Volksentscheid Berlin autofrei: Wie sinnvoll wäre das?
Der Gesetzentwurf zum Verbot privater Autofahrten in der Berliner Innenstadt ist zulässig. Gleichzeitig lädt er zum kreativen Regelmissbrauch ein.

S o viel steht fest: Das Volksbegehren der Initiative „Berlin autofrei“ ist von der Verfassung gedeckt. Der Senat lag falsch mit der Einschätzung, der Gesetzentwurf verstoße gegen Grundsätze wie die allgemeine Handlungsfreiheit. Der Vollständigkeit halber: Es war ein rot-grün-roter Senat, der das Gericht anrief.
Offen bleibt die Frage, wie zielführend und fair es ist, den Autoverkehr mit Verboten aus der Innenstadt herauszuhalten. Hier fällt auf, dass auch viele AkteurInnen der Mobilitätswende, die das grundsätzliche Anliegen teilen, den gewählten Weg nicht freiheraus begrüßen. Da heißt es dann eher, das Urteil sei „gut für die Demokratie“ und man freue sich auf die politische Debatte.
Der Verband Fuss e. V. warnt davor, den „Autozwang durch Anti-Auto-Zwang“ zu ersetzen, Changing Cities findet, der „zentrale Hebel“ sei der Ausbau der Infrastruktur: Wenn es mit ÖPNV und Rad oder zu Fuß angenehm und sicher voranginge, „wären Berlins Straßen schon viel leerer“.
Der Ansatz von Berlin autofrei folgt eben einer ganz anderen Logik – als verbesserte man nicht die Software, sondern tauschte das Betriebssystem aus. Mit dem Ansatz des stetigen Stadtumbaus, der dann auch die Fortbewegungsgewohnheiten verändert – das Prinzip des Mobilitätsgesetzes –, ist das Autoverbot schwer vereinbar.

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Dabei dürfte die Kritik der Linkspartei immer noch die wichtigste sein: Sie fremdelt mit dem „enormen bürokratischen Aufwand“. Mehr Bürokratie klingt irgendwie nebensächlich, aber ein Blick in den Gesetzentwurf lässt eine ganze Menge unguter Szenarien aufscheinen.
Das große Feilschen um Ausnahmen
So sollen neben Polizeiautos, Bussen, Taxis, Lastwagen oder Betonmischern auch viele Berufstätige weiterhin mit Pkw oder Moped auf den Straßen fahren dürfen, wenn das für ihren Handwerks- oder Dienstleistungsbetrieb unabdingbar ist, oder wenn sie nachts arbeiten. Hier dürfte das große Feilschen um Ausnahmen schon beginnen.
Richtig interessant wird es aber bei den privaten Fahrten, von denen anfänglich 12 pro Jahr möglich sein sollen – pro NutzerIn, nicht pro Fahrzeug. Weil das den Personenkreis deutlich weitet, soll die Anwesenheit der NutzerInnen mit „elektronischen Nachweisstellen“ geprüft werden. Und das in Berlin! Dass es Ausnahmen für mobilitätseingeschränkte Menschen, aber auch für alle gibt, die im öffentlichen Raum Diskriminierung erleben, ist richtig, dürfte aber zum kreativen Umgang mit den Regeln einladen.
Und auch das gehört zur Wahrheit: Für viele BerlinerInnen sind Autos immer noch eine sinnvolle Mobilitätsergänzung – auch wenn sie vielleicht gar kein eigenes haben. Autofahren zum Spaß, aus Statusgründen oder reiner Bequemlichkeit ist definitiv Mist, und das schränkt man effektiv durch Umbau der Straßen ein.
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