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Verzweifelte ukrainische Familie in KielAus dem Krieg in den Behördenstress

Familie Kholkina aus der Ukraine ist von Kyiv nach Kiel geflohen. Sie stößt bei der Wohnungssuche auf wohlmeinende Vorschriften mit paradoxem Effekt.

Sind verzweifelt auf Wohnungssuche: Familie Kholkina in der Kieler Notunterkunft Foto: Andreas Oetker-Kast

Hamburg taz | Nach ihrer Flucht aus der Ukraine, ist Familie Kholkina heil in Kiel gelandet. Um aus der Notunterkunft heraus zu kommen, die ihnen die Stadt nach ihrer Ankunft zugewiesen hat, suchten sich die Kholkinas eine feste Wohnung. Doch das Jobcenter spielte nicht mit: Zu teuer und zu klein sei die Wohnung. Dabei hat die Familie in der Notunterkunft weit weniger Platz und muss jederzeit damit rechnen, in eine Gemeinschaftsunterkunft umziehen zu müssen.

Im März dieses Jahres war die Familie aus der Ukraine in Richtung Deutschland aufgebrochen. Die Entscheidung zu gehen, war ihr nicht leicht gefallen: „Wir dachten es wäre schnell vorbei, dass es irgendwie geregelt wird und kein Krieg vor unserer Haustür ausbrechen würde.“ Die Wohnung der Kholkinas lag gegenüber dem Hauptquartier der Nationalgarde und der Polizei in Kiew. Wegen der gefährlichen Lage verbrachten sie – Mutter Nataliia, Vater Volodymyr und die drei Mädchen Oksana (zehn), Olha (zwölf) und Viktoriia (14) – drei Wochen im Keller.

Als eine Rakete in der Nähe ihres Zuhauses einschlug, wussten sie, dass sie weg müssen. „Wir haben fünf Rucksäcke gepackt und sind geflohen,“ erzählt Vater Volodymyr. Er zeigt auf einen dunkelblauen Rucksack. Nach tagelanger Reise erreichten die Kholkinas Kiel. Endlich konnten sie aufatmen.

Gleich am nächsten Tag ließen sie sich bei der Stadt registrieren. Noch am Anmeldetresen wurde der Familie eine Wohnung als Notunterkunft zugewiesen. Nataliia möchte diese Wohnung nicht groß dekorieren. Schließlich ist die Wohnung nur eine Übergangslösung. Sie ist barrierefrei und eigentlich Menschen mit Beeinträchtigungen vorbehalten. Als die Familie eine feste Wohnung fand, waren alle erleichtert.

Jobcenter stellt sich quer

Das „Nein“ des Jobcenters war eine Überraschung. „Wir waren sehr enttäuscht,“ sagt Volodymyr. „Wir sehen nicht, dass die Familie da langfristig wohnen kann“, sagt eine Sprecherin des Jobcenters. „Wir bekommen ihren Antrag nicht unterschrieben.“ Die Wohnung sei zu klein, aber vor allem zu teuer.

Die Eltern können die Entscheidung nicht nachvollziehen. Sie leben derzeit auf 60 Quadratmetern. Das Jobcenter hält die 77 Quadratmeter des Mietangebots für „nicht angemessen“. Die Stadt Kiel setzt bei einer fünfköpfigen Familie eine Wohnungsgröße von 90 bis 105 Quadratmetern an. Die Miet­obergrenze liegt dann bei 845,50 Euro. Den Betrag und die Umzugskosten übernimmt das Jobcenter.

Als eine Rakete in der Nähe ihres Zuhauses einschlug, wussten sie, dass sie weg müssen

„Unter Berücksichtigung des Fluchtaspekts ist der Familie Kholkina eine 77-Quadratmeter-Wohnung nicht zuzumuten,“ sagt das Jobcenter. „Die Kinder haben alle ein Recht auf ihr eigenes Zimmer, das ist aber nicht gegeben.“ Außerdem habe der Vermieter die Nebenkosten viel zu niedrig angesetzt. Das Jobcenter hat nachgerechnet und ordnet die Wohnung über der Mietobergrenze von 845,50 Euro ein. Zusammen sind Miete und Nebenkosten also zu hoch. Dabei sind die Kholkinas auf das Geld vom Jobcenter angewiesen, um die Wohnung und den Umzug bezahlen zu können.

Volodymyr und Nataliia hätten sich ein persönliches Gespräch mit Mitarbeitern des Jobcenters gewünscht. Dass die beiden jüngsten Töchter sich ein Zimmer teilen müssten, sei nicht schlimm. Sie hätten auch in Kiew schon in einem Zimmer gewohnt. Dass sie nicht wissen, ob sie nicht womöglich bald aus ihrer Not-Wohnung in eine Gemeinschaftsunterkunft umziehen müssen, bereitet den Kholkinas Sorge.

Wunsch nach mehr Unabhängigkeit

Das Jobcenter halte einen solchen Umzug für „nicht optimal“. Für diesen Fall sollte eine andere Zwischenlösung her. Wie die aussehen würde, kann das Jobcenter nicht sagen. Das Risiko, dass die Familie bald ihre Unterkunft verlassen muss, schätzt es als nicht sehr hoch ein. Auszuschließen sei es aber nicht.

Nachdem das Jobcenter die erste Wohnung abgelehnt hatte, dauerte es dreieinhalb Monate, bis die Kholkinas auf ein neues Mietangebot stießen. Erst durch einen Artikel über die Familie in den Kieler Nachrichten wurden sie fündig. Ein „nettes Ehepaar“ bietet ihnen eine Wohnung an. Momentan ist die ihr einziges Angebot. „Für das Geld, das wir vom Jobcenter bekommen und innerhalb der Richtlinien, ist es schwer etwas Passendes zu finden“, sagt Volodymyr.

Familie Kholkina hofft, dass der Umzug nun gelingt. Die neue Wohnung sei riesig. Bei vier Zimmern bekommen alle Töchter ihr eigenes. Eltern und Kinder wünschen sich einen beständigen Alltag. Für mehr Sicherheit sei eine feste Wohnung sehr wichtig.

„Wir wollen mehr Unabhängigkeit,“ sagt Volodymyr. Die ganze Familie belegt Sprachkurse. Bessere Deutschkenntnisse sollen Volodymyr und Nataliia ermöglichen, mehr Auswahl auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Dann werden die Kholkinas auch weniger abhängig vom Jobcenter sein. „Wir möchten selbst entscheiden können“, sagt Volodymyr. „Zurzeit fühlt es sich an, als ob unser Leben nicht uns gehört.“

Der neue Umzugsantrag ist bereits gestellt, die erste Rückmeldung dazu: Die Heizkosten müssen getrennt aufgeführt werden. Bitte korrigieren und noch mal einreichen.

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2 Kommentare

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  • Ich gehe davon aus, damit soll verhindert werden, dass sich Vermieter an den Flüchtlingen bereichern; grundsätzlich finde ich das schon in Ordnung, dass darauf geschaut wird.

    Vielleicht kann, während der/die andere sich weiterqualifiziert, eine/r der beiden Erwachsenen in die Erwerbstätigkeit gehen, dann sind sie freier in ihren Wohn-Entscheidungen. Für mich klingt das nach einem "normalen" Leben auch bei bundesdeutschen Paaren, was ich geflüchteten Menschen, sofern sich selbst das auch möchten, wünsche.

  • Jaaa, die deutsche Gründlichkeit. lieber gar keine Wohnung, als eine nicht angemessene... Wir meinen es ja nur gut.