: Vom Bremser zum Vorreiter
■ Entwicklungsländer schulden Deutschland Milliarden. Dennoch fordert die Bundesregierung einen vollständigen Schuldenerlaß
Köln (taz) – Deutschland könne von einem Schuldenerlaß für die ärmsten Länder nur profitieren, wirbt Kanzler Schröder für das, was er als „Kölner Initiative“ auf dem Weltwirtschaftsgipfel der sieben größten Industrienationen verabschiedet sehen möchte. „Es gibt keine dauerhafte Stabilität in der Welt, wenn die Entwicklungsländer nicht an der Weltwirtschaft teilnehmen können“, sagte er auf einem Treffen mit katholischen Bischöfen zum Thema Schuldenkrise.
Solche Töne hörte man von der alten Bundesregierung nicht. Zwar gab es auch in der Ära Kohl schon den ein oder anderen Erlaß, doch war dies eher eine Art Gnadenakt gegenüber einzelnen Ländern. In den Fonds, aus dem die Weltbank ihre Erlaßinitiative für die ärmsten Schuldnerländer finanzieren soll, zahlte die Bundesregierung jedenfalls nicht ein. Und die Idee, IWF-Goldreserven zu verkaufen, um damit einen Schuldenerlaß zu bezahlen, verhinderte Kohls Finanzminister Theo Waigel.
Die rot-grüne Regierung will immerhin 50 Millionen Mark in den multilateralen Erlaßfonds einzahlen, versprach Finanzstaatssekretär Caio Koch-Weser, und der designierte Bundesbankpräsident Ernst Welteke will sich einem Goldverkauf nicht mehr entgegenstellen. Welche Kosten auf die Bundesregierung zukämen, wenn sie tatsächlich Schulden erläßt, ist nicht zweifelsfrei festzustellen. Die Nord-Süd-NGO Weed hat in ihrem aktuellen Schuldenreport ausgerechnet, daß die Entwicklungsländer insgesamt mit über 60 Milliarden Mark bei Deutschland in der Kreide stehen. Jährlich müßten sie über 3,8 Milliarden Mark für Zinsen und Tilgungen nach Deutschland überweisen, in Wirklichkeit sind es auf Grund von Zahlungsschwierigkeiten jedoch deutlich weniger.
Wenn jetzt auf dem Kölner Gipfel über einen teilweisen Schuldenerlaß diskutiert wird, geht es nur um eine ganz bestimmte Ländergruppe, nämlich die ärmsten der Schuldnerländer, zu denen vorwiegend Staaten in Afrika gehören, nicht aber Großschuldner wie Brasilien oder Mexiko. Deutschlands Forderungen an diese 41 ärmsten Länder belaufen sich nach Berechnungen von Weed wie auch der Kampagne Erlaßjahr 2000 auf 15,5 Milliarden Mark, das ist etwa das Doppelte des jährlichen Etats des Entwicklungsministeriums. Deutschland allein hält etwa ein Zehntel aller bilateralen Forderungen an diese Ländergruppe. Allerdings ist von Seiten der Bundesregierung seit neuestem eine andere Zahl zu höhren: 10,75 Milliarden Mark schulden laut Finanzministerium die 41 ärmsten Länder der Bundesrepublik. 140 bis 150 Millionen Mark müssen sie jährlich an Schuldendienst nach Deutschland zahlen. Friedel Hütz-Adams von der Erlaßjahrkampagne hält diese Zahlen für nicht nachvollziehbar. Seit 1993 gibt es keine kohärenten Zahlen mehr von der Bundesregierung über die Schuldensituation. „Und jetzt kommt das Finanzministerium mit Zahlen, die vorher nie genannt wurden“, wundert er sich.
Rund drei Viertel der deutschen Forderungen an die ärmsten Länder sind durch Handelsbürgschaften entstanden. Wenn ein Importeur in einem Entwicklungsland einen deutschen Exporteur nicht bezahlt, dann springt üblicherweise die Hermes-Versicherung ein. Aus der Handelsbeziehung eines Entwicklungslandes mit einer deutschen Firma wird so eine Schuld gegenüber dem deutschen Staat.
Nur knapp drei Milliarden Mark Schulden stammen nach Berechnungen von Weed aus finanzieller Entwicklungszusammenarbeit. Der Anteil ist so niedrig, weil inzwischen ein Großteil der Entwicklungshilfe für diese Länder als Schenkung vergeben wird. Der Rest, 1,3 Milliarden Mark waren es Ende 1997, sind ausstehende Kredite, die die DDR an verbündete Länder wie Mosambik oder Nicaragua gezahlt hatte.
Rußland, das erst im vergangenen Jahr als Nummer acht zu den G 7 gestoßen ist, ist übrigens eines der größten Schuldnerländer Deutschlands. Laut dem Entwicklungshilfeministerium belaufen sich Rußlands Schulden auf 23,2 Milliarden Mark.
Die Deutschen haben vorgeschlagen, bis zu 100 Prozent sowohl der Handels- als auch der Entwicklungshilfeschulden zu erlassen. Die bisherigen G-7-Beschlüsse besagen, daß diese Schulden nur zu maximal 80 Prozent gestrichen werden können. Bei den Handelsschulden sträuben sich die G-7-Partner, über diesen Wert hinauszugehen. Vermutlich wird der Weltwirtschaftsgipfel deshalb ohne konkrete Einigung auseinandergehen. Günstigstenfalls wird die G 7 erlauben, daß jedes Gläubigerland künftig nach eigenem Ermessen verfahren kann. Dann hat die Regierung Schröder Gelegenheit zu beweisen, daß sie es mit der Schuldeninitiative über die Gipfelrhethorik hinaus ernst meint.
Nicola Liebert
Rund drei Viertel der deutschen Forderungen an die ärmsten Länder sind durch Handelsbürgschaften entstanden
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