Es ist aus meiner persönlichen Sicht wichtig zu differenzieren, zwischen: 1. Der veränderten Situation in Afghanistan und der Bedrohungslage für die deutschen SoldatenInnen, bzw. den politischen Schlussfolgerungen die die Politik hieraus hätte ziehen müssen. 2. Den Konsequenzen die sich aus der Abänderung der Einsatzgrundsätze für die deutschen SoldatenInnen seit Juli 2009 ergeben haben und 3. Der Frage nach der Angemessenheit des Luftschlags vom 04. September!
Zu. 1. Jahrelang wurde offensichtlich eine völlig unzureichende orientierungslose Debatte um den Bundeswehreinsatz i Afghanistan geführt!? Dieses nicht nur wegen der offensichtlichen Blauäugigkeit mit der seitens der politischen Akteure teilweise agiert wurde, sondern auch wegen der Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen in Afghanistan.
Ob Letzteres nun (partei)politischem Kalkül entsprochen hat oder schlichtweg Uninformiertheit ist, mag man dahingestellt lassen. (Im Ergebnis würde sich durch diese Erkenntnis für die Mitbürger, die als SoldatenInnen in Afghanistan Dienst tun, ohnehin nichts ändern!)
Man führe sich daher bitte noch einmal vor Augen: Der Norden von Afghanistan, also der deutsche Verantwortungsbereich des Regionalkommando Nord (RC North), hat eine Größe die ungefähr 50 Prozent der Landfläche Deutschlands entspricht (eine Ausdehnung von rund 1.200 km in Ost-West-Richtung und rund 400 km Nord-Süd Richtung)!
Allein die Entfernung von Kundus nach Feyzabad, den Standorten der beiden deutschen Provincial Reconstruction Teams (PRT) beträgt rund 260 Kilometer.
Das deutsche Kontingent verteilt sich in Masar-i-Scharif auf das RC-North, hier zusammen mit den Soldaten des deutschen QRF-Verbandes und der Forward Support Base (FSB), den Heeresfliegern und der Luftwaffeneinheit, die mit den Tornados den Einsatz unterstützen; auf die Feldlager der beiden PRT in Feyzabad und Kundus; auf das Provincial Advisory Team (PAT) in Taloqan; auf den Strategische Lufttransportstützpunkt in Termez (Usbekistan); Abkommandierungen von deutschen Soldaten in das ISAF Hautquartier, die Schule für Kraftfahrer und Mechaniker in Kabul etc..
Nach eigener optimistischer Schätzung bleibt letztendlich ein Kontingent von max. rund 1000 deutsche SoldatenInnen übrig die zur Verfügung steht, um unter Berücksichtigung des Schichtbetriebs(!) an sieben Tagen der Woche tatsächlich operative Aufgaben wahrzunehmen, die annähernd dem eigentlichen Auftrag dienen: "Unterstützung der vorläufigen Staatsorgane Afghanistans und ihrer Nachfolgeinstitutionen bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit, so dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen (inkl. ISAF) und anderes Zivilpersonal (insb. solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht) in einem sicheren Umfeld arbeiten können, und Sicherheitsunterstützung bei der Wahrnehmung anderer Aufgaben in Unterstützung des Bonner Abkommens"
Um es noch einmal zu verdeutlichen: Wenn, unter Berücksichtigung der Sicherheitslage, der beschränkten Bewaffnung, der eingeschränkten Tranportkapazität (bedingt durch: unzureichend einsatzbereite Fahrzeuge, fehlende ausreichend gepanzerte Fahrzeuge und der unzureichenden Lufttransportpazität), dem Fehlen schwerer Waffen/ Kampfhubschrauber; 300 bis 400 deutsche SoldatenInnen gleichzeitig die Lager verlassen können, um relevante Aufgaben in der Fläche (Patrouillen und Außenpräsenz) im Rahmen des UN-Mandates im Norden von Afghanistan wahrzunehmen, wäre das viel!
Wenn man sich diese Erkenntnis vor Augen führt, dann wird einem schlagartig vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan und der damit verbundenen Herausforderungen der deutschen SoldatenInnen vor Ort klar: Dieser Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist im Ergebnis ein politischer Papiertiger!
Denn das, was diese wenigen deutschen Soldaten tatsächlich operativ im militärischen Sinne ihres Auftrages (friedenserzwingender Einsatz) erreichen können, ist ob der eskalierenden Bedrohungslage durch die Taliban faktisch Null!
Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Die geäußerte Kritik seitens der Nato ist absolut berechtigt! Das deutsche Kontingent ist derzeit nicht in der Lage, seinen Auftrag militärisch angemessen auszuführen!
Und wenn man unabhängige Quellen verfolgt, muss man feststellen, dass die Taliban in einigen Distrikten offenbar inzwischen völlig unkontrolliert agieren! Der in London ansässige International Council on Security and Development (ICOS) teilte im September 2009 mit, dass die Taliban seit vergangenem November in 80 Prozent des Landes "permanent" präsent sind. In weiteren 17 Prozent des Landes gebe es "substanzielle" Aktivitäten der Taliban. Auch in bislang eher friedlichen Gebieten im Westen und Norden des Landes habe sich der Einfluss der Taliban ausgeweitet, vor allem in der Provinz Kundus, in der die Bundeswehr stationiert ist. "Permanente" Präsenz definiert ICOS als ein oder mehr Anschläge pro Woche, "substanzielle" Präsenz als durchschnittlich ein oder mehr Anschläge pro Monat.( Quelle: www.icosgroup.net/modules/press_releases/eight_years_after_911 ) Eine Situation die nicht nur die deutschen SoldatenInnen bedroht, sondern gleichfalls Auswirkungen auf die Sicherheitslage auch der anderen PRT’s, der Norweger, Schweden und Ungarn im Norden des Landes hat!
Würde man aus dieser Feststellung nun Rückschlüsse auf das weitere Vorgehen ziehen, hätte man konsequenterweise seitens der politischen Führung bereits viel früher sagen müssen: Die bisherige Strategie für Afghanistan ist gescheitert; der politische Traum, durch Waffeneinsatz den Wiederaufbau erfolgreich begleiten zu können, ausgeträumt; das Kontingent der Bundeswehr ist unverzüglich zurückzuziehen!
Nur dieses würde weder den in Afghanistan eingesetzten deutschen Soldaten gerecht, die sich mit größtem Einsatz der übertragenen schweren Aufgabe stellen, und es wäre unverantwortlich gegenüber der afghanischen Bevölkerung, der man sich mit dem Bundeswehreinsatz gegenüber verpflichtet hat! (Und es würde ohne Frage einer Destabilisierung der gesamten Region Vorschub geleistet, die dann - durch die zwangsläufige Stärkung der radikal-islamistischen Kräfte - tatsächlich auch Rückwirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland haben könnte!)
Insoweit wäre es eigentlich ob der sich veränderten Lage in Afghanistan längst zwingend notwendig gewesen, seitens der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages - unter Einbindung der Öffentlichkeit - nunmehr die möglichen Handlungsoptionen zu diskutieren, das politische Ziel des Bundeswehreinsatzes neu zu definieren, eine neue angepasste schlüssige Strategie zu entwickeln und über die daraus folgenden Maßnahmen zu entscheiden!
Nur leider muss man feststellen, dass von Teilen des Parlaments scheinbar die angemessen kritisch konstruktive Begleitung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan gegenüber der Bundesregierung unterblieben ist!
Mehr noch, man hat den Eindruck, dass die Desinformationspolitik der Bundesregierung über die Lage in dem Land und die eskalierende Bedrohungssituation für die deutschen SoldatenInnen in Afghanistan zum Teil durch kollektives Schweigen der die Regierung tragenden verantwortlichen Mandatsträger in der Öffentlichkeit auch noch unterstützt wurde! Offensichtlich scheint ein Teil der Mandatsträger vor der Bundestagswahl in eine Art Schockstarre beim Thema Afghanistan verfallen zu sein, die offensichtlich auch jetzt noch nicht gänzlich zu überwunden scheint!?
Als Bürger reibt man sich, daher verwundert die Augen, und fragt sich wie ein Teil der Mandatsträger im Deutschen Bundestag ihre Aufgabe eigentlich definiert, wenn sie bislang doch scheinbar tatenlos dieser Lageentwicklung in Afghanistan zugeschaut haben?
D.h., hier gibt es einen grundsätzlichen unverzüglichen Klärungsbedarf im Sinne der SoldatenInnen, die in Afghanistan ihren Dienst verrichten,- unabhängig von dem Vorfall in Kunduz vom 04. September!
Zu 2. Die Einsatzgrundsätze für die Streitkräfte der Nato sind im Detail geheim. Daran ist nichts auszusetzen!- Dennoch bleibt festzustellen, SoldatenInnen die aufgrund eines Entscheides des Deutschen Bundestages mit einem klar umrissenen Auftrag in ein fremdes Land geschickt werden, haben einen Anspruch darauf, dass die Einsatzgrundsätze die zum Anfang der Mission bestanden und der Öffentlichkeit und dem Parlament bekannt waren, auch dann der Öffentlichkeit und dem Parlament bekannt gemacht werden, wenn sich ändern!
Spätesten seit die "Rules of Engagement" (ROE) auch offensive Aktionen gegen Aufständische ermöglichten - also die Gewaltanwendung gegen Personen oder Gruppen, die den Isaf-Auftrag behindern oder auch nur die "uneingeschränkte Bewegungsfreihei"" von Isaf stören - und Ende Juli dementsprechend die Taschenkarte geändert wurde, hatte der Bundeswehreinsatz eine neue Stufe erreicht!
Insoweit wäre es nicht nur gerechtfertigt gewesen, sondern zwingend notwendig gewesen, dass was lapidar als "Äbänderung der Taschenkarte" diskutiert wurde, ausführlich im Parlament zu diskutieren und der Öffentlichkeit zu erläutern.- Aber genau das ist unterblieben und man stellt sich als Bürger berechtigterweise die Frage: Warum?
Der Vorfall des verheerenden Luftschlags auf die Tanklastzüge in der Nähe des deutschen PRT in Kundus, hat nicht nur eine Ernüchterung dahingehend geschaffen, dass ein Befehl der militärischen Führung auch zum Tode derer führen kann, die die Bundeswehr angetreten ist zu beschützen; sie hat auch deutlich gemacht, dass die bisherige Informationslage der Bundesregierung über die Lage in Afghanistan und der Situation der deutschen Soldaten scheinbar der Desinformation der Bürger diente!
Auf den Punkt gebracht, man hat offensichtlich versucht - unter den (vornehmlich geschlossenen) Augen von Teilen des Parlaments - eine Informationslage zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr aufrecht zu erhalten, der dazu geeignet war, jegliche öffentliche Diskussion zu vermeiden
Man führe sich das bitte noch einmal als Bürger vor Augen; das Parlament lässt es zu, dass seitens der Regierung Bürgern (vorsätzlich) Informationen vorenthalten werden - die diese in die Lage versetzen würden, sich eine eigene Meinung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu bilden und ihnen schlussendlich ermöglichen an einer politischen Meinungsbildung mitzuwirken(!) - weil dieses „informiert sein“ offensichtlich ihr Wahlverhalten bei der Bundestagswahl beeinflussen könnte!
Ich weiß nicht wie man das unter Politikern nennt? Ich nenne das schlichtweg "Betrug am wählenden Bürger" und entnehme daraus, dass sich ein Teil unserer Politiker offensichtlich zunehmend nicht mehr bewusst ist, welche verantwortungsvolle Aufgabe sie im Rahmen unserer Verfassung vom Bürger (auf Zeit!) übertragen bekommen haben!
Wer als Politiker ein derart verqueres Selbstverständnis entwickelt, dass er aktiv oder passiv (durch Schweigen!) einem offensichtlichen Betrug am wählenden Bürger Vorschub leistet, der muss sich nicht nur den Vorwurf gefallen lassen, dass er die Grundprinzipien einer Demokratie in Frage stellt, sondern auch für sich die Frage beantworten, was er eigentlich in der Politik zu suchen hat?
Und hinsichtlich der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu Afghanistan (am 08.09.2009 im Deutschen Bundestag) hätte man als Bürger zumindest erwarten können, dass wesentlich differenzierter und angemessen kritisch mit dem aktuellen Vorfall, wie auch selbstkritisch mit dem Einsatzszenario der Bundeswehr in Afghanistan umgegangen wird. Genau das aber wurde vermieden!
Die Bundeskanzlerin hat mit ihrem Redebeitrag eher das verstärkt, was man als Bürger inzwischen den verantwortlichen Regierungsmitgliedern wie auch einem Teil der Mandatsträgern hinlänglich vorwerfen muss: Die Politik versuchte offensichtlich die Situation der deutschen SoldatenInnen in Afghanistan zu kaschieren, um dieses Thema aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten!
D.h. aber auch, man hat offensichtlich bewusst in politisch unverantwortlicher Art und Weise die Gefährdungslage negiert, die für SoldatenInnen der Bundeswehr im Norden von Afghanistan entstanden ist und der man sich eigentlich (Bundestagswahl hin oder her!) unverzüglich hätte stellen müssen!
Das ist ein Zustand, der im Sinne der in Afghanistan eingesetzten SoldatenInnen nun unverzüglich beendet werden muss!
Zu 3. Nun zu dem Vorfall vom 04.September!- Eigentlich könnte man sich eine weitere Diskussion über den Vorfall ersparen. Belegt doch letztendlich doch der Tod von 60 bis 80 Zivilisten, die bei dem Vorfall ums Leben gekommen sind, dass nicht nur gegen die geltenden Einsatzregeln (in diesem Fall die ROE 429) verstoßen worden ist, sondern auch, dass dieser Luftschlag nach Verfassung und bestehendem Rechtsverständnis rechtsstaatlich nicht zu legitimeren ist.
Sprich, der Luftschlag ist vor diesem Hintergrund ohnehin nach deutschem Strafrecht zu würdigen und ggf. zu ahnden!
Und dabei könnte man es eigentlich belassen;- wäre da nicht der in das Internet eingestellte deutsche Untersuchungsbericht und die Tatsache, dass genau dieser Untersuchungsbericht zu keinem Zeitpunkt den Schluss zugelassen hätte, den Luftschlag vom 04. September als angemessen zu rechtfertigen!
Und nun stellt man sich berechtigterweise als Bürger die simple Frage: Was bewegt politisch Verantwortliche dazu gegenüber der Öffentlichkeit eine Lageeinschätzung vorzunehmen, die sich durch die Darstellung im Untersuchungsbericht eben nicht rechtfertigen läßt und die zur Sorge Anlass gibt, dass offensichtlich von interessierter Seite versucht wurde (und noch wird?) - aus einer bisher unbekannten Motivation heraus - die Umstände des Vorfalls vom 04. September, zu versuchen zu verschleiern und zu vertuschen!?
Daran schließt sich aus meiner Sicht eine entscheidende für den Untersuchungsausschuss abzuklärende Frage an: Dürfen politische Amtsinhaber in Deutschland das Parlament und die Öffentlichkeit belügen und dürfen politische Amtsinhaber mögliche Straftaten vertuschen?
Hier wird eine grundsätzliche Frage Demokratieverständnisses in diesem Lande berührt! Und diese Frage muss schlüssig geklärt werden;- parteiübergreifend und ohne Ansehen der in diesen Vorgang verstrickten Personen!
Meine persönliche Schlussfolgerung aus dem Erleben des Vorgehens der Politik zum Thema des "Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan" und dem Vorfall vom 04. September:
Es darf nicht sein, dass Bürger dieses Landes von politisch Verantwortlichen getäuscht oder gar belogen werden! Von den Mandatsträgern im Deutschen Bundestag erwarte ich als Bürger, dass sie im gebotenen Maße ihrer Kontrollaufgabe gegenüber der Bundesregierung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan konstruktiv kritisch nachkommen und sicherstellen, dass die Öffentlichkeit angemessen und vorbehaltlos informiert wird !
Und ich füge hinzu: Die SoldatenInnen in Afghanistan haben unsere ungeteilte Unterstützung verdient! Und weil es um Mitbürger geht, die in einer besonderen Verpflichtung zu diesem Staat stehen und als SoldatenInnen in "Befehl und Gehorsam" eingebunden sind, liegt es an uns Bürgern auf die verantwortlichen Politiker einzuwirken und Klarheit in die politische Entscheidung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zu bringen!- Die Politik allein scheint in unserem Land hierzu derzeit nicht mehr in der Lage zu sein!
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