Vogelschutz: Bei euch piept’s wohl!
Bei der Stunde der Wintervögel zählen Hobbyornithologen die Vögel vor ihrer Haustür. Der Nabu wertet die Daten wissenschaftlich aus.
Fast wollte man all die Bäume, die ihre Blätter abgeworfen haben, und die Vögel, die in den Süden abgehauen sind, schon des Alarmismus bezichtigen. Aber nun ist es ja doch noch Winter geworden in Berlin, und während Polizeiautos und S-Bahnen von dieser Entwicklung mal wieder vollends überrascht sind und kollektiv den Geist aufgeben, hat die hiesige Vogelwelt sich auf den Extremfall gut vorbereitet.
Weil das Nahrungsangebot erheblich spärlicher oder je nach artspezifischer Vorliebe sogar ganz ausfällt und die Umweltbedingungen zu harsch werden, verhalten viele Vogelarten sich wie westdeutsche Zugezogene im Prenzlauer Berg und setzen sich über Weihnachten ab in den Süden. So bleiben die Ur-Berliner mal eine Weile unter sich. Die menschlichen unter ihnen freuen sich darüber, Pfannkuchen statt Berliner zu bestellen und Parkplätze zu finden, während ihre gefiederten Schicksalsgenossen sich nicht mehr mit so vielen lästigen Konkurrenten um Dönerreste und Meisenringe kabbeln müssen. Zu den bekanntesten Wintervögeln gehören die Spatzen (genauer: Haus- und Feldsperling), Meisen (vor allem Kohl- und Blaumeise), Stieglitze, Kleiber und Elster. Sie trotzen dem Berliner Winter schon zu einer Zeit, als es Berlin noch gar nicht gab. Standvögel nennen die Ornithologen solche Migrationsverweigerer.
Hauswände ersetzen Gebirge
Aber auch in der Tierwelt ändern sich die Zeiten. Die Amsel erscheint zwar praktisch als Inbegriff eines Wintervogels, so allgegenwärtig wie sie auf unseren Grünflächen herumhüpft, hat sich in Wirklichkeit aber erst vor gut hundert Jahren zum Bleiben entschieden. Berlin mit seinen Parkanlagen und geschützten Bereichen erwies sich für die Exzugvögel als bequemere Alternative zum mühsamen Weg gen Süden. Weiter nördlich lebende Amseln ziehen dagegen noch heute im Winter in wärmere Gefilde.
Um das komplexe System der Vogelbewegungen besser zu verstehen, ruft der Nabu schon zum sechsten Mal zur „Stunde der Wintervögel“ auf. Vom 8. bis 10. Januar ist es wieder so weit. Alle Vogelfreunde sind angehalten, eine Stunde lang an einem von ihnen selbst ausgewählten Ort Vögel zu zählen.
Jeder kann mitmachen, Vorkenntnisse sind nicht nötig. Um die häufigsten Arten auseinanderhalten zu können, bietet die Organisation im Netz einfache Bestimmungshilfen an. Dort findet man auch Mitmachbögen, auf denen man seine Sichtungen eintragen kann. 2015 waren 77.000 Vogelzähler im Einsatz – die größte wissenschaftliche Mitmach-Aktion des Landes.
www.stundederwintervoegel.de (wer)
Einen ähnlichen Weg geht derzeit offenbar der Hausrotschwanz. Eigentlich eine Gebirgsart, die felsige Steilwände bevorzugt, haben die Vögel im Lauf der Zeit erkannt, dass Städte eigentlich recht ähnliche Lebensbedingungen bieten. So tauschten die hübschen Vögel zunehmend ihre Gebirgs- gegen Häuserschluchten ein. Aber nicht nur das: Zogen sie früher im Winter ans Mittelmeer, bleiben die Vögel in den letzten Jahren zunehmend hier. Der Klimawandel macht es möglich. Es ist also durchaus nicht unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit der bisherige Zugvogel Hausrotschwanz auch in Berlin zum echten Wintervogel wird.
Wenn Skandinavien zu frostig wird
Ganz anders dagegen ist die Situation bei den robusteren Nordvögeln. Seidenschwanz, Erlenzeisig und Bergfink etwa sind so winterfest, dass sie sogar in Skandinavien bleiben. Normalerweise. Wenn es dann aber zu frostig wird im hohen Norden, treten sie in Scharen die Flucht an und landen etwa in Berlin. Für die nordischen Raubeine offenbar eine Art winterlicher Wellnessoase. Ebenso reagieren hiesige Brutvögel unterschiedlich auf die Klimabedingungen. Wacholderdrossel, Mönchsgrasmücke und Zilpzalp etwa fanden den letzten Berliner Winter so entspannt, dass sie einfach hier blieben, statt wie üblich abzuhauen.
Es ist also insgesamt keineswegs unabänderlich, welche Art wann den Wintervogel macht. Viele Faktoren nehmen darauf Einfluss. Das aktuelle Wetter wie der langfristige Klimawandel, aber auch die Ernährungslage, die wiederum vom Menschen beeinflusst wird. So hat die Fütterung von Vögeln einen messbaren Einfluss auf Populationsgrößen.
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