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Von der Erfindung der MutterliebeIdeen alter Männer

Marx' Töchter hießen alle Jenny, wie seine Frau. Erfolgreicher aber war Rousseau: Er sorgte dafür, dass Frauen die Schuld zuerst bei sich suchen.

Karl Marx war ein hervorragender Autor Foto: Jürgen Ritter/imago

L etzte Woche war ich in Senftenberg vorlesen. Comedy Sisters. Nur lustige Frauen auf der Bühne. Senftenberg liegt in der Lausitz und hat einen See (gefluteter Braunkohletagebau), der fast so groß ist wie die Ostsee. Textilstrände, FKK-Strände. Wunderbar. Zum Baden blieb leider keine Zeit, wir mussten ja arbeiten.

Ich hab doch diesen Roman geschrieben, „Hätt’ ich ein Kind“, und am Anfang der Lesung frag ich immer ins Publikum. „Der Titel is ein Zitat. Wisst ihr woher? Kennt ihr alle. Große deutsche Literatur. Gibt ja eigentlich nur drei Möglichkeiten: Goethe isses nich, die Bibel isses auch nich, was bleibt also?“ (Die richtige Antwort lautet „Grimms Märchen“)

Zwischenruf Senftenberg: „Karl Marx!“

Ich war hin und weg. „Ja, okay“, hab ich gesagt, „vier Möglichkeiten.“

Die Wende ist bald 35 Jahre her, aber manche Gedanken sind immer noch drin. Und sie haben ja recht. Marx war ein hervorragender Autor. „Ein Gespenst geht um in Europa“, auf den Romananfang muss man erst mal kommen.

In meinem Roman geht es um Adoption und Geburt und Schneewittchens Mutter, die nämlich auch erst ab der zweiten Auflage der Kinder- und Hausmärchen zur Stiefmutter umgeschrieben wurde, weil im Märchen nicht sein durfte, was heute noch jeden Tag passiert: Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt dich in den Wahnsinn.

Wenn das mit dem Stillen nicht klappt oder du als Mutter überfordert bist, suchste die Schuld zuerst bei dir selbst

Es war halt nur eine Idee, das mit der bürgerlichen Familie, mit dem Mythos Mutterliebe, den sich alte französische Männer im 18. Jahrhundert ausgedacht haben. Eine Frau liebt das Kind, das sie geboren hat. Und zwar nur dieses Kind. Wegen Natur. Sie kann gar nicht anders. Als würde bei der Entbindung das Gehirn mit ausgeschieden und die Frau zum willenlosen Zombie mutieren.

Deswegen muss sie auch stillen. Wegen Natur. Denn Stillen ist das beste für ihr Baby. Steht heute noch an jedem Supermarktregal. Kinder, die nicht gestillt werden, werden automatisch zu Verbrechern. Und Müttern, die nicht stillen, fallen die Brüste ab. Hat Rousseau gesagt. Und der kannte sich aus. Schließlich hat der im Alleingang die Demokratie erfunden. Und die Natur. Und die Familie.

Ja, ist sehr verkürzt, aber hier ist ja auch kein Platz.

Es waren alles nur Ideen. Wie die von Karl Marx. Im Gegensatz zu dessen Ideen haben die von Rousseau sich jedoch durchgesetzt. Auch wenn sie nicht reibungslos funktionieren. Sie sind flexibler. Individuell anwendbar. Und subtiler. Wenn das mit dem Stillen nicht klappt oder du als Mutter überfordert bist, suchste die Schuld ja immer zuerst bei dir selbst. Und nicht bei der „herrschenden Klasse“. Das ist sehr praktisch. Denn wenn die Probleme im Privaten bleiben, bleibt das System stabil.

Manchmal denke ich, das Publikum im Osten versteht das besser. Schließlich haben die Leute dort schon mal erlebt, wie von heute auf morgen ein ganzes Weltgebäude umgeworfen und eine Idee gegen eine andere ausgetauscht wurde.

Marx hatte übrigens sieben Kinder mit seiner Frau Jenny. Vier Mädchen, zwei Jungs und ein siebtes namenloses, das gleich nach der Geburt starb. Die Mädchen hießen alle Jenny mit erstem Vornamen, wie seine Frau. Das war sehr praktisch, da Marx sehr viel arbeitete und über viele Dinge nachdachte, da konnte er sich nicht fünf verschiedene Bezeichnungen für Personen merken, die in seinem Haus wohnten und alle Röcke trugen. Er musste nur Jenny rufen, dann kam eine Person mit Rock und kümmerte sich um ihn.

Zum Dank schrieb er sie als Nebenwiderspruch in seine Theorie mit rein. War doch sehr nett von ihm.

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Lea Streisand
Autorin
Schriftstellerin + NEU Herausgeberin von "Sind Antisemitisten anwesend? - Satiren, Geschichten und Cartoons gegen Judenhass" (Satyr Verlag 2024) => BUCHPREMIERE am 30.9.24 im Pfefferberg Theater Berlin. Kolumnen montags bei Radio Eins.
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2 Kommentare

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  • Was ein Haufen ironischer Schwachsinn der versucht irgendwo ein Schuld zu finden natürlich nicht bei der Frau sonder bei der herrschenden Klasse. Vielleicht hat auch niemand Schuld. Dieses christliche Konzept hätte sich der Autor sparen können. Aber darum geht's ja nicht denn man muss ja unbedingt darauf hinweisen das die Mutterliebe nicht einfach so a priori vorhanden ist. Denn wir sind ja alle so progressiv das wir die eh nicht brauchen und eine Erfindung des Patriarchat ist und nicht der Evolution. Soviel zu den Kulturlisten.

  • Wo ist kein Platz? Und wenn wirklich nicht, wieso ist es dann nicht mit dem einfachen "Männer sind an allem schuld" getan? Und wie hat Rousseau denn das jetzt eigentlich gemacht, mit dem "die Schuld bei sich selber suchen"? Stimmt das überhaupt? Und wenn, könnten die Männer das nicht auch mal ausprobieren? Oder tun sie das längst? Und ist dieser Glaube nicht auch eine Form der Selbstüberschätzung? Früher war ja vieles Schicksal, was heute unter gescheiterter Selbstoptimierung läuft. Der Wille, oder die Pflicht, zum Glück ist dann vielleicht doch wenigstens keine männliche Erfindung, oder? Aber Hindernis sind die Männer natürlich schon. Zumal sie es ja auch gar nicht so haben mit dem Glück. Oder lieber philosophieren.