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Gewaltbereite AfD-Politiker*innenViele, viele Einzelfälle

Keine andere Partei fällt derart mit Gewalttaten auf wie die AfD. Eine unvollständige Chronik der vergangenen Jahre.

Der Berliner AfD-Politiker Kai Borrmann (vorn) vor Gericht in Berlin Foto: Marion van der Kraats/dpa/picture alliance

Diese unvollständige Chronik ist in Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen von Betroffenen rechter Gewalt sowie durch Auswertungen von Polizeimeldungen und Presseberichten entstanden. Überregional ist den vernetzten Beratungsstellen längst aufgefallen, dass die Gewaltbereitschaft von AfD-­Po­li­ti­ke­r*in­nen seit mehreren Jahren zugenommen hat – analog zur Radikalisierung der Partei.

Für Angegriffene stelle dies eine besondere Belastung dar: „Denn sie wissen, dass die Tä­te­r*in­nen von einem breiten Un­ter­stüt­ze­r*innen-Netzwerk und der Logistik einer rechtsextremistischen Partei profitieren“, wie Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sagt. Zudem fühlten sich viele Angegriffenen vom Rechtsstaat im Stich gelassen – aufgrund von jahrelang verschleppten Verfahren, Täter-Opfer-Umkehr sowie einer Entpolitisierung und Verharmlosung von Angriffsfolgen durch Staatsanwaltschaften und Justiz. Das schwäche das Sicherheitsgefühl von Betroffenen und das Vertrauen in den Rechtsstaat. Betroffen seien insbesondere Journalist*innen, politische Geg­ne­r*in­nen und Personen, die der AfD nicht deutsch genug sind.

Keine andere Partei fällt derart mit Gewalttaten auf. Konsequenzen zieht die Partei höchstens nach öffentlichem Druck.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Februar 2025, Borgsdorf, Brandenburg

Ein AfD-Ortsvorsitzender stößt an einem Wahlkampfstand einen Mann zu Boden. Als dieser versucht aufzustehen, schubst er ihn erneut zu Boden. Die AfD behauptete, selbst überfallen worden zu sein, ein Video belegt allerdings den Angriff des AfD-Politikers.

Februar 2025, Gifhorn, Niedersachsen

Eine gehbehinderte Rentnerin und Teilnehmerin einer Demo gegen die AfD erstattet Strafanzeige gegen den AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Marzischewski-Drewes. Der AfD-Abgeordnete habe die 73-jährige Gehbehinderte gegen eine Wand gedrückt und gewürgt. Zuvor habe sie versehentlich eine Deutschlandfahne abgeknickt, mit der sie ein Teilnehmer einer AfD-Kundgebung bedrängt habe.

Februar 2025, Hergatz, Allgäu, Bayern

Bei Protesten gegen einen monatlichen AfD-­Stammtisch des Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuß greifen AfD-­An­hän­ge­r*innen nach Rangeleien Protestierende an: Ein Demoteilnehmer erstattet Anzeige gegen einen Kreisvorstand wegen gefährlicher Körperverletzung nach Fausthieben, Fußtritten und dem Einsatz von Pfefferspray. Die AfD hängte danach ein Banner am Ortseingang auf – Aufschrift: „Wir vergessen nicht“.

Januar 2025, Strausberg, Brandenburg

Laut Zeu­g*in­nen bedroht ein AfD-Stadtratsverordneter Nikolai S. bei einem Auschwitz-Gedenken am 27. Januar in Strausberg mehrere Teilnehmer mit einem Klappmesser. Zuvor gab es laut Teil­neh­me­r*in­nen von mehreren AfD-Stadtverordneten Drohungen sowie Störungen und Zwischenrufe bei der Gedenkrede. Der Staatsschutz ermittelt zunächst. Dann aber liegt das Verfahren zunächst monatelang bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) in der falschen Abteilung, wie sich nach taz-Anfrage herausstellt. Jetzt würde ermittelt in der Abteilung für politische Strafsachen, heißt es, die politische Dimension sei erst jetzt erkannt worden. Einen aktuellen Stand könne man aber erst nächste Woche melden.

August 2024, Nordrhein-Westfalen

Das Urteil gegen den Chef der Jungen Alternative, Felix Cassel, ist rechtskräftig. Der AfD-Bezirksverordnete in Bonn ist 2019 mit einem Auto in eine Gruppe von Ge­gen­de­mons­tran­t*in­nen gefahren und fuhr dabei einen Mann an. Cassel bekommt wegen gefährlicher Körperverletzungen, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und Unfallflucht sieben Monate Haft auf Bewährung, muss die Verfahrenskosten tragen und Schmerzensgeld zahlen.

Juli 2024, Freiburg, Baden-Württemberg

Zweitinstanzliches Urteil gegen den AfD-Gemeinderatskandidaten Robert H. Laut Urteil hat er mit Pfefferspray zunächst zwei Jugendliche angegriffen, die ihn als „Fascho“ beschimpfen. Danach attackierte er einen 63-Jährigen und eine 52-Jährige, die den Jugendlichen zur Hilfe kamen. Zunächst versprüht H. auch gegen sie Pfefferspray, dann sticht er mit einem Messer in den Brust­bereich des 63-Jährigen. Das Urteil: 120 Tagessätze à 10 Euro. Den Messerangriff wertete das Landgericht als Notwehr.

Juni 2024, Essen, Nordrhein-Westfalen

Der AfD-Kommunalpolitiker Stefan Hrdy spuckt am Rande von Blockadeversuchen beim AfD-Parteitag einer SPD-Politikerin ins Gesicht. Später lässt er sich in Demoteilnehmer fallen und beißt einem Mann ins Bein. Zunächst inszeniert sich Hrdy als Opfer und spricht von Notwehr. Ein Video von der Szene zeigt jedoch: Hrdy geht bewusst in Richtung der Demonstrant*innen, lässt sich fallen und beißt dann dem Mann in den Unterschenkel. Später lässt er sich von der Partei als „Zeckenbeißer von Essen“ feiern und scherzt darüber, dass der Demonstrant ein „bisschen Pfeffer gebraucht“ hätte.

AfD-Politiker Stefan Hrdy auf dem Landesparteitag in NRW Foto: Christoph Reichwein/dpa/picture alliance

Juni 2024, Schwäbisch-Hall, Baden-Württemberg

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart stellt nach 12-monatigen Ermittlungen das Verfahren gegen den AfD-Landtagsabgeordneten Udo Stein ein. Sie ermittelte, weil er Gäste einer Shisha-Bar mit einer Softair-Waffe bedroht haben soll. Ihm wurde Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Waffengesetz, versuchte Körperverletzung und Angriff auf Vollstreckungsbeamte vorgeworfen.

Bei den Ermittlungen wurden auch seine Privat- und Büroräume durchsucht. In seinem Landtagsbüro fanden die Polizei dabei ein Messer und Munition. Bei ihm zu Hause ganze 11 Langwaffen, 3 Softair-Waffen und mehr als 1.000 Schuss Munition. Als Jäger war Stein berechtigt, Waffen zu besitzen.

Die Ermittlungen wurden auch eingestellt, weil Stein nach dem Vorfall in der Shisha-Bar zwischenzeitlich in einer psychiatrischen Klinik untergebracht war. Damit konnte eine Schuldunfähigkeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Nach seiner Entlassung aus der Psy­chia­trie wurden im Landtag von Baden-Württemberg die Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren: Stein durfte das Parlament nur nach einer Sicherheitskontrolle mit Körperscanner betreten, galt der Polizei als „hochgefährlich“ – sie erhöhte ihre Präsenz in und um den Landtag und stufte den Schutz des Ministerpräsidenten hoch.

April 2024, Berlin

AfD-Bezirksverordneter Kai Borrmann wird drei Jahre nach einem rassistischen Angriff auf eine schwarze Musikjournalistin rechtskräftig verurteilt. Der AfD-Politiker beschimpft eine schwarze Musikjournalistin erst als „N***r“ und schlägt ihr ins Gesicht und beißt ihr in den Arm. Er bekommt eine Geldstrafe zur 180 Tagessätzen à 60 Euro. Die Berufung bleibt erfolglos.

Februar 2024, Sammarei, Bayern

AfD-Stadtrat Robert Schregle drängt einen freien Journalisten laut dem Recherche-Portal „radikal trivial“ bei der Gründung eines Vereins gewaltsam aus dem Saal. Er schubst ihn derart, dass dieser sich demnach am Sprunggelenk verletzt. Schirmherr der Veranstaltung ist ein Landtagsabgeordneter der AfD.

September 2023, Sachsen

Das Landgericht Dresden bestätigt ein Urteil gegen ehemaligen AfD-Landesvorstand und den suspendierten JVA-Beamten Daniel Zabel. Er ist wegen rassistischer Misshandlungen eines tunesischen Häftlings im Juli 2018 verurteilt worden und bekommt wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt 16 Monate auf Bewährung. In einer Chatgruppe hatte er und andere Wächter mit den Misshandlungen geprahlt. Sie hatten Gefangene zu Boden gebracht, geschlagen und getreten. Aufgeflogen waren die Misshandlungen, nachdem Zabel einen Haftbefehl illegalerweise verbreitet hatte. Bei den Ermittlungen wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen fielen bei der Auslesung seines Handys auch die Misshandlungen in der JVA auf.

März 2023, Bayern

Der AfD-Landtagsabgeordnete Ralf Stadler filmt sich selbst dabei, wie er auf einer Zugfahrt von München nach Passau versucht, nicht weiße Personen bei einem Halt aus dem Zug zu stoßen. Zuvor hat er sie als „Pack“ beschimpft. Ein Vorermittlungsverfahren gegen Stadler wird eingestellt.

Mittlerweile soll Stadlers Immunität erneut aufgehoben werden, weil er Daten aus einem Asylbescheid veröffentlicht hat und Migranten als „Pack“ und „Messerstecher“ beschimpft hat, zudem habe Bilder einer brutalen Hinrichtung im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg geteilt haben. ­Stadler bezeichnete die Vorwürfe als „lachhaft“.

Seine Immunität wurde bereits wegen Volksverhetzung und wegen eines manipulierten Fotos bei Facebook aufgehoben, die Generalstaatsanwaltschaft hatte deswegen Strafbefehle erlassen.

Ralf Stadler (AfD) als Störer im Bayerischen Landtag Foto: Matthias Balk/dpa/picture alliance

Januar 2023, Baden-Württemberg

Das Oberlandesgericht Karlsruhe verwirft die Revision gegen den ehemaligen Freiburger AfD-Stadtrat und Neonazi-Anwalt Dubravko Mandic. Der war im Jahr 2022 wegen gefährlicher Körperverletzung zu sieben Monaten und einem Jahr Bewährung verurteilt worden.

Er hatte einem Fahrradfahrer mit Tier-Abwehrspray ins Gesicht gesprüht. Der Radfahrer wollte zwei Jugendlichen helfen, die Mandic festhielt, weil diese AfD-Plakate beschädigt hätten. Mittlerweile ist Mandic nicht mehr in der AfD.

Dubravko Mandic in Auseinandersetzung mit Journalisten im Bayerischen Greding Foto: Sachelle Babbar/imago

Dezember 2022, Brandenburg

Der AfD-Gemeindevertreter Marcel Donsch wird wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte in einem Fall von Selbstjustiz mit zwei weiteren Verurteilten einen Mann, dem er Stalking gegenüber einer Bekannten vorwarf, entführt und misshandelt. Der AfD-Ge­meindevertreter und seine Komplizen zerrten den Mann in einen Lieferwagen, entkleideten und fesselten ihn. Dann fuhren sie in ein Waldstück und schlugen ihn zusammen.

Der Verurteilte beschimpfte den Richter. Mittlerweile ist Donsch nicht mehr in der AfD, er ist ausgetreten „wegen der verfehlten Ukraine und Coronapolitik“, aber noch kommunalpolitisch aktiv.

November 2022, Niedersachsen

Urteil zu einer Geldstrafe gegen einen AfD-Kommunalpolitiker: Der Soester Ratsherr und Kreistagsabgeordneter Mirko Fischer schlägt einer Bundestagskandidatin der Linken im September 2021 derart stark gegen den Kopf, dass sie ein Schleudertrauma erleidet. Die Linken-Kandidatin demons­trierte gegen einen Auftritt von Höcke. Der AfD-Kommunalpolitiker ging unvermittelt auf die Gegendemonstrantin zu und griff sie ohne Vorwarnung an.

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9 Kommentare

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  • Jetzt sind hier für 3 Jahre 11 Delikte der AfD aufgeführt. In dieser Zeit wurden alleine in Deutschland 1,8 Milionen Körperverletzungen angezeigt.

    de.statista.com/st...letzung-seit-1995/

    • @Martin Sauer:

      Wie viele Politiker und Funktionäre anderer Parteien fallen denn durch körperliche Angriffe auf politische Gegner auf? Darum geht es !

    • @Martin Sauer:

      Ja und, da gibt es schon noch mehr. Es handelt sich hier um Beispiele.



      Aber sie möchte das gerne verharmlosen und runter reden.

  • Es sollte jedem klar sein was die AfD in der Politik erreichen will.



    Das man in Deutschland auf dem rechten Auge blind ist, ist ja nicht wirklich neu.



    Es wird ja nicht mal gegengesteuert.

  • Mir fallen vor allem die ausgesprochen milden Urteile auf. Nimmt die deutsche Justiz das Problem nicht ernst genug?

  • Die Frage ist, handelt es sich um Blindheit oder Vorsatz das die deutsche Justiz auf politisch motivierte Taten von Rechts mit derart milden Urteilen aufwartet.

    Da können in Deutschland Personen aus einem Zug geschubst und rassistisch beleidigt werden und damit rechnen, dass die Ermittlungen eingestellt werden.

    Mit einem Auto in eine Menschenmenge fahren, schwere Körperverletzung und Unfallflucht begehen wird mit 7 Monaten Bewährung geandet. Das bekommen andere Personen wegen wiederholten Ladendiebstahls.

    Selbstjustiz mit Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung führt hier zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Wie passt das mit der Strafzumessung nach § 46 StGB zusammen? Günstige Sozialprognose?

    Und für mich am unverständlichsten, auf eine verbale Attacke folgt ein Angriff mit Pfefferspray und schließlich eine Messerattacke und das wird als Notwehr ausgelegt. Scheint als hätte sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip aus der deutschen Rechtssprechung verabschiedet.

    Urteile sollten eigentlich auch eine abschreckende Wirkung nach außen erzielen. Das wird hier ins Gegenteil verkehrt und daher ist eine der Folgen das gewalttätige Übergriffe von Rechts zunehmen.

    • @Sam Spade:

      Ich möchte mich korrigieren. Schwere Körperverletzung würde vermutlich reichen. Auch wenn ein wiederholtes Zustechen mit dem 🔪 auch weniger glimpflich ausgehen kann, als in diese Fall.



      .



      "Zur Hilfe geeilt" bedeutet übrigens, dass das Opfer Erste Hilfe leisten wollte, bei einem der angegriffenen Jugendlichen.



      .



      So viel zu "Selbstverteidigung"

    • @Sam Spade:

      Beim dem Angriff mit dem Messer ist nicht nur die "Verhältnismäßigkeit" abhanden gekommen, das Urteil ist einfach komplett an den Haaren herbeigezogen.



      .



      Unverhältnismäßig wäre eine Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung.



      .



      Ein Verurteilung wegen versuchten Mord wäre mMn eher angemessen.

  • EIne weitere Quelle fürs überfällige Verbotsverfahren. Zeit aufzuwachen.