: „Vielleicht gibt es ja irgendwann mal eine Frau als Bundeskanzler“
■ Bärbel Dieckmann, Oberbürgermeisterin von Bonn, über die Kampagne „Frauen wollen eine andere Politik“ und besondere weibliche Fähigkeiten
taz: Sie sind eine der Initiatorinnen der Kampagne „Frauen wollen eine andere Politik“ und seit 1994 Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn. Machen Sie eine andere Politik?
Bärbel Dieckmann: Ich glaube, Frauen machen eine andere Politik, und diese Inhalte sollen noch einmal manifestiert werden. Kindergartenplätze, soziale Gerechtigkeit, Schulausbau, Förderung von Frauen, Gleichstellung in der Gesellschaft – das sind Themen, die Frauen in verantwortlichen Positionen versuchen umzusetzen.
Glauben Sie, Frauen haben bessere Fähigkeiten bei der Umsetzung solcher Themen?
Frauen haben andere Fähigkeiten und andere Erfahrungen in die Gesellschaft einzubringen. Es darf jedoch kein Gegeneinander von Männern und Frauen sein, sondern es muß ein Miteinander geben.
Können Sie das spezifische Handeln der Frau genauer darstellen?
Frauen bringen spezielle Erfahrungen ein, das sind eben immer noch stärker Alltagserfahrungen, Familienerfahrungen, Kindererfahrungen. Männer haben über viele Generationen hinweg die Berufswelt besetzt, aber nicht das tägliche Lebensumfeld mitgestaltet. Das zusammenzubringen, halte ich für ganz entscheidend.
In Ihrer Kampagne heißt es, Sie möchten die Gesellschaft umgestalten, etwas bewegen, aber keine direkten Forderungen an die Politiker stellen. Sind Sie von den Politikern enttäuscht?
Überhaupt nicht. Ich bin Politikerin und politisch aktiv seit 25 Jahren. Der Hintergrund war erst einmal, nichts von anderen zu fordern, sondern selbst etwas zu tun, in Solidarität mit anderen – das finde ich einen guten Ansatz.
Was steht dabei im Vordergrund: die Gesellschaft und ein neuer Gesellschaftsvertrag oder die Frau?
Wir haben eine sehr heterogene Gesellschaft. Ein neuer Gesellschaftsvertrag bedeutet für mich die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens aller. Gesellschaftsvertrag hieß aber lange Zeit, daß Männer über die anderen mitbestimmt haben, weil Männer in den entscheidenden Positionen saßen. Das wollen wir nicht mehr akzeptieren. Ich muß aber immer sagen, daß sich schon viel verändert hat in den letzten 20 Jahren.
Die Initiatorinnen der Kampagne sind durchweg prominente Frauen. Glauben Sie, daß Frauen im Hintergrund sich von Ihrer Initiative angesprochen fühlen?
Die Initiative gilt für Frauen in Räten, das gilt für Frauen in Parlamenten, für Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft, das gilt aber auch für Frauen in ehrenamtlichen Funktionen und Frauen in jeder Position, in der sie Gestaltungsmöglichkeit haben. Diese Bewegung ist bereits eine breite Bewegung.
Es gibt Quotenregelungen, ein Bundesgleichstellungsgesetz und eine Europarichtlinie zur Gleichstellung. Warum jetzt noch Selbstverpflichtung?
Das Erfolgversprechende daran ist, daß Frauen in bestimmten Positionen für sich selbst noch mal klar den Weg bestimmen. Wir nennen die Punkte, wo wir solidarisch handeln wollen.
Denken Sie an Sanktionen, wenn die Selbstverpflichtung nicht eingehalten wird?
Nein, Sanktionen gibt es natürlich nicht. Das ist ja keine rechtliche Verpflichtung, die nachher einklagbar wäre. Für mich steht auch nicht das Formalisieren im Vordergrund.
CDU/CSU-Frauen sind durch Ihre Kampagne nicht explizit zum Mitmachen aufgerufen worden. Fürchten Sie nicht den Vorwurf einer rot-grünen Wahlkampfveranstaltung?
Also, da muß man ganz vorsichtig sein. CDU/CSU-Frauen sind genauso erwünscht. Es hat eine ganze Reihe von Entscheidungen gegeben in den letzten Jahren, wo Frauen überparteilich für Frauen- und Gesellschaftsinteressen eingetreten sind. Das wäre überhaupt nicht mein Ansatz, bei inhaltlichen Zielen jemanden auszuschließen.
Gerhard Schröder hat in Niedersachsen gerade das Frauenministerium aufgelöst. Wird Ihnen mit solchen Entscheidungen der Boden entzogen?
Ich kenne die Hintergründe noch nicht und möchte deswegen nicht direkt Stellung beziehen. Ich glaube, daß Frauenministerien sehr sinnvoll sein können, aber es gibt sicherlich auch andere Konstruktionen, um Frauenthemen durchzusetzen.
Die Fraueninitiative möchte 1999 die erste Bundespräsidentin wählen. Wen schlagen Sie vor?
Ich denke, es gibt eine ganze Reihe von Frauen, die dafür in Frage kämen. Die Wahl könnte sicherlich einer der nächsten Schritte für die Frauen sein. Und irgendwann gibt es dann vielleicht auch eine Bundeskanzlerin. Interview: Michaela Halbritter
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