Von Dingern und Kabinenbesuchen: Schweiß und Politik
Kulturbeutel
von Andreas Rüttenauer
Seit wann ein Pokal „das Ding“ heißt, haben Historiker noch nicht erforscht. Als der FC Bayern 2013 die Champions League gewonnen hat, wurde eigentlich nur noch vom „Ding“ gesprochen und kaum einer sagte noch Pokal. Früher hieß „das Ding“ mal Henkelpott. In Dortmund wird es bisweilen immer noch so genannt. Ob das am Wortteil „Pott“ liegt? Wer weiß? Die WM-Trophäe, welche die deutsche Fußballnationalmannschaft 1990 gewonnen hat, so viel darf hier behauptet werden, ist seinerzeit bestimmt nicht „das Ding“ genannt worden.
Erst als 2012 der Film gezeigt wurde, der aus den Filmschnipseln zusammengeschraubt wurde, die Sepp Maier, der seinerzeitige Torwarttrainer, während des Turniers aufgenommen hat, da wurde aus dem Siegerpokal, der ja eigentlich gar kein Pokal, sonder eher eine kleine Statue aus Gold ist, „das Ding“. Das Bild, in dem zu sehen ist, wie der splitterfasernackte Lothar Matthäus „das Ding“ vor sein „Ding“ hält, war aber auch zu schön. Schöner sicherlich als die Aufnahmen, die den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl zeigen, der die Mannschaft nach dem Finalsieg über Argentinien in der Kabine heimgesucht hat. Die Kabine war jedenfalls mit dem gewaltigen Mann erst mal voll. Womit wir beim Thema wären: Kabinenbesuche.
Von solchen Kanzlerbesuchen, besser Kanzlerinnenbesuchen, in der Kabine, einem immanenten Bestandteil deutscher Edelfankultur, ist in diesen Tagen des Wahlkampfs wieder die Rede. Das liegt an einem Tweet von Nationalspieler Toni Kroos, der der Bundeskanzlerin nach ihrem Kantersieg im Fernsehduell gegen Martin Schulz via Twitter den Satz „Es lebe Angie!“ zugeschickt hatte. Und schon machten sich die schlüpfrigsten Fantasien breit, und es wurde gefragt, was wohl zwischen dem Bundesadlerträger und der Bundeskanzlerin vorgefallen sein mag bei deren letzten Besuch in der Kabine der deutschen Nationalmannschaft.
Wir gehen mal davon aus, dass da nichts war, verstehen aber diejenigen, die sich fragen, was eigentlich das Tolle ist an einem Besuch in der Umkleidekabine einer Sportmannschaft. Nach dem Spiel und vor dem Duschen schweißelt es da einfach, und es riecht weiß Gott nicht nach den Düften, für die die besten Fußballer der Welt Reklame machen, um sich ein kleines Zubrot zu verdienen. Ist schon klar, es geht beim Kabinenbesuch um Reklame und bei der gerade laufenden Merkelshow auf allen privaten und öffentlich-rechtlichen Kanälen (die Kanzlerin mit Pandas, bei YouTubern, auf der Gamescom, mit Gegenkandidat) war es beinahe schon verwunderlich, dass sie beim 6:0 der DFB-Elf im WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen keinen Kabinenbesuch unternommen hat.
Über die Fußballvergangenheit von Martin Schulz, der als junger Mann so gern ein Kicker geworden wäre, zu dem eine Kanzlerin in die Kabine kommt, und der jetzt so gern einer werden würde, der als Kanzler zu Fußballern in die Kabine geht, ist viel geschrieben worden. Nun, aus ihm wird wahrscheinlich kein Kabinenbesucher mehr. Ein solcher war auch Gerhard Schröder nicht, was auch daran liegen mag, dass seine Kanzlerschaft in die Hochzeit des deutschen Rumpelfußballs fiel.
Immerhin sah er sich während der WM 2002 in Japan und Südkorea bemüßigt, einen Brief an die Deutschen zu schreiben mit der Aufforderung, die Nationalmannschaft gefälligst zu unterstützen. Der „Brief des Bundeskanzlers an die Bürgerinnen und Bürger zur Fußball-WM“ trudelte mitten im Bundestagswahlkampf bei den Deutschen ein. Schröder schrieb: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich weiß nicht, ob Sie mit Fußball etwas am Hut haben oder nicht. Ich jedenfalls gehöre zu denjenigen, die sich für diesen Sport richtig begeistern können.“ Und so weiter. Gegenkandidat Edmund Stoiber reiste gar zum WM-Finale nach Japan, um Punkte zu sammeln. Schöne Fotos, die ihn Arm in Arm mit Brasiliens Superstar Pele zeigen, sind da entstanden. In die Kabine durfte Stoiber nach der Finalniederlage der Deutschen gegen Brasilien nicht. Wer will schon mit Verlierern weinen. Kurz darauf wurde auch er Zweiter bei einem Großereignis. Hinter Schröder.
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