Viertelfinale im DFB-Pokal: Was ist im Fußball Gerechtigkeit?
Der knappe Sieg des VfL Wolfsburg und die Reaktion von Freiburgs Trainer Christian Streich führen uns zu einer der großen Fragen des Sports.
WOLFSBURG taz | Der Fußball wird immer stärker reduziert auf die Korrektheit von Schiedsrichterentscheidungen. Das liegt an der medialen Aufbereitung, aber auch an der bizarren Vorstellung, dass das Spiel gerecht zu sein habe, wenn es schon der Rest der Welt nicht ist.
„Wir fühlen uns ungerecht behandelt“, seufzte Freiburgs Trainer Christian Streich nach dem Ausscheiden im Viertelfinale des DFB-Pokals beim VfL Wolfsburg. Dazu machte er sein Ich-fühle-mich-ungerecht-behandelt-Gesicht. Das 1:0 war aus seiner Sicht durch einen unberechtigten Foulelfmeter zustande gekommen, den Ricardo Rodríguez verwandelte (72.). Freiburg indes war in seiner Wahrnehmung ein „klarer“ Strafstoß verweigert worden. Streich sieht sich dauerbenachteilt. Es sei ein „Wahnsinn“, dass der SC Freiburg sich permanent gegen „solche Widerstände“ behaupten müsse.
Nun ist es sicher so, dass der Wolfsburger Caligiuri, als er in den Strafraum dribbelte, den Kontakt mit Freiburgs Schuster und den Strafstoß suchte. Keiner weiß das besser als die Freiburger, für die er viele Jahre spielte. Er habe eingefädelt, sagte Schuster. Die Berührung sei da gewesen, antwortete Caligiuri. Man werde nicht zu einer Meinung kommen, brummte Wolfsburgs Manager Klaus Allofs. Eben: Genau wie bei der anderen strittigen Szene (Arnold gegen Frantz) gibt es keine endgültige Wahrheit jenseits des Schiedsrichterpfiffs oder dessen Ausbleiben.
Der Standpunkt eines Menschen entscheidet, das wissen wir seit Kant, wie er die Welt sieht und wie sie für ihn ist. Insofern muss es im Fußball immer mindestens zwei Welten geben, das machte auch Streich klar, als er zu seinem Wolfsburger Kollegen Dieter Hecking sagte: „Ich bin anderer Meinung als Dieter. Du bist anderer Meinung als ich. Dann ist es wieder gut.“
Gewinnt verdient, wer mehr Chancen hat?
Hecking brachte indes argumentativ eine andere Gerechtigkeit ins Spiel, nämlich dass der VfL „verdient“ gewonnen habe, weil er besser war, also ein deutliches Chancenübergewicht hatte. In einer längeren Phase vor und nach der Halbzeit setzte Wolfsburg seinen Kombinationsfußball durch und erspielte sich eine ganze Reihe teilweise klarer Chancen (De Bruyne, Dost, mehrfach Schürrle). Freiburg hatte gegen Spielende zwei (Philipp, Frantz). Dass Freiburg froh sein konnte, so lange im Spiel zu sein, wollte auch Streich überhaupt nicht bestreiten. Aber „wenn man das Glück hat, dass wir das Tor nicht bekommen“, so lautet seine Logik, dann sei es ungerecht, wenn es in einem Strafstoß endet.
Wolfsburg - Freiburg 1:0 (0:0)
Dortmund - Hoffenheim 3:2 (2:2, 1:2) n.V.
Bielefeld - Mönchengladbach (Mi., 19 Uhr)
Leverkusen - Bayern München (Mi., 20.30 Uhr, ARD)
Beim Fußball gibt es interessanterweise keine ungerechten Siege. Nur ungerechte Niederlagen. Das Äußerste ist ein „nicht unverdienter“ Sieg. Das ist ein Euphemismus für: Keine Ahnung, wie das zustande kam. Aber auch so etwas wird vom Ergebnis her analysiert. Wenn es gar keine Argumente mehr gibt, dann lag es eben am funktionierenden Teamgeist.
Es ist im Übrigen auch nicht endgültig zu klären, ob Christian Streich wirklich benachteiligt wird, wirklich gekränkt ist, weil er denkt, er werde benachteiligt, oder ob er strategisch einer möglichen Benachteiligung entgegenarbeitet, indem er sie thematisiert. Der SC ist jetzt im sechsten Jahr in Folge erstklassig, dreieinhalb davon mit ihm als Trainer. Freiburg macht aus wenig sehr viel. Ohne Scheich. Ohne Großstadt. Ohne VW. Streich sagt auch klar, dass nicht der Pokal für den SC „das Wichtigste“ sei, sondern die Bundesliga. Also der Klassenerhalt. Abstiegskampf sei „knallhart“, sagt Christian Streich. Auch da kann ein Pfiff entscheiden.
Ertönt er für das eigene Team, dann ist er auch gerecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands