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Viele Geflüchtete in Bremen ungeimpftKaum Schutz im Lager

In den Heimen für Geflüchtete sind die Impfquoten niedrig. Der Flüchtlingsrat kritisiert die Informationspolitik des Bremer Senates scharf.

Niedrige Impfquote: das Bremer Erstaufnahmelager in der Lindenstraße Foto: dpa/Sina Schuldt

Bremen taz | In Bremen ist ein Streit um Corona-Impfangebote für Geflüchtete ausgebrochen. Die Impfquote unter Geflüchteten in Bremen sei „katastrophal niedrig“, sagt Nazanin Ghafouri vom Bremer Flüchtlingsrat. „Es gibt eine klare Tendenz zu steigender Nachfrage, nachdem alle die Impfung gut überstanden haben“, lobt hingegen der Sprecher der Sozialbehörde, Bernd Schneider.

Nach den ersten Impfungen, die Anfang Mai stattfanden, liegt die Impfquote in den Erstaufnahmeeinrichtungen nach Ressortangaben derzeit bei knapp unter 20 Prozent. In den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften betrage sie rund 30 Prozent. Anderswo sieht es ähnlich aus: Die Corona-Impfquoten in den Einrichtungen bewegen sich aktuell zwischen 20 und 60 Prozent, ergab ein Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den Bundesländern.

Zum Vergleich: In Bremen sind rund 45 Prozent der Gesamtbevölkerung derzeit mindestens erstgeimpft.

Unter den Geflüchteten gebe es eine weit verbreitete Skepsis gegenüber der Impfung im Allgemeinen, sagt Schneider. Überdies kämen die meisten von ihnen aus Lebenssituationen, in denen sie Verwaltungen kein Vertrauen entgegen brächten, oft seien sie genau davor geflohen. „So erklären wir uns die höhere Impfbereitschaft in den kommunalen Einrichtungen – das Vertrauen ist gewachsen.“ Sprachliche Barrieren habe es nicht gegeben: „Wir haben alles umfassend übersetzt, bei den Impfterminen waren immer Dolmetscher vor Ort.“

Beim Flüchtlingsrat indes kommt man zu einer ganz anderen Einschätzung: Die Betroffenen gerade in den Übergangswohnheimen und dem Erstaufnahmelager in der Lindenstraße würden „nicht vernünftig und sachgemäß“ informiert, kritisiert Nazanin Ghafouri. Die Schutzsuchenden würden „nicht ernst genommen: Es reicht nicht, einen Arzt dahin zu schicken, der eine andere Sprache spricht“. Die Impfkampagne des Bremer Senates kritisiert der Flüchtlingsrat als „scheinheilig“: Die Verantwortung für die niedrigen Impfquoten werde den Geflüchteten selbst und ihren Herkunftsländern zugeschoben – „das ist sehr ärgerlich“.

Die Impfkampagne des rot-grün-roten Senates kritisiert der Flüchtlingsrat als scheinheilig

Ghafouri fordert eine „angemessene Begleitung“ der Geflüchteten ein. Dazu gehörten beispielsweise An­sprech­part­ne­r*in­nen aus den jeweiligen Communitys. Zudem müsse die Impfung außerhalb der Lager stattfinden. Sie erinnerte daran, dass die Geflüchteten im vergangenen Jahr selbst Proteste organisieren mussten, weil sie in den Lagern nicht angemessen vor einer Ansteckung mit Covid-19 geschützt waren.

Zudem stifte der kurzfristige Wechsel des Impfstoffes von Johnson & Johnson auf Biontech/Pfizer für „Verwirrung“, kritisiert Ghafouri. Ursprünglich sollte mit Johnson & Johnson geimpft werden, weil dabei eine Impfung genügt. „Der Impfstoff kam aber in die Kritik wegen der seltenen Nebenwirkungen“, so Schneider – mittlerweile sei auf Biontech/Pfizer umgestellt worden. „Das ist sehr kurzfristig entschieden worden, so war womöglich nicht genug Zeit für die Kommunikation im Vorfeld“, räumt Schneider ein.

Der Name Pfizer weckt in diesem Zusammenhang bei einigen ungute Erinnerungen: So setzte der Pharmakonzern Pfizer während eines Meningitisausbruchs 1996 in Nigeria das Antibiotikum Trovan ein. In einem Versuch sollte die Wirksamkeit gegenüber etablierten Medikamenten getestet werden. Aus einer Gruppe von 200 Kindern starben elf, dutzende erlitten schwere bleibende Schäden. Pfizer zahlte die erste Entschädigung erst 15 Jahre später.

Deutlich besser als beim Flüchtlingsrat sind die Erfahrungen, von denen Dagmar Koch-Zadi vom Verein Fluchtraum Bremen berichtet, der sich um die Belange junger Geflüchteter kümmert. „Sie sind gut informiert und hoch motiviert“, sagt Koch-Zadi über ihre Klientel. Sie berichtet von einem „hohen Interesse, geimpft zu werden“. Allerdings lebten jene Geflüchteten, die Fluchtraum betreue, in der Regel auch nicht in Sammelunterkünften.

(Mit Material von epd)

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7 Kommentare

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  • Als jemand, der in einem Übergangswohnheim beruflich tätig ist, stößt mir die an mehreren Stellen von Herrn Zier gewählte Bezeichnung "Lager" mit all den zugehörigen Assoziationen doch ziemlich sauer auf. Bei aller berechtigten Kritik am Unterbringungssystem.

    Abgesehen davon: ja, nach einer anfänglich erschreckend geringen Zahl von Impfwilligen unter unseren Bewohner:innen, nimmt die Zahl jetzt rapide zu.

    Ich kann auch bestätigen, dass bei den Informationsterminen zur Impfung Dolmetscher:innen dabei waren. Die Frage ist, ob das Format alle erreicht und wenn ja: in welchem zeitlichen Rahmen. Ansprechpartner:innen aus den Communities hätten wir auch gerne - können wir, als ÜWH-Teams mit tw. sehr schmalem Personalschlüssel, uns aber leider auch nicht schnitzen.



    In puncto Impftermin außerhalb der Einrichtungen: erschließt sich mir soweit nicht, warum? Für einen Großteil unserer Bewohner:innen ist ein Termin vor Ort deutlich einfacher, als mit zwei kleinen Kindern quer durch die Stadt fahren zu müssen zum Impfzentrum. Abgesehen davon: ab jetzt läuft auch alles über Impfcodes für das Impfzentrum, soweit ich das mitgekriegt habe.

    Und ja, die J&J-Absage zwei Tage vor dem bei uns geplanten Impftermin und die Unsicherheit, ob jetzt überhaupt noch irgendwie geimpft wird, hat auch uns als Team verwirrt. Wobei mit Biontech ja jetzt immerhin das als am "hochwertigsten" wahrgenommene Zeug genutzt wird (vom hipsterigen, kaum verfügbaren "Craft-Beer unter den Impfstoffen", Moderna, mal abgesehen).

    • @Kawabunga:

      Der Kritik schließe ich mich an. "Lager" lässt Raum für NS-Assoziationen, an anderer Stelle wurden Einrichtungen anhand der Bezeichnung "Insassen" mit Gefängnissen gleichgesetzt (taz.de/Bremen-dran...nlassloser+blick/) - derartige Sprachregelungen hätte ich eher bei Springer erwartet. Seriös wirkt es auf mich jedenfalls nicht und dadurch auch nicht lösungsorientiert.

      Zu der Forderungen nach Impfungen außerhalb kamen mir dieselben Gedanken.

      Abschließend sollte vielleicht differenziert werden: der Verein Fluchtraum e.V. ist ein Jugendhilfeträger. Ich gehe mal davon aus, dass die Betreuung engmaschiger ist und die Vergütung sowie der Personalschlüssel höher/besser, zumal pädagogische Aspekte noch stärker im Vordergrund stehen. Positive Erfahrungen beim Thema Impfen dürften auch hierauf zurückzuführen sein und nicht alleine auf die Form der Unterbringung, wie es der Autor zu suggerieren versucht. Bedeutet umgekehrt aber auch, dass in Gemeinschaftsunterkünften erheblich mehr investiert werden müsste, um noch mehr/bessere Betreuung anbieten zu können, insoweit finde ich entsprechende Forderungen nachvollziehbar.

  • "Zum Vergleich: In Bremen sind rund 45 Prozent der Gesamtbevölkerung derzeit mindestens erstgeimpft."

    Es wird das Alter Flüchtlinge nicht berücksichtigt. Aktuell liegt die Impfquote in Bremen bei den unter 60-jährigen bei 30,5% www.rki.de/DE/Cont...ob=publicationFile



    Gerade bei jüngeren Menschen wird die Impfquote noch einmal schlechter aussehen.

    Wenn also schon Vergleiche, dann bitte mit entsprechenden Altersgruppen und Risikogruppen. Eine generelle Forderung, Flüchtlinge in toto und nicht individuell wie Hochrisikogruppen zu behandeln ist unsinnig und geht nach hinten los.

  • "Das ist sehr kurzfristig entschieden worden, so war womöglich nicht genug Zeit für die Kommunikation im Vorfeld“, räumt Schneider ein."

    Hätte man langfristig entscheiden und die Nebenwirkungen einfach in kauf nehmen sollen?

  • Zu mir ist noch keiner gekommen, weder mit gleicher noch mit anderer Sprache.



    "Es reicht nicht, einen Arzt dahin zu schicken, der eine andere Sprache spricht"

    Meine Impftermine musste ich mir mühsam über die dysfunktionalen Webseiten des Berliner Senats "erkämpfen". Einer davon wurde mir dann auch noch wieder gestrichen.

    • @meerwind7:

      🤣 Das Besetzt-Zeichen ist wahrscheinlich universell verständlich und aktuell der häufigste Ton bei Anrufen von Arztpraxen.