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Von der Leyen in SüdamerikaWerben für Freihandelsabkommen

Die EU-Kommissionspräsidentin will die Beziehungen mit dem Staatenbund Mercosur noch vor dem anstehenden Gipfel auf eine „neue Ebene bringen“.

Gute Miene zum schwierigen Spiel: Ursula von der Leyen und Argentiniens Staatschef Alberto Fernández Foto: dpa

Buenos Aires taz | „Lithium, Kupfer, grüner Wasserstoff – das sind Dinge, die Europa braucht und die Argentinien liefern kann.“ Mit dieser Aussage rannte Ursula von der Leyen in Buenos Aires am Dienstag offene Türen ein. Und um etwas Handfestes präsentieren zu können, unterzeichnete sie mit Argentiniens Präsident Alberto Fernández eine entsprechende Absichtserklärung. „Wir wollen gemeinsam Wertschöpfungsketten aufbauen, die über die reine Ausbeutung von Rohstoffen hinausgehen“, so die EU-Kommissionspräsidentin.

Dagegen klemmen die Türen beim Thema Freihandelsabkommen EU-Mercosur auch weiterhin. Der politische Wille zur Einigung sei vorhanden, hatte Präsident Fernández erklärt. Aber: „Das Abkommen muss den Asymmetrien zwischen der EU und dem Mercosur Rechnung tragen“, so der Präsident. Geschehe dies nicht, würde es dem Mercosur mehr schaden als nützen. Das Abkommen zwischen der EU und dem aus Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay bestehenden Mercosur war bereits im Jahr 2019 beschlossen worden.

Argentinien war von der Leyens zweite Station auf ihrer viertägigen Reise, die sie am Montag zuerst nach Brasilien und dann über Buenos Aires weiter nach Chile und Mexiko führt. Die Visiten dienen der Vorbereitung des Gipfeltreffens EU-Celac mit 30 Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika und der Karibik am 17. und 18. Juli in Brüssel.

„Ich bin hier, um zu sagen, dass Europa zurück in Lateinamerika ist und dass es an der Zeit ist, unsere strategische Partnerschaft auf eine neue Ebene zu heben“, erklärte von der Leyen bei ihrer Ankunft in Brasilien. Um auf diese höhere Ebene zu kommen, hatte die EU-Kommission Anfang Juni ihre „Neue Agenda für die Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika und der Karibik“ vorgestellt. Kernstück des 22-Seiten-Papiers ist das Global Gateway: ein milliardenschwerer Fonds, mit dem die EU Investitionen in Lateinamerika und der Karibik anschieben will.

Höhere EU-Investitionen

Von der Leyen reist denn auch nicht mit leeren Händen. „Die Europäische Union ist bereits der Hauptinvestor in der Region, und ich freue mich, ankündigen zu können, dass wir diese Investitionen in Lateinamerika und der Karibik im Rahmen von Global Gateway auf 10 Milliarden Euro erhöhen werden“, so die Kommissionspräsidentin. Damit soll dem Einfluss Chinas und seiner Neue-Seidenstraße-Initiative eine europäische Alternative entgegengesetzt werden, die im Unterschied zu China „auf Nachhaltigkeit setzt und von der die lokale Bevölkerung profitiert“, so von der Leyen.

Dennoch stand ihr Besuch in Brasilien ganz im Zeichen des umstrittenen Handelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur. „Ich habe Präsidentin von der Leyen die brasilianische Besorgnis über das von der Europäischen Union im März dieses Jahres vorgelegte Zusatzinstrument zum Abkommen erläutert, das die Verpflichtungen Brasiliens erweitert und bei Nichteinhaltung sogar Sanktionen vorsieht“, gab sich Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zuerst diplomatisch. Und fügte dann hinzu: „Die Prämisse zwischen strategischen Partnern muss gegenseitiges Vertrauen sein, nicht Misstrauen und Sanktionen.“

Brasilianischer Ärger

Wie verärgert die brasilianische Seite ist, hatte sich bereits beim Besuch von Annalena Baerbock Anfang Juni gezeigt. Dass ein Präsident eine eigens angereiste Außenministerin nicht empfängt, kommt vor. Aber dass Baerbock lediglich von ihrer stellvertretenden brasilianischen Amtskollegin Maria Laura da Rocha begrüßt wurde, spricht Bände. Zumal auch sie nicht mit leeren Händen gekommen war. „Wir haben bereits für den Amazonienfonds in der Vergangenheit Millionen eingezahlt. Diese Reise dient auch dazu, weitere Millionen dafür zur Verfügung zu stellen“, so Baerbock bei ihrem Besuch.

Was Lula vor allem auf die Palme bringt, ist die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten, die erst vor einigen Wochen in Kraft trat. Sie verbietet die Einfuhr und den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Holz oder Sojabohnen, die auf nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzten Waldflächen angebaut oder produziert werden. Die jetzt in einem Zusatzdokument enthaltenen Umweltanforderungen sorgen bei den südamerikanischen Staaten für Unmut.

Ohne konkrete Vorschläge zur Überwindung dieser „Hindernisse, die es gibt“, präsentierte von der Leyen nun eine Neudefinition: „Dieses Abkommen ist eine Plattform für einen langfristigen Dialog, und wir haben ein Schreiben als zusätzliches Instrument geschickt“, erklärte die Kommissionspräsidentin. Die EU warte auf Antwort, um die notwendigen Schritte zum Abschluss des Abkommens unternehmen zu können. Ende Juni werden sich die Unterhändler von EU und Mercosur in Buenos Aires erneut treffen. Dann wollen die südamerikanischen Länder einen Gegenvorschlag vorlegen.

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3 Kommentare

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  • Teil Eins einer Hinzufügung von Vor-Ort:

    In diesem Beitrag werden Abya Yala (das kolonialistische Unwort Süd“amerika“ sparen wir uns) und Europa so dargestellt, als wären sie zwei Wirtschaftszonen, bewohnt von einer Handvoll PolitikerInnen (die die Agenda ihrer Grossunternehmerschaft vorantreiben).



    Nun, die gibt’s ja, auf beiden Seiten des Atlantiks. Allerdings leben auch ganz andere Gruppen auf diesen Landmassen. Unter anderem solche, die von diesem Freihandelsabkommen, so wie es geplant ist, noch schneller dem (bayer/monsanto-vergifteten) Erdboden gleichgemacht werden (sollen).

    An anderer taz-Stelle – taz.de/Allianz-geg...abkommen/!5933270/ – kommen einige der ausgeblendeten Gruppen/Lebensformen vor: „Der zunehmende Export südamerikanischer Agrarprodukte erhöhe dort den Bedarf an Flächen, erklärt die Allianz. Das werde dazu führen, dass mehr Regenwald abgeholzt wird und Gebiete indigener Bevölkerungen schwinden. Gleichzeitig kommen europäische Land­wir­t:in­nen unter Druck durch die transatlantische Konkurrenz.“

    Zurück zu Jürgen Vogt’s Beitrag. Dort steht u.a. auch „Was Lula vor allem auf die Palme bringt, ist die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten, die erst vor einigen Wochen in Kraft trat.“

    Es ist für uns – KapitalismusgegnerInnen und also Abkommensskeptiker- und gegnerInnen auf der südwestatlantischen Seite – sehr schwierig mit Euch Europäern, die Ihr Euch zum fortschrittlichen oder linken oder humanistischen Denken bekennt, über Lula zu reden. Denn Ihr seht, von Eurem Tele-Wunschvorstellen genährt, einen wohlbekleideten Kaiser. Wir – WaldbewohnerInnen, Umweltbewusste, NaturschützerInnen, holistisch-empirisch Durchblickende – einen Nackten. Denn wir wissen ja, mit wen wir es zu tun haben. Ist es doch die dritte Auflage einer Lula-Präsidentschaft. Und dieser hat so viel mit Umweltschutz am Stecken, wie Euer Lindner mit Sozialstaat.

  • Teil Zwei einer Hinzufügung von Vor-Ort:

    Lula „ist auf der Palme“, weil er das Abkommen braucht, um irgendetwas unserer agrofaschistischen Lobby vorzuweisen – möglichst ohne jeden Kieselstein im Schuh in Sache weiterer Monokulturexpansion wie die Umweltvernichtung euphemistsich abgemildert genannt ist. (Die genannte Lobby kontrolliert ja in Brasilien nicht mehr nur die Wirtschaft, sondern längst auch die Legislative mit über der Hälfte der Kongressabgeordneten in/an ihrem Säckl – völlig wurscht welcher „Partei“ oder „Coleur“.)

    Und reüssieren, ökonomisch und also politisch, kann mensch eben am stressfreiesten qua Umwandlung von Ökosystemen in Agrosysteme. Was die Auslöschung der Lebensgesellschaften in ersteren inkludiert. Indigene, Tiere, Biotope, Ökozid, Genozid..., vernachlässigbare Kollateralschäden. Denn die haben alle in der Regel weder Stimme, noch Anwalt.

    Versteht uns bloss nicht falsch: wir haben viel getan (und unwiederbringliche Verluste erlitten), um den Erzfaschisten und –rassisten Bolsonaro wieder loszuwerden (zumindest als Präsident), aber Lula (den viele von uns zähneknirschend und mit Bauchweh im zweiten Durchgang gewählt haben) hat nichts gemein mit dem was sich allzu viele leider immer noch vorfantasieren.

    Was es innerhalb des Mercosur und für die ganze Welt zu beschützen, fördern und stärken gilt (wollen wir den Planeten als Heimat seiner momentanen Lebensformen bewahren), wird von diesem Handelsabkommen zwischen zwei kontinentalen Elfenbeinturmspitzen noch schlimmer unter Druck gesetzt. Auch mit „in einem Zusatzdokument enthaltenen Umweltanforderungen“. Denn unabhängig und de facto kontrolliert wird das eh alles nicht. Zumindest bei uns.

    „Wir wollen gemeinsam Wertschöpfungsketten aufbauen, die über die reine Ausbeutung von Rohstoffen hinausgehen“, so die EU-Kommissionspräsidentin...



    Um es mit Pinocchio zu illustrieren: von der Leyen’s Nase piekst sie in den eigenen Hintern, so rund um die Welt ist sie – die Nase – schon gewachsen.

  • Abschluss einer Hinzufügung von Vor-Ort:

    Es ist selbstverständlich nicht möglich in diesem Leserkommentar-Rahmen all das anzuführen was angebracht ist. Deshalb für jene, die besser und tiefer verstehen wollen, was bei uns „Sache ist“, die leider global noch immer weitgehend und systematisch ausgeblendet wird:



    www.youtube.com/ch...XBm_u0aA8769giBh0A



    www.amazon.de/unse...nten/dp/3200056878 (aber besser an einer anderen, denn amazon-, Adresse erwerben)

    PS: Bloss um NOCH einem Missverständnis vorzubeugen: NEIN, anstelle des Euro-Schmeichel-Turbokolonialkapitalismus, wollen wir auch jene – brutaleren – Varianten die China (oder wer auch immer neokolonial daherkommt) global so grosszügig anbietet ebensowenig!