabu-Umweltpolitik, am Telefon. „Und ein bisschen eigenwillig.“ Die Naturzerstörungen durch die Bauarbeiten zu kompensieren hält der Nabu für ein minimales Pflichtprogramm. Der Bau sei aber grundsätzlich nicht zu tolerieren, weil seine Umweltschäden nicht im adäquaten Verhältnis zum realen Verkehrsbedarf stünden.
Mehre Zugvögelarten auf Fehmarn würden das Projekt nicht überleben, der Bau belästige Schweinswale im Belt unzulässig mit Lärm, Brutplätze des Herings würden zerstört. Höchstens 12.000 Fahrzeuge dürften laut Nabu-Schätzungen den Tunnel täglich benutzen, vermutlich sogar weniger, weil die deutsch-dänische Reederei Scandli nes, die heute die Wasserstrecke betreibt, vorerst weiterarbeiten will. „Man sollte nur Natur anfassen, wenn man einen Grund dafür hat“, sagt Siegert.
Der DN findet dagegen, dass die Schäden des Bauprojekts seltene Tiere oder Natur nicht besonders hart treffen. Sogar dass die Kompensationsmaßnahmen vielfach besser seien als der Status quo. In Mitleidenschaft gezogene Sand- und Steinriffe seien einfach zu ersetzen.
Das Beispiel Öresund
Und: Erfahrungen mit ähnlichen Megaprojekten wie die Brücken- und Tunnelverbindung im Öresund zwischen Dänemark und Schweden hätten gezeigt, dass die Natur nach dem Bau sogar vielfältiger werde. Auf einer Insel in Öresund, die als Teil der Querung entstanden ist, gibt es heute mehr als 500 Insekten- und 400 Pflanzenarten. 30 Vogelgattungen vermehren sich dort, viele von ihnen sind selten und geschützt. Auf der Insel leben Robben, und im Wasser sind heute wieder Große Thunfische zu sehen.
„Diese Bau- und Naturerfahrung haben die Deutschen nicht“, sagt Kruse. Er glaubt sogar, dass der deutsche Widerstand seine Ursachen in einem prinzipiellen Staatsskeptizismus und einer streitlustigeren Kultur habe. Dagegen arbeite der DN nah mit dem dänischen Staat zusammen und suche stärker den Konsens.
Es gilt als wahrscheinlich, dass die Leipziger Richter das Milliardenprojekt an diesem Dienstag nicht verhindern werden. Allerdings wird das Urteil festlegen, ob die existierenden Umweltuntersuchungen überprüft, wiederholt oder erweitert werden müssen, was die Fehmarnbeltquerung weiter verzögern und verteuern könnte.
Nach den ursprünglichen Plänen hätte der Bau schon vor zwei Jahren fertig sein sollen, aber die juristischen Verfahren behinderten das bislang. Laut dem neuen Zeitplan sollen im Jahr 2029 Autos und Züge die Strecke befahren können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen