Von der Erfindung der Mutterliebe: Ideen alter Männer
Marx' Töchter hießen alle Jenny, wie seine Frau. Erfolgreicher aber war Rousseau: Er sorgte dafür, dass Frauen die Schuld zuerst bei sich suchen.
L etzte Woche war ich in Senftenberg vorlesen. Comedy Sisters. Nur lustige Frauen auf der Bühne. Senftenberg liegt in der Lausitz und hat einen See (gefluteter Braunkohletagebau), der fast so groß ist wie die Ostsee. Textilstrände, FKK-Strände. Wunderbar. Zum Baden blieb leider keine Zeit, wir mussten ja arbeiten.
Ich hab doch diesen Roman geschrieben, „Hätt’ ich ein Kind“, und am Anfang der Lesung frag ich immer ins Publikum. „Der Titel is ein Zitat. Wisst ihr woher? Kennt ihr alle. Große deutsche Literatur. Gibt ja eigentlich nur drei Möglichkeiten: Goethe isses nich, die Bibel isses auch nich, was bleibt also?“ (Die richtige Antwort lautet „Grimms Märchen“)
Zwischenruf Senftenberg: „Karl Marx!“
Ich war hin und weg. „Ja, okay“, hab ich gesagt, „vier Möglichkeiten.“
Die Wende ist bald 35 Jahre her, aber manche Gedanken sind immer noch drin. Und sie haben ja recht. Marx war ein hervorragender Autor. „Ein Gespenst geht um in Europa“, auf den Romananfang muss man erst mal kommen.
In meinem Roman geht es um Adoption und Geburt und Schneewittchens Mutter, die nämlich auch erst ab der zweiten Auflage der Kinder- und Hausmärchen zur Stiefmutter umgeschrieben wurde, weil im Märchen nicht sein durfte, was heute noch jeden Tag passiert: Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt dich in den Wahnsinn.
Es war halt nur eine Idee, das mit der bürgerlichen Familie, mit dem Mythos Mutterliebe, den sich alte französische Männer im 18. Jahrhundert ausgedacht haben. Eine Frau liebt das Kind, das sie geboren hat. Und zwar nur dieses Kind. Wegen Natur. Sie kann gar nicht anders. Als würde bei der Entbindung das Gehirn mit ausgeschieden und die Frau zum willenlosen Zombie mutieren.
Deswegen muss sie auch stillen. Wegen Natur. Denn Stillen ist das beste für ihr Baby. Steht heute noch an jedem Supermarktregal. Kinder, die nicht gestillt werden, werden automatisch zu Verbrechern. Und Müttern, die nicht stillen, fallen die Brüste ab. Hat Rousseau gesagt. Und der kannte sich aus. Schließlich hat der im Alleingang die Demokratie erfunden. Und die Natur. Und die Familie.
Ja, ist sehr verkürzt, aber hier ist ja auch kein Platz.
Es waren alles nur Ideen. Wie die von Karl Marx. Im Gegensatz zu dessen Ideen haben die von Rousseau sich jedoch durchgesetzt. Auch wenn sie nicht reibungslos funktionieren. Sie sind flexibler. Individuell anwendbar. Und subtiler. Wenn das mit dem Stillen nicht klappt oder du als Mutter überfordert bist, suchste die Schuld ja immer zuerst bei dir selbst. Und nicht bei der „herrschenden Klasse“. Das ist sehr praktisch. Denn wenn die Probleme im Privaten bleiben, bleibt das System stabil.
Manchmal denke ich, das Publikum im Osten versteht das besser. Schließlich haben die Leute dort schon mal erlebt, wie von heute auf morgen ein ganzes Weltgebäude umgeworfen und eine Idee gegen eine andere ausgetauscht wurde.
Marx hatte übrigens sieben Kinder mit seiner Frau Jenny. Vier Mädchen, zwei Jungs und ein siebtes namenloses, das gleich nach der Geburt starb. Die Mädchen hießen alle Jenny mit erstem Vornamen, wie seine Frau. Das war sehr praktisch, da Marx sehr viel arbeitete und über viele Dinge nachdachte, da konnte er sich nicht fünf verschiedene Bezeichnungen für Personen merken, die in seinem Haus wohnten und alle Röcke trugen. Er musste nur Jenny rufen, dann kam eine Person mit Rock und kümmerte sich um ihn.
Zum Dank schrieb er sie als Nebenwiderspruch in seine Theorie mit rein. War doch sehr nett von ihm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen