Volksbegehren zur Deutsche Wohnen: Über 77.000 wollen Enteignung

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ reicht Unterschriften bei der Berliner Verwaltung ein. Die prüft, ob das Volksbegehren zulässig ist.

Noch am Mittag gehen Unterschriften ein, am Ende sind es mehr als 77.001 Foto: dpa

Der gesammelte Frust der BerlinerInnen über eine zu lasche Mietenpolitik passt in ein Lastenfahrrad. Am Freitagmittag rollt es vor die Senatsverwaltung für Inneres in Mitte. Zu Paketen verschnürte Papierbögen liegen darin, mit Unterschriften von über 77.000 Menschen. Sie alle unterstützen das Volksbegehren für die Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen mit mindestens 3.000 Wohnungen. „Hohe Miete muss nicht sein, setzt euch für Enteignung ein“, schallt ein Sprechchor durch die Straße. Die AktivistInnen bilden eine Kette, die Pakete wandern von Hand zu Hand bis hinein in das Gebäude der Innenverwaltung.

Seit April hat die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ Unterschriften für die Einleitung eines Volksbegehrens gesammelt. Innerhalb von sechs Monaten musste sie 20.000 zusammenbekommen. „Wir haben fast das Vierfache der benötigten Zahl“, ruft Rouzbeh Taheri, Sprecher des Volksbegehrens, am Freitag ins Mikrofon. Zum Vergleich: Die Initiative für einen Mietenentscheid hatte 49.000 Unterschriften eingereicht, beim „Volksentscheid Fahrrad“ waren es sogar über 100.000.

Wut über steigende Mieten

„Wir hätten auch weitersammeln können, aber irgendwann ist auch gut“, sagt Taheri. Die vielen Unterschriften sieht er als Ausdruck der Angst vor Verdrängung, der Wut über steigende Mieten. Viele, auch Eigentümer von Wohnungen, hätten unterschrieben, weil sie nicht wollten, dass große Konzerne die Entwicklung in der Stadt bestimmten, so Taheri.

Die Innenverwaltung prüft nun, ob die Unterschriften gültig sind und das Volksbegehren rechtlich zulässig ist. Das kann einige Monate dauern – oder sogar länger: Das Volksbegehren „Berlin werbefrei“ wartet seit fast einem Jahr auf das Ergebnis. Es gibt Befürchtungen, dass der Senat auch die rechtliche Prüfung des Enteignungs-Begehrens verschleppen könnte. „Wenn Innensenator Geisel das Volksbegehren auf die lange Bank schieben will, werden die Berlinerinnen und Berliner das nicht akzeptieren“, so Jenny Stupka, Sprecherin der Initiative.

Zuletzt hatte der Senat den Volksentscheid Fahrrad abgewendet, indem er viele Ziele selbst übernahm: Nach zähen Verhandlungen mit der Initiative trat im Juli 2018 das Mobilitätsgesetz in Kraft. Nach einer solchen politischen Lösung sieht es beim Enteignungs-Volksbegehren bislang eher nicht aus. Die Linken unterstützen zwar das Volksbegehren, die Grünen mit Einschränkungen ebenfalls, die SPD konnte sich bislang aber nicht auf eine Linie verständigen. Sie will sich erst bei einem Parteitag im Oktober positionieren. Es gebe noch keine Anzeichen, dass der Senat in Verhandlungen gehen wolle, sagt Taheri am Freitag der taz. „Aber wir haben es auch nicht eilig.“

Auch Kritiker von Enteignungen sind am Freitag vor Ort: FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja warnt vor einem „falschen Signal für den gesellschaftlichen Frieden in der Stadt“. Eigentum müsse geschützt werden. Die Enteignungsdebatte bezeichnet er als „absurd“. Die FDP setze darauf, dass die Innenverwaltung das Volksbegehren als „nicht legitim“ ablehne. Auch der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU teilt kurz darauf mit: „Wir halten das Vorhaben der Initiative für unvereinbar mit Grundgesetz und Berliner Landesverfassung.“

Gibt die von der SPD geführte Innenverwaltung – allen Hoffnungen von FDP und BBU zum Trotz – grünes Licht für das Volksbegehren, beschäftigt sich zunächst das Abgeordnetenhaus mit dem Thema. In einem nächsten Schritt muss die Initiative innerhalb von vier Monaten rund 170.000 Unterschriften sammeln. Klappt das, kommt es in Berlin zum Volksentscheid.

Dass die Diskussion über den Mietendeckel seiner Initiative den Wind aus den Segeln nehmen könnte, glaubt Taheri nicht. Die Menschen wüssten, dass zeitlich begrenzte Maßnahmen nicht ausreichten. „Wir begrüßen den Mietendeckel. Aber er ersetzt nicht unsere Initiative, er kann sie ergänzen.“

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