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Vom Krieg gezeichnet

Die Künstlerin Dariia Kuzmych gibt in Kyjiw und Lwiw Kurse für ehemalige Soldat:innen, um deren Lebenszufriedenheit zu steigern

Sie wollte eine Form der Arbeit finden, die mit der Kriegsrealität in Verbindung steht Foto: Oksana Meister

Ein sonniger Morgen in Kyjiw. Nördlich der Altstadt hat die ukrainische Künstlerin Dariia Kuzmych ihren Arbeitsraum in einer Garage auf einem weitläufigen Gelände, auf dem einst eine Brauerei war. Kuzmych hat zwei Stühle vor ihr Atelier gestellt, bereitet Kaffee zu. Die 34-Jährige betreibt ein Kunstprojekt mit Kriegsversehrten. In Krankenhäusern in Kyjiw und Lwiw hat sie vergangenes und dieses Jahr gemeinsam mit der Psychologin Nikoletta Yurets Kurse für jeweils rund zehn Veteranen gegeben. Sie sind im Kampfeinsatz verwundet worden, haben zum Beispiel ihre Gliedmaßen verloren oder leiden unter den psychischen Folgen des Kriegs.

„Nach so einer intensiven und brutalen Erfahrung ins zivile Leben zurückzufinden, ist sehr schwer“, sagt ­Dariia Kuzmych. „Viele können ihren früheren Job nicht mehr ausüben. Nicht nur, weil sie körperlich oder psychisch dazu nicht mehr in der Lage sind, sondern auch, weil es ein Teil ihres ‚alten‘ Lebens ist, in das sie nicht zurückkönnen, weil sie und die Umstände sich verändert haben.“

Dariia Kuzmych ist eine bildende Künstlerin aus Kyjiw, die bereits in vielen verschiedenen europäischen Städten ausgestellt hat. Kuzmych wird 1991 in Kyjiw geboren, sie studiert von Ende der Nullerjahre an zunächst Malerei in ihrer Heimatstadt, von 2015 an experimentelle Film- und Medienkunst an der Universität der Künste in Berlin. Dort macht sie 2021 ihren Master, zu dieser Zeit lebt sie in der deutschen Hauptstadt und in Wien.

Seit Herbst 2022 – einem halben Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – lebt und arbeitet sie wieder überwiegend in Kyjiw. „Ich konnte es nicht mehr aushalten, in Wien oder Berlin zu sitzen. Ich musste eine Form der Arbeit finden, die mit der Kriegsrealität in Verbindung steht“, sagt sie. Zurück in der ukrainischen Hauptstadt konzipiert sie ein Programm, bei dem Veteranen sich über künstlerische Arbeit mit dem Erlebten auseinandersetzen. Kuzmych weiß, wie es ist, mit einer Behinderung zu leben: Als junge Erwachsene hatte sie 2010 einen Verkehrsunfall, bei dem ihr Bein zunächst amputiert werden sollte. Nach vielen Operationen bekam sie vor einigen Jahren schließlich eine Knieendoprothese, ein künstliches Kniegelenk.

Bislang hat Kuzmych ihre Kurse in den Krankenhäusern Feofania in Kyjiw und Unbroken in Lwiw gegeben. Gemeinsam mit der Psychologin Nikoletta Yurets führte sie zunächst Vorgespräche mit den Patienten, beide Kurse bestanden dann aus zwei bis drei Einheiten, jeweils zwei Stunden lang. Die Arbeit in den Krankenhäusern hat Kuzmych als Freiwillige geleistet. Zu Beginn des Programms habe es eine Förderung von über 5.000 Euro seitens des österreichischen Programms Documenting Ukraine gegeben, die sei aber größtenteils für Materialien, Organisation und Fahrtkosten verwendet worden.

Kuzmych will über die Kunstgeschichte mit den Teilnehmenden ins Gespräch über Beeinträchtigungen und die medizinische Behandlung kommen. Eingangs zeige sie den Teilnehmenden Bilder und Fotos, die Menschen mit Behinderung abbilden, „oft aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg“. Heinrich Zilles Zeichnungen von Kriegsversehrten mit Holzbein verwende sie genauso wie das Bild „Sterbende Soldaten“ von Otto Dix. „Anschließend sprechen wir mit den Patienten zum Beispiel darüber, wie die Prothesentechnologien sich im Zusammenhang mit den Kriegen entwickelt haben und wie sich die Wahrnehmung des menschlichen Körpers in der Gesellschaft verändert hat“, sagt sie. Die Diskussionen begleitet die Psychologin Yurets. Sie dienen als Grundlage für den praktischen Teil, in dem die Teilnehmenden selbst Tuschebilder und Aquarelle sowie Collagen aus Papier, Zeitungen und Fotofragmenten anfertigen.

Kuzmych betritt nun ihr Atelier, das hell und etwa 30 Quadratmeter groß ist. Sie zeigt einige A3- bis A4-formatige Bilder und Collagen der Teilnehmenden, die auf einem großen Tisch liegen. „Oft sind Werke entstanden, in denen sich die Veteranen mit Kriegsszenen auseinandergesetzt haben“, erklärt sie. Eine Skizze zeigt etwa einen vor einer Kunstleinwand sitzenden Mann mit vier Beinprothesen, die an ihren Enden spitz zulaufen wie Schwerter oder Messer. Darüber liegt ein abstraktes Bild in Tarnfarben mit zackigem Pinselstrich und zwei Gesichtern, die hinter geschwungenen Linien verschwinden. Gäste oder Journalisten hat Kuzmych bei den Kursen bislang nicht zugelassen, weil nicht alle Teilnehmenden damit einverstanden gewesen seien und unter sich bleiben wollten.

Kuzmych sieht die Kurse eher als Kunstseminare, weniger als kunsttherapeutische Projekte. Es gehe darum, neue Kenntnisse zu erwerben, andere Perspektiven einzunehmen, Reflexion zu ermöglichen – damit dann auch hoffentlich die Lebenszufriedenheit bei den Veteranen steige. „Die künstlerischen Arbeiten werden auch nicht interpretiert, wir ziehen daraus keine Schlüsse über das Befinden der Person, wie es zum Teil in der Kunsttherapie der Fall ist.“

Die Auswirkungen der Kriegserlebnisse auf die Psyche seien sehr individuell, sagt die Künstlerin. Einer der Teilnehmenden war in Bachmut und an anderen heftig umkämpften Frontabschnitten im Einsatz, habe viele Ka­me­ra­d:in­nen verloren. „Er ist oft aggressiv geworden, das ist eine mögliche Folge der Traumaerfahrung. Er brauchte einfach eine Weile Ruhe.“ Viele Teilnehmende hätten Schädel-Hirn-Traumata während des Kriegs erlitten, seien davon gezeichnet.

„Ich konnte es nicht mehr aushalten, in Wien oder Berlin zu sitzen“

Dariia Kuzmych

Die ehemaligen Sol­da­t:in­nen litten auch unter einem Umfeld, das nicht immer angemessen auf sie reagiert, sagt Kuzmych. „Menschen mit sichtbaren Folgen der Kriegseinsätze, wie fehlenden Gliedmaßen oder vernarbten Gesichtern, hören oft unsensible Kommentare“, sagt sie. In ihren alten Alltag können sie nicht zurück, ihnen fehlt eine Aufgabe. „Viele wollen zurück an die Front, sogar mit Prothesen. Die existenzielle Gefahr für das eigene Land wiegt für sie oft höher als das Kurieren der Verwundung“, sagt Kuzmych.

Für die ferne Zukunft denkt ­Dariia Kuzmych über eine Ausstellung mit den Bildern der Veteranen nach. Als nächstes reist sie im Oktober aber erst einmal nach Iwano-Frankiwsk, wo ein weiterer Kurs geplant ist.

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