Vertreibung aus Sudan: Die größte Flüchtlingskrise der Welt
Kein Krieg vertreibt heute mehr Menschen als der im Sudan. Die Kämpfe eskalieren, ein Ende ist nicht in Sicht. Die humanitäre Not ist grenzenlos.
Nach Jahrzehnten der Diktatur stürzten die Menschen in Sudan 2019 Omar al-Bashir. Die Hoffnungen auf eine friedliche, demokratische Zukunft des Landes waren groß. Heute ist davon kaum etwas geblieben. Der Krieg tobt seit bald 18 Monaten, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. An mehreren Fronten kämpfen die staatlichen sudanesischen Streitkräfte (SAF) und gegen die Milizionäre der Rapid Support Forces (RSF) unter dem Warlord Hemedti.
Die SAF kontrollieren heute Ostsudan, die RSF und ihre Verbündeten den größten Teil des Westens. Über 20.000 Zivilist:innen wurden getötet, Millionen leiden unter Vertreibung, Hunger und Krankheiten. Die internationale Gemeinschaft schweigt.
Dieser Text stammt aus einer Sonderbeilage der taz Panter Stiftung zur Vertreibung aus Sudan. Sechs Journalist:innen aus Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten hatte die Stiftung im Mai 2024 für einen Workshop nach Berlin eingeladen. Sie alle sind Expert:innen für das Thema, das die Wahlen in Europa bestimmt wie kein zweites: Migration. Mit den Teilnehmer:innen dieses Workshops und anderer Projekte der taz Panter Stiftung wurde die am 25. Oktober 2024 erschienene Sonderbeilage konzipiert. Sie soll ein Schlaglicht auf den vernachlässigten Sudankonflikt werfen – und zeigen, was er mit der Migrationspolitik Europas zu tun hat. Die Podiumsdiskussion der Workshopteilnehmer:innen Ende Mai in Berlin finden Sie hier, die im Rahmen des Workshops entstandenen Folgen des Panter-Podcasts „Freie Rede“ hier. Mit dem Workshop, der allein durch Spenden ermöglicht wurde, wollte die Stiftung Austausch und Vernetzung schaffen, um eine fundierte Berichterstattung über Migration zu stärken.
„Wir wurden alleingelassen, niemand kümmerte sich um uns“, sagt die Sudanesin Amani der taz am Telefon. Sie war Ende September zu Fuß aus El Fasher, der größten Stadt der westsudanesischen Kriegsprovinz Darfur, entkommen. Dort liefern sich beide Seiten erbitterte Kämpfe. „El Fasher ist zerstört. Der wahllose Luft- und Artilleriebeschuss durch beide Kriegsparteien trifft jeden Zentimeter der Stadt, überall gibt es Tote und Verletzte, und alle Krankenhäuser sind geschlossen“, sagt Amani.
„Hunger, Durst und Krankheiten fordern täglich Menschenleben. Es gibt keine Hilfe außer selbst organisierten Bemühungen, die nicht für alle ausreichen. Ich konnte nicht bleiben und bin geflohen“, sagt Amani. Täglich sterben Menschen an Hunger, und viele essen Müll oder Heuschrecken. Die wenigen Hilfskonvois, die versuchen, die Lager zu erreichen, werden oft geplündert, berichtet sie.
Der Krieg brachte den Hunger. Sudan zählt heute zu den vier Ländern der Welt mit der höchsten Rate an schwerer akuter Unterernährung. Von Juni bis September 2024 waren 25,6 Millionen Menschen von einer „schweren Nahrungsmittelkrise“ betroffen. Rund 755.000 Menschen litten unter „katastrophaler Ernährungsunsicherheit“. 8,5 Millionen Menschen sahen sich nach UN-Angaben mit einer „akuten Ernährungsnotlage“ konfrontiert, die meisten von ihnen in den überfüllten Flüchtlingslagern.
Die Tragödie verschärft sich durch die Ausbreitung von Epidemien wie Cholera, Malaria, Denguefieber und Masern. Vom 22. Juli bis zum 29. September 2024 wurden über 17.600 Cholerafälle und 546 Todesfälle gemeldet, wobei Tausende wahrscheinlich nicht erfasst wurden. Das Gesundheitssystem steht vor einer beispiellosen Krise. Die WHO schätzt, dass 70 bis 80 Prozent der Einrichtungen in Konfliktgebieten kaum noch funktionsfähig oder geschlossen sind.
Millionen auf der Flucht
11,3 Millionen Sudanes:innen sind heute auf der Flucht. Die Hälfte von ihnen sind Kinder, viele von ihnen wurden mehrfach vertrieben. Rund 8,3 Millionen Menschen wurden nach dem Ausbruch des laufenden Krieges im April 2023 vertrieben. 8,1 Millionen Menschen leben heute als Binnenvertriebene im Land. Knapp 2,3 Millionen Menschen haben unter oft extrem schwierigen Bedingungen Zuflucht im Nachbarland gesucht.
Im Tschad etwa leben etwa 650.000 Flüchtlinge in Lagern entlang der sudanesischen Grenze und leiden unter Hunger und unzureichender Hilfe. In Ägypten sehen sich etwa 1,2 Millionen Sudanes:innen Abschiebungskampagnen und einer zunehmend rassistischen Rhetorik ausgesetzt.
Der Konflikt hat eine internationale Dimension. Amani El Taweel, eine ägyptische Sudanexpertin, sagte der taz, dass die jüngsten Militäroperationen der Armee „nach der Lieferung neuer Waffen und Drohnen“ erfolgten. Die Erfolge der SAF könnten auf „externe Unterstützung“ zurückzuführen sein. Russland hatte kürzlich angekündigt, der SAF Waffen im Austausch für einen Marinestützpunkt am Roten Meer zu liefern.
Es war ein Wendepunkt in der Haltung Moskaus – bis dahin hatte der Kreml die RSF-Miliz durch die Wagner-Gruppe unterstützt. Zudem bekommen die SAF Drohnen aus dem Iran. Der RSF-Führer Hemedti wirft Ägypten vor, die SAF mit Luftschlägen zu unterstützen. Die RSF werden ihrerseits von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt, die sie über Tschad und die Zentralafrikanische Republik mit Waffen, Munition und Drohnen versorgen.
Die Analystin El Taweel hält eine militärische Lösung des Konflikts für „sehr schwierig“. Die Armee versuche, das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu verschieben, um sich eine bessere Verhandlungsposition zu verschaffen. Doch die RSF kontrollierten weiter den größten Teil Darfurs. Am 5. Juni griffen die RSF das Dorf Wad El Noura im Bundesstaat Al-Jazirah an, über 100 Zivilist:innen wurden getötet.
Es war die höchste Zahl an zivilen Todesopfern innerhalb weniger Stunden seit Beginn des Krieges. Der Angriff ist nach Einschätzung einer UN-Erkundungsmission nur eine von vielen Gräueltaten, die von beiden Konfliktparteien begangen werden. Die Expert:innen beklagen Angriffe auf Zivilisten, Schulen und Krankenhäuser, Vergewaltigungen, die Rekrutierung von Kindersoldaten. „Die Menschen in Sudan haben eine unvorstellbare Tragödie erlitten“, sagt die UN-Expertin Joy Ngozi Ezeilo.
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