Vor Aufmarsch in Göttingen: Querdenker kriegen Gegenwind
Corona-Leugner und Reichsbürger wollen erneut in Göttingen aufmarschieren. Beim letzten Versuch mussten sie umkehren.

Die Parole spielt auf die gescheiterte Demonstration im vergangenen September an. Damals waren rund 1.500 Menschen gegen die Querdenker auf die Straße gegangen und hatten dem Aufzug mit Sitzblockaden und – teils brennenden – Barrikaden den Weg versperrt, der Demo-Zug musste daraufhin zunächst seine Route ändern und schließlich ganz kehrtmachen.
Als Schmach haben die Querdenker den erzwungenen Rückzug damals empfunden und sofort angekündigt, dass sie das so nicht stehenlassen wollen. Nun ist klar: Am kommenden Samstag werden Querdenker, Reichsbürger und Coronaleugner aus ganz Deutschland erneut im niedersächsischen Göttingen aufmarschieren. Und das vermutlich in großer Zahl.
Statt wie im vergangenen Herbst rund 500 Anhänger erwarten sie nun 2.000 Teilnehmer. Außer einer Demo durch die Stadt haben die Veranstalter auch zwei Autokorsi angekündigt, um ihre Botschaften zu verbreiten. Auf dem Instagram-Profil „goettingen1301“ der Querdenker heißt es: „Wir werden nicht weichen! Nach Grundgesetz Art. 8 ‚Alle haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.‘ – Wir bestehen darauf!“
Demo-Anmelder kritisiert Polizei
Der Demo-Anmelder Michael Schele beklagt sich im selben Kanal über die Polizei: „Sie haben ihren Versammlungsschutz nicht gewährt. Wir sind am Lautsprecherwagen teilweise hart attackiert worden – dann hätten wir da auch Playmobil-Männchen hinstellen können.“ In einem Video inszenieren sich die Querdenkenden als mundtot gemachte.
Schele gilt als Kopf der Querdenker-Szene in Nordrhein-Westfalen und war häufig Anmelder von Autokorsi und Demonstrationen. Er ist Anhänger der Verschwörungserzählung vom „Great Reset“, auf Deutsch: „Der große Neustart“, derzufolge das Weltwirtschaftsforum eine „neue Weltordnung“ installieren wolle – zugunsten der „Elite“ und auf Kosten der „einfachen“ Bevölkerung. Schele hat außerdem an der „Wanderausstellung der Impf-Opfer“ mitgewirkt und ist vorbestraft wegen Beleidigung und übler Nachrede.
Als Feind ihrer eigenen Agenda haben die Querdenker mittlerweile aber vor allem die Grünen ausgemacht. So beschuldigen sie die Partei, ihre Politik führe „Krieg gegen das Volk“. Weitere „Anklagen“ stehen in bekanntem Reichsbürger- und Querdenken-Zusammenhang: „Gegen den Pandemievertrag“, „für den Bargelderhalt“, „für die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen“. Relativ neu im Agitationsspektrum der Szene ist die Hetze gegen queere Menschen – manifestiert etwa am Beispiel queerer Ampelfiguren in Göttingen.
Bündnis gegen Rechts kündigt Widerstand an
Das Göttinger Bündnis gegen Rechts will dem was entgegensetzen und hat daher für den 13. Januar Widerstand angekündigt. „Querdenken einfrieren“, heißt es in dem dieser Tage verbreiteten Aufruf: „Unter dem Deckmantel einer Demo für freie Meinungsäußerung wollen die Querdenker in Göttingen nun zum dritten Mal auftreten. Aber Transfeindlichkeit, Antisemitismus und offene Drohungen gegen demokratische Politiker sind keine Meinung.“
Bei den Organisatoren des Querdenker-Aufmarsches handele es sich um „eine gefährliche Mischung aus Wissenschaftsfeinden, Demokratiegegnern, Reichsbürgern, Esoterikern und extrem Rechten“, sagt Bündnissprecherin Agnieszka Zimowska vom DGB- Kreisverband Göttingen. „Wir wollen die winterlichen Temperaturen für eisklare Positionen nutzen: Göttingen lässt Querdenken einfrieren! Gemeinsam können wir diese Aufmärsche von Rechts stoppen. Und wir freuen uns darauf, wieder stabil geeint mit vielen dagegen zu halten.“
Bündnis gegen Rechts, Göttingen
„Wir dürfen nicht zulassen, dass rechte Hetze und Verschwörungsideologien in Göttingen Fuß fassen!“, erklärt die Göttinger Gruppe „Basisdemokratische Linke“. „Egal, wie oft sie betonen, dass sie für die Kinder, das Volk, den Frieden oder jetzt auch die Versammlungsfreiheit seien: Diese Menschen sind mehr als rechts offen, sie sind offen rechts.“ Sie gewähren zu lassen oder ihre vermeintlichen Sorgen ernst zu nehmen, bedeute nichts anderes, als rechtem Gedankengut Tür und Tor zu öffnen.
„Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“, sagt Linken-Ratsherr Torsten Wucherpfennig. Querdenker seien davon nicht mehr weit entfernt, wenn sie gegen Geflüchtete, queere Menschen und Linke hetzten, „und das werden wir ihnen lautstark entgegnen“.
Die zentrale Kundgebung des Bündnisses gegen Rechts und anderer Gruppen soll am Samstag um 12 Uhr am Gauß-Weber-Denkmal starten. In Sicht- und Rufweite des Neuen Rathauses, dessen Vorplatz sich die Querdenker für ihren Aufmarsch ausgeguckt haben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?