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Verteidiger über Loveparade-Prozess„Ein würdiger Abschluss fehlt“

Strafverteidiger Thomas Feltes hält das plötzliche Ende des Loveparade-Prozesses für einen Fehler. Hinterbliebene könnten kein Schlusswort sprechen.

Stilisierte Figuren an den Wänden eines Tunnels, dem damaligen Zugang zur Loveparade Foto: dpa
Interview von Andreas Wyputta

taz: Herr Feltes, nach 183 Verhandlungstagen will das Landgericht Duisburg den Loveparade-Prozess einstellen. Die Staatsanwaltschaft hat am Freitag zugestimmt. Auch die Angeklagten sind einverstanden. Damit ist der Prozess am Montag am Ende, oder?

Thomas Feltes: Am Montag sicherlich nicht, denn die Nebenkläger haben noch bis zum 27. April Zeit, Stellung zu nehmen. Aber: Wir als Nebenklage-Vertreter sind von diesem Vorpreschen des Gerichts überrumpelt worden: Es gab keinerlei Hinweis, dass der Prozess ohne jedes Urteil schon jetzt, drei Monate vor der Verjährungsfrist, eingestellt werden soll. Trotzdem ist leider zu befürchten, dass genau so entschieden wird.

Ein Veto können Sie nicht einlegen?

Nein. Laut Strafprozessordnung dürfen wir nur eine Stellungnahme abgeben. Wir werden deutlich machen, wie unverständlich und belastend dieses Prozessende nicht nur für unseren Mandanten ist.

Sie vertreten Manfred Reißaus, der am 27. Juli 2010 seine 22-jährige Tochter verlor. Wie geht er mit dem drohenden Ende des Prozesses um?

Für ihn war der Tod seiner Tochter verheerend. Das Unglück hat ihn aus dem Nichts heraus getroffen. Das Verfahren hat er von Anfang an als ständiges Auf und Ab erlebt. Immer wieder wurden die Gedanken und Bilder an die Katastrophe, die tödliche Enge, an die panischen jungen Menschen hochgeholt – bei Herrn Reißaus ebenso wie bei allen anderen Angehörigen und Verletzten. Er hat zwar geahnt, dass der Prozess eingestellt wird – trotzdem trifft ihn das sehr. Auch eine Entschädigung des Veranstaltungsversicherers AXA hat er bis heute nicht erhalten.

Warum nicht?

Weil ihm der angebotene Betrag auch im Vergleich zu anderen Zahlungen zu niedrig erschien. Für viele Hinterbliebene ist es schwierig zu sehen, wie im deutschen Zivilrecht der Wert einer oder eines Toten ermittelt wird. Da geht es darum, wie lang der Todeskampf war, wie groß die Schmerzen waren, die das Opfer erleiden musste. Bei der Tochter von Herrn Reißaus kam der Tod sehr schnell, sie ist erdrückt worden – daher das relativ geringe Zahlungsangebot.

Das Gericht erklärt, der Prozess könne wegen Corona nicht weitergeführt werden: Die Ansteckungsgefahr für viele ältere Beteiligte sei zu groß. Stimmt das?

Das ist, mit Verlaub gesagt, an den Haaren herbeigezogen und unehrlich. Die für den Loveparade-Prozess angemietete riesige Messehalle in Düsseldorf ist der sicherste Gerichtssaal Deutschlands. Zwischen den Prozessbeteiligten ist ein Abstand von zehn Metern möglich – alle erforderlichen Hygienemaßnahmen können eingehalten werden. In NRW finden jeden Tag Prozesse in kleineren Räumen statt.

Außerdem argumentieren die Richter, die verbliebenen drei Angeklagten, allesamt Beschäftigte des Loveparade-Veranstalters Lopavent, treffe nur eine geringe Schuld. Sehen Sie das auch so?

Die Katastrophe war das Ergebnis massiv schlechter Planung, unzulässiger Genehmigungen und fehlerhaften Polizeiverhaltens – und am Ende auch einer Verkettung vieler unglücklicher Umstände. Das Gericht erklärt zwar, es sei „vermeidbar und vorhersehbar falsch“ eingeschätzt worden, wie viele Menschen in welcher Zeit durch den Tunnel unter dem Duisburger Hauptbahnhof auf das Veranstaltungsgelände geschleust werden könnten. Andererseits: Lopavent-Chef Rainer Schaller und besonders die Politik um Duisburgs Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland wollten die Loveparade unbedingt. So entstand extremer Zeitdruck, und dann ist schludrig gearbeitet worden.

Die Rolle der Polizei, deren Absperrungen überrannt wurden und die kurz vor der Massenpanik noch mit einem Kastenwagen in die Menge gefahren ist, wurde dagegen kaum beleuchtet.

Das ist der Skandal des ganzen Verfahrens! Die Ermittlungen gegen verantwortliche Polizeibeamte sind sehr schnell eingestellt worden – und jetzt schreibt das Gericht, dass „pflichtwidriges Verhalten Dritter für das Geschehen mitursächlich“ gewesen sei. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Staatsanwaltschaft.

Standen die falschen Angeklagten vor Gericht?

Von den Verantwortlichen ist nur die zweite und dritte Reihe angeklagt worden. Nicht umsonst ist das Verfahren gegen sieben Angeklagte, darunter alle Mitarbeiter der Stadt, schon 2019 wegen geringer Schwere der Schuld eingestellt worden. Ich hatte natürlich gehofft, dass Ex-Oberbürgermeister Sauerland und Lopavent-Chef Schaller freiwillig ihre Mitverantwortung einräumen. Zu erwarten ist das in einem Strafverfahren aber nicht – auch wenn es sich sicher strafmildernd ausgewirkt hätte. Für eine Anklage aber waren sie von den konkreten Planungen viel zu weit weg, um ihre Schuld gerichtsfest nachzuweisen. Ich habe deshalb schon die Eröffnung des Prozesses von Anfang an für einen Fehler gehalten.

Im Interview: Thomas Feltes

69, war bis 2019 Professor für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Er vertritt die Bundesrepublik in der Anti-Folter-Kommission des Europarats und ar­bei­tet als Strafverteidiger.

Wieso das?

Das Strafrecht ist das denkbar schlechteste Instrument, ein Unglück wie die Loveparade-Katastrophe aufzuarbeiten. Ein Strafprozess kann Angehörigen und Opfern keinen Frieden schenken – eben weil er Verantwortlichen wie Sauerland und Schaller nicht die Möglichkeit gibt, sich offen und ehrlich zu bekennen und sich glaubhaft zu entschuldigen.

Was wäre die Alternative?

Eine Untersuchungskommission nach britischem Vorbild, wie sie nach der Hillsborough-Katastrophe mit ihren 96 Toten im Fußballstadion von Sheffield eingesetzt wurde. Die hätte nicht nur mit Juristen, sondern auch mit Experten wie Ingenieuren und Psychologen besetzt werden können – und hätte ohne Strafandrohung eine ehrliche Aufarbeitung der Unglücksursachen möglich gemacht.

Warum protestieren Sie dann trotzdem gegen das Ende des Prozesses?

Weil dem Verfahren ein würdiger Abschluss fehlt. Bisher konnte nicht einmal der Gutachter, der den Ablauf der Katastrophe detailliert untersucht hat, mündlich befragt werden. Und: Hinterbliebenen wird die Möglichkeit genommen, sich noch einmal zu äußern, ein Schlusswort zu sprechen. Stattdessen wird jetzt die eiskalte Sense geschwungen.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die ganze Geschichte ist eh unwürdig gewesen. Von Anfang an auf Vertuschung und Verdrehung von Tatsachen ausgelegt. Eine Einsatzleitung, die das tödliche Nadelöhr stetig verengt hat, Fluchtwege abgesperrt und damit fahrlässig die Situation verursacht hat und eine Stadtverwaltung, der Prestige über alles ging. Die Schuld dieser Leute ist so offensichtlich, dass ein Freispruch Rechtsbeugung geglichen hätte. Da kommt die Pandemie und irgendein Verwaltungsakt wie gelegen.

  • Das dieser Prozess in einer riesigen Messehalle statt findet, ist nicht richtig. Das Landgericht Duisburg nutzt das Congress-Center-Ost der Messe Düsseldorf. Dieses Gebäude wird im wesentlichen für Tagungen und kleineren Hauptversammlungen genutzt. Allein die zahlreichen Justizbeamten (über 40), die für die Sicherheit, Bewachung und Einlasskontrolle tätig sind, können aufgrund der baulichen Art gar nicht einen Abstand zwischen sich und den Prozessbeteiligten gewährleisten. Der eigentliche Prozesssaal ist fensterlos und wird ausschließlich über eine Belüftungsanlage beheizt bzw. mit Frischluft versorgt. Ein Ausfall der Lüftungsanlage kommt manchmal vor. Auch in den Sanitär- und Regieräumen herrscht Enge. Eine Fortführung des Verfahrens im Angesicht der momentanen Situation wäre grob fahrlässig.

    Das Landgericht Duisburg und die Messe Düsseldorf waren bisher stets bemüht, diesen Prozess mit hoher Sachlichkeit, Professionalität und Umsicht zu führen. Da ich die Örtlichkeit gut kenne, ist die Entscheidung des Landgerichts nachvollziehbar. Das Landgericht Duisburg kann für die Verschleppung des Verfahrensanfangs, das erst Ende 2017 begann, nichts.

    Trotzdem macht mich dieses Ende sehr traurig und betroffen. Es wäre in der Tat wünschenswert, daß es zu diesem Unglück eine Untersuchungskommission gäbe. Dann könnten auch die Entscheidungen der bisher außen vorgelassenen Personen (z.B. aus der Politik und Polizei) genauer beleuchtet werden.

  • Das der Virus sogar Gerichtsverhandlungen zum Erliegen bringt, nun zumindest eine. Zum Fremdschämen.

  • Ein "würdiger Abschluß" durch ein Urteil hätte allerdings auch in Freisprüche münden können. Ich glaube kaum, dass das geholfen hätte.

    • @Trango:

      Da die Möglichkeit eines Freispruch besteht, können wir ja unsere Strafprozessordnung abschaffen.

  • Situationen mit vergleichbarem Gefahrenpotential gibt es auch heute noch auf zahlreichen Massenveranstaltungen in Deutschland. Auch neuere Sicherheitskonzepte können tragische Unglücksverkettungen nie gänzlich ausschließen. Somit hängt dem ganzen Duisburger Love-Parade-Prozess von Anfang an nur der Ruch der Suche nach dem Sündenbock an. Ohne den Unfall mit den zahlreichen Toten wäre die Love Parade in Duisburg als Erfolg auf ganzer Linie gefeiert worden und der damalige OB Sauerland als Held, der das Super-Event überhaupt erst möglich gemacht hat.

    Auf die Anklagebank hätte, wenn überhaupt, die totale Kommerzialisierung jeglicher Eventkultur gehört.

    Der Unfall bei einer Flugshow auf der US-Airbase Ramstein (70 Tote) führte weder zu einem vergleichbaren Prozess, noch zu einer Abschaffung derartiger Veranstaltungen, genau so wenig wie die Explosion einer Feuwerksfabrik in Enschde (NL) mit 23 Toten und einem komplett verwüsteten Stadtviertel zu einer Abschaffung der Silvesterböllerei führte. Somit ist es nur eine Frage der Zeit, wann wir den nächsten Unfall mit vielen Todesopfern bei irgendeinem Vergnügungsevent beklagen können. Auch werden echte oder nur vorgeschobene Sicherheitskonzepte als politisches Instrument missbraucht, um missliebige Veranstaltungen wie Demos oder das Fusion-Festival zu verbieten oder zu drangsalieren, während sich auf Fan-Meilen oder beim Karneval ein paar hunderttausend Besoffene auf engstem Raum tummeln dürfen.

    Natürlich ist es für die Hinterbliebenen der Opfer schmerzhaft, wenn sie sich jetzt auf keinen Verurteilten Hauptschuldigen fokussieren können, aber so geht es den meisten Unfallopfern und leider auch den Opfern von polizeilichem Fehlverhalten.