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Vertreibung der RohingyaStaatenlose jenseits der Grenze

Fast die Hälfte der Rohingya aus Birma ist in den vergangenen vier Wochen nach Bangladesch geflohen. Die humanitäre Lage dort spitzt sich zu.

Rohingya drängen sich um Lebensmittel, die in der Stadt Cox's Bazar verteilt werden Foto: reuters

Ukhia/Cox's Bazar taz | Ukhia, knapp jenseits der Grenze. Mit lautem Knattern rangiert ein Bus auf dem Feld. Die Geflüchteten kommen barfuß aus ihrem Lager durch den Schlamm gelaufen. Jetzt drängen sie sich um den Bus. In ihm sitzen hilfsbereite Bangladescher aus dem ganzen Land und reichen Wasser und Plastiktüten mit Reis aus den Fenstern. Manche filmen die tumultartigen Szenen aus dem Bus heraus mit ihrem Smartphone.

Es regnet seit Tagen. Menschen fallen in den Schlamm. Zwei Männer zanken sich um eine Tüte mit Reis. Am Rande steht ein Junge, der bitterlich weint. Das Papierzettelchen, das ihn berechtigt, eine Tüte abzuholen, ist ihm in den Schlamm gefallen.

Fast eine halbe Million muslimische Rohingya sind im vergangenen Monat vor Attacken des Militärs aus Birmas Westen über die Grenze nach Bangladesch geflohen. Die Masse an Menschen hat in dem eh schon bitterarmen Land eine humanitäre Krise ausgelöst. Es mangelt an allem. Es gibt nicht genug zu essen, die hygienischen Zustände sind katastrophal. Die Menschen können weder zur Toilette gehen noch sich waschen. Die meisten haben kein Dach über dem Kopf. Am Straßenrand kauern Gruppen, die schützend eine große Plastikfolie über sich halten. Es ist Regenzeit. Die Schauer sind häufig und intensiv.

Während sich Entwicklungshelfer über das richtige Schuhwerk beratschlagen, die Kameramänner ausländischer Fernsehstationen im Schlamm ausrutschen und Fotografen Wasserschäden an ihren Kameras beklagen, harren die Geflüchteten einfach nur aus. Sie sind erschöpft. Und sie sind es gewohnt, keine Rechte zu haben.

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Die Rohingya sind laut UN die „am stärksten verfolgte Minderheit der Welt“. Das Militär, das de facto noch immer über die Macht in Birma verfügt, hat der muslimischen Minderheit nach und nach die Staatsbürgerschaft aberkannt. Die Rohingya leben im Teilstaat Rakhine streng von den Buddhisten getrennt und dürfen sich nicht frei bewegen.

Vertreibung und Flucht

Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder Flüchtlingsströme ins mehrheitlich muslimische Bangladesch. Bereits vor der aktuellen Krise lebten dort rund 300.000 Rohingya in Lagern. Diese Zahl hat sich in weniger als vier Wochen mehr als verdoppelt, nachdem Aufständische der Arakan Rohingya Salvation Army (Arsa) zum wiederholten Mal bewaffnete Übergriffe auf birmesische Sicherheitskräfte verübten, die ihrerseits mit Vergeltungsmaßnahmen antworteten und dabei nicht vor Lynchmorden, Folter und Massenvertreibung zurückschreckten. Während das birmesische Militär von einer „Sicherheitsoperation“ sprach, bezeichnet die UN die Vorgänge als ethnische Säuberung.

Seit Wochen kann man nun von Bangladesch aus in Rakhine Dörfer brennen sehen. Auch Shah Jalal war Zeuge. Sein Haus liegt fußläufig zur Grenze. Immer wieder treffen er und seine Familie auf Geflüchtete, denen sie erst mal Wasser und etwas zu essen geben. Das Schicksal der Rohingya rührt ihn. Deshalb geht er auch regelmäßig in die Camps, um die Geschichte der Geflüchteten zu dokumentieren. Sein Ziel ist es, eine Foto­ausstellung zu organisieren und Geld für die Geflüchteten zu sammeln.

Die Rohingya sind laut UN die am stärksten verfolgte Minderheit der Welt

Auf seinem Smartphone hat er Bilder von jungen Mädchen. „Die hier ist inzwischen verschwunden“, sagt er und deutet auf ein junges Mädchen mit feinen Gesichtszügen. Seit Tagen hat Jalal wie ein großer Bruder auf 25 Mädchen ein wachsames Auge. Teilweise haben die jungen Frauen ihre Familien in den Wirren der Flucht verloren. „Irgendjemand muss ja auf sie aufpassen“, sagt er.

Unkoordinierte Hilfe

Die Lichtung, auf der sie unter Plastikplanen schliefen, wurde inzwischen von der Polizei geräumt. Die Präsenz von Armee und Sicherheitskräften im Grenzgebiet hat in den vergangenen Tagen stark zugenommen. Bangladesch will der Anarchie Herr werden. Von den Hilfsorganisationen sind nach wie vor fast nur lokale Akteure sichtbar. Aber die Solidarität der Einheimischen ist groß: Viele nehmen lange Anreisen im Bus auf sich, um Hilfsgüter zu verteilen.

Wie unkoordiniert die Hilfe allerdings ist, zeigt sich an dem bunten Stoffmeer, das sich um die Lager im Schlamm gebildet hat. Ein paar T-Shirts, Jeans und Hemden sind als Windschutz auf dem Plastikplanendach einer kleinen Verkaufsbude gelandet. „Braucht ja eh keiner“, sagt der Junge, der Gemüse für die mit ein bisschen Geld anbietet. Frische Kleidung wird jedenfalls nicht gebraucht. Was die Menschen hier brauchen, sind Medikamente, Lebensmittel, Plastikplanen und Bambus für Zelte.

In einem dieser Zelte, das äußerst notdürftig als Erste-Hilfe-Zelt angelegt wurde, sitzt eine alte Frau. Ihr Oberarm fühlt sich zerbrechlich an – wie der eines Kindes. Sie hat Mühe zu sprechen. Jeder Atemzug strengt sie an. Ihre Wangen sind eingefallen, Zähne hat sie nicht mehr. „Seit der Flucht hat sie keine Medikamente mehr bekommen“, sagt ihr Schwiegersohn und blickt besorgt.

Der IS freut sich

„Gibt es einen besseren Nährboden für die Terroristen von morgen als dieses humanitäre Elend?“, fragt ein Dorfvorsteher etwas außerhalb der Lager. Bangladesch wird regelmäßig von islamistisch motivierten Anschlägen heimgesucht. Längst hat der IS in der Region Fuß gefasst. Dazu stehen für 2018 Wahlen an. Premierministerin Sheik Hasina, die auch für den Friedensnobelpreis im Gespräch ist, pflegt ihr menschenfreundliches Image. „Wir können 160 Millionen Bangladeschis ernähren, also warum nicht auch 700.000 Rohingya“, sagte sie unlängst bei einem Besuch in den Lagern.

Das Grenzgebiet ist mit Wahlplakaten zugepflastert. Die junge Momtaz Begum aus Birma sitzt unweit eines solchen Plakats auf einem Holzstapel an der Straße. Wenn die Busse und Lastwagen mit Helfern vorbei rumpeln, bebt die Erde. In ihren Armen hält Begum ihr Kind, das nach sieben Tagen Flucht auf dieser Seite der Grenze geboren wurde. Die kleinen Zehen sind kaum größer als ein Stecknadelkopf. Das Frühchen hat Schmiere am Hals und bekommt seine Augen kaum auf.

Drei Stunden lang lag das 18-jährige Mädchen am felsigen Ufer des Grenzflusses in den Wehen, bis es ihr Kind endlich in das blaue Handtuch wickeln konnte, das sie aus der verlorenen Heimat mitgebracht hat. In Bangladesch haben Begum und ihr Mann kein Dach über dem Kopf, dort haben sie nichts zu essen. Ihr Neugeborenes, obwohl in Bangladesch zur Welt gekommen, wird genau so staatenlos sein wie seine Eltern. „Ich würde mich doch so gern über mein Kind freuen können“, sagt Begum.

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