Vertreibung von Wohnungslosen wegen G20: In Hamburg sagt man Tschüss
Obdachlose sollen zum G20-Gipfeltreffen aus der Hamburger Innenstadt raus. Straßensozialarbeiter fürchten, dass sie zwischen die Fronten geraten könnten.
„Unser Vorschlag ist es, das Winternotprogramm wieder zu öffnen“, sagt Karrenbauer. Er fordert, eine Unterkunft am Michel zum G20-Gipfel wieder in Betrieb zu nehmen, und zwar schnellstmöglich und nicht erst zwei Tage vor dem Gipfel. Die Obdachlosen müssten einen Ort haben, an dem sie sich auch tagsüber aufhalten können. Das beste sei, wenn sich die Info per „Stille Post“ unter den Obdachlosen verbreite und sie nicht gezwungen werden, zu gehen.
Die Sozialbehörde fühlt sich nur für bestimmte Obdachlose zuständig. Im März hatte der Sprecher der Sozialbehörde Marcel Schweitzer erklärt, allen Obdachlosen, die man von Gesetzes wegen unterbringen könne, habe man eine Unterkunft angeboten. Doch von diesem Angebot sind viele ausgeschlossen. Um einen Anspruch auf einen Platz in einer Unterkunft zu haben, müssen die Obdachlosen deutsche Staatsbürger sein oder als EU-Bürger in Deutschland sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben.
Schweitzer wollte sich auf taz-Anfrage nicht zu der Forderung äußern, das Winternotprogramm wieder zu öffnen. Er sagte nur soviel: Er habe sie zur Kenntnis genommen. Aussichtsreich scheint der Vorschlag jedoch nicht zu sein: Einer der beiden städtischen Standorte werde bereits abgebaut und eine Genehmigung für den Standort nahe des Michel liege nicht vor.
Geschätzt rund 2.000 Obdachlose leben in Hamburg auf der Straße. Etwa 3.400 Wohnungslose sind in öffentlichen Wohnunterkünften oder bei anderen Trägern untergekommen.
Im Winternotprogramm stellt die Stadt von November bis März Schlafplätze für Obdachlose bereit.
940 Plätze standen hier in diesem Winter zur Verfügung.
610 Plätze gibt es ganzjährig in der Obdachlosenunterkunft Pik As, im Frauenzimmer und bei freien Trägern.
245 Obdachlosen hat die Sozialbehörde im Winter 2016/2017 eine Unterkunft vermittelt, 162 bekamen aber nur einen Schlafplatz in einer Wohnunterkunft.
Für die Sozialbehörde scheint das Problem der Unterbringung auch jetzt nicht so groß zu sein. „Grundsätzlich ist nicht damit zu rechnen, dass es stadtweit relevante Auswirkungen des G20-Gipfels geben wird“, sagt Schweitzer. Ausgenommen seien wenige Orte, wie rund um die Messehallen. Wie viele Obdachlose dort auf der Straße leben, kläre die Behörde aktuell gemeinsam mit Sozialarbeitern.
Stephan Karrenbauer sieht dringend Handlungsbedarf: Er schätzt, dass 300 Menschen einen alternativen Schlafplatz brauchen werden. Die Sozialbehörde sei nun am Zug. Doch für Schweitzer stellt sich die Frage alternativer Unterbringung erst, wenn Zahlen vorliegen. Wie eine Alternative aussehen könnte, will die Behörde erst anschließend klären. Das könne bis Juni dauern.
Doch Vertreibung von Obdachlosen aus der Innenstadt gibt es schon jetzt. Einige seien bereits mit Beschwerden auf sie zugekommen, sagte Birgit Müller von Hinz & Kunzt. Die Obdachlosen seien von Polizisten darauf hingewiesen worden, dass sie ihre Platte möglicherweise bald räumen müssten. Hinz & Kunzt und Bezirks-Chef Droßmann seien sich einig, dass Obdachlose während des Gipfels zwischen die Fronten geraten könnten, sagt Müller. So könnten sie etwa aufgefordert werden, ihr Gepäck durchsuchen zu lassen.
„Geht für ein paar Wochen in eine andere Stadt oder meidet zumindest die Messe, die City – überhaupt das Kerngebiet“, hatte das Straßenmagazin Droßmann zitiert. Der war sich aber nun doch nicht mehr mit Hinz & Kunzt einig und beschwerte sich in der Bild-Zeitung: Er habe das weder so gesagt, noch sei das Zitat autorisiert gewesen, ruderte er zurück. Müller räumte ein, dass Droßmann mit seiner Aussage nie gemeint habe, Obdachlose aus der Stadt zu vertreiben. Autorisiert habe er das Zitat aber. Droßmann war für die taz nicht zu sprechen.
Für das Straßenmagazin Hinz & Kunzt steht fest: Es fehlt ein Konzept zum Umgang mit Obdachlosen während des G20-Gipfels. Und auch die Grundforderung gelte für Karrenbauer weiterhin: „Die Sozialbehörde muss alle Wohnungslosen dauerhaft unterbringen.“
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