Via Facebook gegen Boulevardfernsehen: Spuk unterm Riesenrad
In Spanien haben Online-Proteste das Aus einer Boulevard-Show besiegelt. Das Wegbrechen der Werbekunden kann den ganzen Sender ruinieren.
MADRID taz | Eines der bekanntesten Boulevardprogramme Spaniens steht vor dem Aus. "La Noria" - "Das Riesenrad" - des TV-Senders Telecinco, der zu einem Viertel zum Medienimperium Silvio Berlusconis gehört, hat in nur zwei Wochen alle Werbekunden verloren.
Die Show war in die Kritik geraten, nachdem Ende Oktober ein Interview mit der Mutter eines Jugendlichen ausgestrahlt wurde, der wegen Begünstigung eines Mordes an einer jungen Frau einsitzt. Die Mutter hatte für das Gespräch 10.000 Euro kassiert. Der Fall beschäftigt Spaniens Öffentlichkeit besonders, da die Jugendlichen, die in die Tat 2009 verwickelt sind, sich gegenseitig decken und der Leichnam des Opfers bis heute nicht aufgetaucht ist.
"Entschuldigen Sie sich und versprechen Sie nie wieder Verbrecher oder Angehörige von Verbrechern einzuladen, damit sie über ihre Verbrechen sprechen", verlangte der Blogger Pablo Herreros kurz nach der Sendung. Der Funke sprang zu Facebook und Twitter über. Die Anzeigenkunden kamen unter Druck.
Mehr als 50 Marken, darunter Mercedes und die größte spanische Kaufhauskette El Corte Inglés zogen sich nach und nach zurück. "Wir solidarisieren uns nicht nur mit Ihren Forderungen, sondern wollen uns entschuldigen, obwohl wir von den beklagenswerten Inhalten des Programms keine Kenntnis hatten", erklärt einer der Anzeigenkunden - der Fleischwarenhersteller Campofrío - auf Facebook.
"Wir haben vielleicht hin und wieder rote Linien überschritten, aber in diesem Fall nicht", sagte "La Noria"-Moderator Jordi González. Er vermutet konkurrierende Sender hinter der Internet-Kampagne, die mittlerweile auch andere Boulevardprogramme von Telecinco aufs Korn nimmt. "Die Werbung kommt zurück.
Das ist alles nur eine Frage der Zeit", erklärte González, der in seinem Programm auch immer wieder Politiker zu Gast hatte, die die hohe Einschaltquote für ihre Popularität nutzen wollen. Doch Zeit wird González kaum haben. Am Samstag soll das Programm noch einmal zur Prime Time auf Sendung gehen. Ohne Werbung ist es für Telecinco wohl nicht zu halten.
Die Staatsanwaltschaft in Sevilla hat die interviewte Mutter vorgeladen. Sie will erreichen, dass die Justiz das Honorar von Telecinco beschlagnahmt, um damit einen Teil der Kosten, die die wochenlange vergebliche Suche nach dem Leichnam der getöteten jungen Frau verursachten – insgesamt 414.000 Euro - zu begleichen. Die Beschuldigten führten die Polizei mit immer neuen Versionen über den Verbleib des Opfers auf falsche Fährten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Privatjet auf Sylt besprüht
Haftstrafen für Letzte Generation – ohne Bewährung
Offensive in Syrien
Ist ein freies Syrien möglich?
Kürzungen im Kulturetat von Berlin
Gehen Kassiererinnen in die Oper?
Abtreibungen legalisieren
Beschwörung eines „Kulturkampfes“, den es nicht gibt
Pressefreiheit in Israel
Bibis Medien-Blockade
Krankenkassen-Infos zur E-Patientenakte
Vorteile? Ja. Nachteile? Schweigen…