Volksentscheid Baum in Berlin: Alle 15 Meter ein Baum
Die Initiative Volksentscheid Baum hat ihren Gesetzentwurf dem Senat zur amtlichen Kostenschätzung vorgelegt. Es geht um viel – auch um viel Geld.
Eine Menge Holz, um mal im Bild zu bleiben. Aber für den erfahrenen Volksentscheids-Macher Strößenreuther, seine Mitstreiterin Génica Schäfgen, Deutschlandchefin der Öko-Suchmaschine Ecosia, und die übrigen rund 60 an der Initiative Beteiligten ist das gerade mal das Nötigste. Es gehe schließlich darum, die Gesundheitskrise abzuwenden, die die Klimakrise für eine Stadt wie Berlin bedeute, so Schäfgen beim Pressetermin im Café des Kulturkaufhauses Dussmann – hochsymbolisch vor dem „vertikalen Garten“, über dessen Pflanzen kühles Wasser rieselt.
Für den Mittag hatte sich die Initiative bei der Senatsinnenverwaltung angekündigt, um ihr den Entwurf zu überreichen. Deren Job ist es jetzt, eine amtliche Kostenschätzung vorzunehmen, ohne die die erste Phase der Berliner Volksgesetzgebung nicht starten kann. Liegt sie vor, können Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren gesammelt werden.
Mindestens 20.000 müssen es sein, damit es weitergeht. So der Senat sich das Gesetz nicht freiwillig zu eigen macht, startet die „große“ Unterschriftensammlung. Beteiligen sich mehr als 170.000 BerlinerInen daran, kommt es zum Volksentscheid. Die Initiative hat dafür den Termin der nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus 2026 im Visier.
Das „Bäume-Plus-Gesetz“ soll die Stadt in künftigen Hitzephasen grün und kühl halten, auch andere Extremwetterereignisse wie Starkregen sollen damit besser bewältigt werden können. Aber was genau macht es so teuer? Ein Blick in die 24 Paragrafen – plus zwei Änderungen im Naturschutzgesetz und im Betriebe-Gesetz – zeigt, dass es dem „BaumEntscheid“ an einem ganz sicher nicht fehlt: Gründlichkeit.
300.000 Bäume plus
Dass schon bis Ende 2027 rund 10.000 neue Straßenbäume auf brachliegenden Baumscheiben zu pflanzen und zu pflegen sind, um den Bestand des Jahres 2010 von 440.000 Exemplaren wieder zu erreichen, ist noch eine der mildesten Maßnahmen im Gesetz. Die „Klimaanpassungsziele“, deren Umsetzung akribisch mit zeitlichen Pfaden unterlegt sind, sehen auch vor, dass bis 2040 in allen Berliner Straßen „mindestens durchschnittlich alle 15 Meter“ ein Baum zu stehen hat. Das könnten grob gerechnet schon 300.000 zusätzliche Bäume sein. Der Platz, der an vielen Stellen dafür erst geschaffen werden müsste, soll nur auf Kosten von Kfz-Stellplätzen gehen.
Noch viel höher legen die InitiatorInnen die Latte aber für rund 150 „Hitzeviertel“ mit besonders ungünstiger thermischer Belastung und schlechtem Zugang zu Grünflächen. Der Senat soll sich bei deren Auswahl an den städtischen Planungsräumen orientieren, die in seinem eigenen „Umweltgerechtigkeitsatlas“ von 2021/22 besonders schlecht wegkamen.
BewohnerInnen dieser Viertel sollen laut Entwurf künftig nicht mehr als 500 Meter zu Fuß zurücklegen, um eine „klimawirksame öffentliche Grünfläche“ von mehr als einem Hektar Größe zu erreichen. Schon in maximal 150 Metern Laufweite sollen sogenannte Kühlinseln liegen: kleine, mit Bäumen und Büschen ausgestattete Flächen, auf denen Hitzebetroffene Erholung suchen können. Stichwort Gründlichkeit: Zur „Klimawirksamkeit“ gehört laut Definition der AutorInnen, dass die Lärmbelastung zumindest im Inneren dieser Flächen nicht mehr als 53 Dezibel betragen darf, die größeren Grünflächen müssen zudem 2 Prozent Wasserfläche enthalten.
Darüber hinaus verlangt das „Bäume-Plus-Gesetz“ auch die Anlage von „Verdunstungs- und Versickerungselementen“ in den Hitzevierteln, etwa Mulden oder unterirdische Rigolen, die das überschüssige Wasser von heftigen Regengüssen auffangen können. Zusammen mit der Anlage und Pflege von Grünflächen ergibt das eine „blau-grüne Infrastruktur“, ein Begriff, den auch die Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt schon lange verwendet.
Scharf geschaltete Reden
Überhaupt handele es sich nicht um irgendwelche komplett neuen Ideen, betonte Strößentreuther. Nein: Man wolle lediglich die PolitikerInnen beim Wort nehmen und ihre „tollen Reden endlich scharf schalten“. In der Bevölkerung gebe es viel Wut über die Untätigkeit in Sachen Klimaresilienz, dieses Momentum nutze man. „Wir gehen davon aus, dass wir Erfolg haben werden“, fasst Génica Schäfgen die Stimmung in der Initiative zusammen, deren „Law Team“ einen intensiven und anstrengenden Prozess hinter sich habe.
Auch für den Fall, dass die hehren Ziele des Gesetzes – sollte es Wirklichkeit werden – in den Niederungen der Politik auf der Strecke zu bleiben drohen, hat der Gesetzentwurf vorgesorgt: Ein mit einer Handvoll unabhängiger WissenschaftlerInnen besetzter „Risikowetterrat“ soll das Regierungshandeln kritisch begleiten und Umsetzungsvorschläge machen.
Konkrete Sanktionen sind dagegen nicht vorgesehen. Man werde sehen, ob Klagen dann eine Option seien, hieß es – die Deutsche Umwelthilfe macht das seit Längerem teils erfolgreich. Heinrich Strößentreuther glaubt aber, dass die Politik auch schlechte Öffentlichkeit scheue und sich darüber kriegen lasse: „Blame and Shame“ lautet seine Devise, um Reden schwingende SenatorInnen zum Handeln zu tragen.
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