Volksbegehren Enteignung: Der Weg ist das Ziel
Ein „Ja“ beim Volksentscheid ist ein konstruktiver Beitrag, die Wohnungspolitik hin zu einer stärkeren Orientierung am Gemeinwohl zu korrigieren.
D er Volksentscheid über die Vergesellschaftung großer Immobilienunternehmen ist anders als die meisten früheren Entscheide in Berlin. Denn es steht dabei kein Gesetzentwurf zur Abstimmung, sondern lediglich ein Appell an den Senat, ein entsprechendes Gesetz zu verfassen.
Ein Grund dafür ist, dass mit der Initiative politisches und juristisches Neuland betreten wird – und niemand genau weiß, wie das Gesetz am Ende aussehen könnte und ob es vor dem Verfassungsgericht besteht. Das wiederum bedeutet, dass man gar nicht unbedingt für die Vergesellschaftung sein muss, um am 26. September guten Gewissens das „Ja“ anzukreuzen.
Man kann es auch einfach mit Konfuzius formulieren: Der Weg ist das Ziel.
Um den Weg zu erkennen, muss man sich die Umgebung anschauen, sprich die Lage auf dem Wohnungsmarkt: Da geht nichts mehr. Berlin hat eine lange Tradition, was fehlende und überteuerte Mietwohnungen angeht. Aber seit der Finanzkrise 2008 und dem folgenden Kapitalstrom in „Betongold“ muss man sagen: Der Wohnungsmarkt dient vor allem Immobilienspekulant*innen und Aktionär*innen.
Eingriff zeigt Wirkung
Schon Rot-Schwarz hat bis 2016 versucht, die Wohnungsnot zu bekämpfen; Rot-Rot-Grün hat gar einen Mietendeckel gewagt – und musste sich vom Bundesverfassungsgericht sagen lassen, dass das Land dafür nicht zuständig sei.
Doch schon die empörten Reaktionen der vereinten Immobilienlobby aus Wohnungsunternehmen, CDU und FDP haben gezeigt: Dieser Versuch der Regulierung, des Eingriffs in den schon lange aus dem Gleichgewicht geratenen Markts zeigt Wirkung und geht in die richtige Richtung.
Es ist unklar, ob die nächste Bundesregierung, wie jetzt vielfach gefordert, Mietendeckel auf Länderebene ermöglichen wird. Gerade deswegen ist es nötig, den Druck auf Immobilienunternehmen und Politik hoch zu halten, damit die derzeit unisono wiederholte Aussage von „Wohnraum als der sozialen Frage des 21. Jahrhunderts“ nicht zur Phrase verkommt. Ein „Ja“ beim Volksentscheid ist deshalb ein konstruktiver Beitrag, die Wohnungspolitik weiter hin zu einer stärkeren Orientierung am Gemeinwohl zu korrigieren.
Ein „Ja“ beim Volksentscheid liefert linken Politiker*innen zudem die Legitimation, forsch für Interessen von Mieter*innen zu kämpfen, schließlich wird es weitere neue Instrumente in der Mietenpolitik geben.
Und: Ein „Ja“ dürfte die CDU und vielleicht sogar die FDP daran erinnern, dass selbst sie Wähler*innen haben, die sich keine Eigentumswohnungen leisten können.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott