Vierter Roman des Schriftstellers: Das Imperium des Christian Kracht
Er sähe sich gern in einer Reihe mit Thomas Mann, Lord Byron oder Hergé. Nächste Woche erscheint Christian Krachts vierter Roman: "Imperium".
Christian Krachts Roman "Faserland" war 1995 tatsächlich ein Ereignis. Kaum dreißigjährig ließ Kracht, Abkömmling der Oberschicht, die Hosen literarisch runter. Und zwar zur Gänze. Volltrunken und verpeilt zeigte er sich als Romangestalt zwischen Kampen (Sylt) und Meersburg (Bodensee). Kaum jemand in der jüngeren deutschen Literatur schiss und kotzte wohl so stilvoll in die Zimmer teurer Hotels. Und kaum jemand konnte sich und seine Umgebung so treffend und snobistisch beschreiben - bis zur Karikatur seiner selbst.
Das schien vielen radikal, einigen unkorrekt, Elitismus und Bekenntnis zur materiellen Differenz, manchen sogar befreiend. Die deutsche Literatur der 1990er Jahre hatte hier in jedem Fall eine neue existenzialistische Stimme: einen Nihilisten und früheren Salemer Internatsschüler, der sich auf seiner Suche nach Freundschaft, Ruhm und Größe ästhetisch auch gegen das eigene Milieu wandte.
Das ist lange her. Kracht wollte höher hinaus, als nur betrunken in den Bodensee zu fallen. Er ging auf Fernreisen und veröffentlichte in größeren Abständen die Romane "1979" (2001) sowie "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" (2008). Nach seinem biografisch angelegten Schocker "Faserland" begann er die folgenden Erzählungen sorgsam zu verrätseln. Der schriftstellerische Solitär setzte sich so von der unmittelbar und pubertär wirkenden Drastik seiner Sturm-und-Drang-Phase ab, um sich nach und nach ein eigenes Reich aus Mythen und Märchen zu erschaffen.
Wenn es jedoch eine Konstante in Krachts Werk gibt, so ist es sein Streben nach Erhaben- und Überlegenheit gegenüber einer allzu gewöhnlich erscheinenden Gegenwart und Umgebung. Die Übertragung der snobistischen Haltung auf utopische und erfundene Sujets zeitigt aber bereits im Erzählfluss von "1979" zwiespältige Ergebnisse. Hier mischte der Autor seine auf Reisen gewonnenen Eindrücke mit historischen Szenen der Revolution in Iran von 1979, also subjektive Eindrücke mit faktischen historischen Begebenheiten.
Erhabenes und Bärte
Ein kniffliges Spiel mit einigen Stolperfallen. So lässt Kracht in "1979" einen seiner westlichen Bohemiens in einem Teheraner Krankenhaus verrecken, das er als ein von Bärtigen geführtes Schlachthaus inszeniert. Doch bei aller surreal und frei wählbaren Allegorie, das muss irritieren. 1979, zur Revolutionszeit, in der Krachts Roman angelegt ist, war eine religiös anmutende Bart- oder Haartracht in den staatlichen Institutionen des Irans ein völliges Tabu. Das Krankenhauspersonal, auch im Teheraner Süden, musste streng laizistischen Outfits entsprechen. Kracht klebte ihnen nachträglich die bedrohlichen Bärte an. Doch mit welchem Sinn? Wer historische Details nachträglich ändert, sollte wissen, warum. Ansonsten wirkt es wie in "1979" merkwürdig und willkürlich.
Diese und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 11./12. Februar 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Seinen Ruhm tat dies jedoch hierzulande keinen Abbruch. Kracht blieb der radikale Existenzialist mit poetologisch-spleeniger Vorstellungskraft, der von der vornehmen, aber nicht uninteressanten Seite. Theaterregisseure wie Armin Petras inszenierten seine schwer verständliche, dafür umso tiefsinniger wirkende Kriegsparabel auf die fiktive Schweizer Sowjetrepublik ("Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten"). Seine oftmals sehr schematisch angelegten Figuren eignen sich offenbar gut, um sie mit Theaterpsyche anzufüllen.
Und Punk- und Postpunk-Legenden wie Schorsch Kamerun (Die Goldenen Zitronen) oder Dirk von Lowtzow (Tocotronic) liehen dem Expopper Kracht jüngst ihre coolen Stimmen. Im Dezember erschien eine entsprechend opulent ausstaffierte Hörspieledition im Zürcher Swissandfamous-Verlag. Der egalitäre von Lowtzow ("Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein", sang er 1995) liest jetzt das elitäre "Faserland", das klingt bezaubernd und zugleich verwirrend. Vielleicht scheint aber auch vieles von heute aus gesehen nur sehr, sehr weit weg.
Vegetarier und Sonnenanbeter
Ebenso wie das Zeitalter des Imperialismus, in das Kracht seinen neuen Roman "Imperium" angesiedelt hat. Angesiedelt ist das richtige Wort: Kracht schickt seine Hauptfigur, den jungen August Engelhardt, teils erfundene, teils reale Person ins deutsche Schutzgebiet in der Südsee. Auf einer Insel vor der Ostküste Neuguineas lässt er den immer verrückter werdenden Vegetarier und Sonnenanbeter Kokosnüsse anbauen und sich ausschließlich von diesen ernähren.
"So wird nun stellvertretend die Geschichte nur eines Deutschen erzählt werden, eines Romantikers, der wie so viele dieser Spezies verhinderter Künstler war, und wenn dabei manchmal Parallelen zu einem späteren deutschen Romantiker und Vegetarier ins Bewusstsein dringen, der vielleicht lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre, so ist dies durchaus beabsichtigt und sinnigerweise, Verzeihung, in nuce auch kohärent." In dieser maniriert wirkenden Tonlage trabt diese - laut Verlagswerbung - "deutsche Südseeballade" dahin. Solche Hitler-Anspielungen und kleinen Witzchen sind aber auch schon das Schärfste, was uns der gereifte und überaus gebildete Herr Kracht in "Imperium" serviert.
"Die nackten Füße des kleinen alten Ceylonesen klatschten lautmalerisch und monoton auf der Straße vor und unter ihm; Engelhardt überlegte, ob der Rikscha-Wallah wohl so schnell rannte, weil der Asphalt so heiß war, oder ob die Geschwindigkeit sozusagen Teil der Erwartungshaltung der Fahrgäste war, die rasch zum Ziele kommen wollten." Nicht wenige der Beschreibungen in "Imperium" erinnern eher an schlichte Reiseprosa, an Betrachtungen, wie sie auch von literarisch ungeschulten Pauschalreisenden stammen könnten.
Kracht, der allmächtige Erzähler, lässt seinen Engelhardt "stattliche Sikhs" erblicken oder aber übersehen, wie "der Tamile, noch stärker lächelte als zuvor und dabei das Gebiss regelrecht bleckte wie ein Hund". Es sind im Rahmen einer als Klamotte angelegten deutschen Südseeballade sicherlich gestattete Ausführungen, jedoch auffällig ist schon, dass die "pittoresken" Landschaften in Krachts "Imperium" deutlich mehr Leben in sich tragen als die vorgestellten Eingeborenen.
Vom Snob zum Spießer
Der einmal am Anfang von Krachts Karriere stehende erfrischende Snobismus ist einer blassierten Dünkelhaftigkeit gewichen. "Jener Hoteldirektor Hellwig, dem im Übrigen das linke Ohr vollständig fehlte, firmierte in Herbertshöhe nicht nur als Makler für dies und das, sondern galt auch als direkter Zugang zu Frau Emma Forsayth, die Engelhardt vom amtierenden Gouverneur Hahl anempfohlen worden war, nachdem er noch aus Nürnberg brieflich vermeldet hatte, er sei am baldigen Erwerb einer Kokosplantage interessiert." Die Versuche, das wilhelminische Deutschland durch sprachliche Nachempfindung wiederauferstehen zu lassen, erweisen sich als äußerst schleppend, mithin qualvoll. Der Humor - "Die Sonne schien, ach, wie sie schien" - knarzt.
"Faserland" war 1995 der eindrucksvolle Versuch, all diejenigen literarisch vor den Kopf zu stoßen, die eine feste Vorstellung davon hatten, was ein Junge, dessen Ausbildung im Eliteinternat Salem Eltern jährlich um die 30.000 Euro Schulgeld kostet, forthin zu leisten habe. Und auch alle, die aus kleinbürgerlichen Motiven Leuten wie Kracht die wohlhabendere Herkunft neiden. Doch von dem schriftstellerischen Rebellen hat er sich seither Buch um Buch verabschiedet, auch wenn er sein Werk gern als logische Fortentwicklung darstellt.
In "Imperium" zieht er sich jetzt auf ein ganz und gar lächerliches, gehobenes Spießertum zurück. Eines, das behauptet, ein "durchnässter Berliner", "labberige Bratwürste" "mesmerisiert kauend", verkörpere "das gesamte Elend seines Volkes", "die überfettete, gleichgültige Trostlosigkeit" als Teil des Deutschen und des Untertanenfaschismus. Schade, da war mal mehr drin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe