Versorgung von Flüchtlingen am Lageso: „Miserabler als in der Dritten Welt“
Die Zustände am Lageso bergen große gesundheitliche Risiken, sagt der Präsident der Berliner Ärztekammer. Ein Todesfall wäre keine Überraschung.
taz: Herr Jonitz, ein Helfer hat am Mittwoch behauptet, dass ein Flüchtling, der vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) wartete, Fieber bekommen hat. Es hieß, er sei später an einem Herzstillstand gestorben. Auch wenn sich das nun als falsch herausstellt: Würde Sie so ein Fall überraschen?
Günther Jonitz: Nein, das würde mich nicht überraschen. Dass das Warten vor dem Lageso mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden ist, ist allen seit Monaten bekannt. Die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge vor dem Lageso warten müssen, sind nach wie vor menschenunwürdig. Bei Kälte, Regen und Wind geht auch die robusteste Natur irgendwann in die Knie. Insofern ist das Risiko, dass so etwas passiert, in hohem Maße gegeben.
Es gibt Wärmezelte für die Wartenden.
Die sollen Schlimmeres verhindern, tun das aber nicht in ausreichendem Maße. Viele warten nach wie vor draußen.
Die Ärztekammer hat schon vor Monaten kritisiert, dass die gesundheitliche Versorgung vor dem Lageso „Dritte-Welt-Medizin“ sei.
Schön wär’s! Es gibt Ärzte, die vor dem Lageso arbeiten, aber auch in der Dritten Welt tätig waren, die sagen unisono, dass sie eine derartig miserabel organisierte Versorgung auch in der Dritten Welt noch nicht erlebt hätten. Über Monate hinweg hat man es versäumt, sich um die Menschen sozial, aber auch medizinisch zu kümmern. Erst in den letzten Wochen ist die medizinische Versorgung spürbar besser geworden.
Der 57-Jährige ist Chirurg und seit 1999 Präsident der Ärztekammer Berlin.
Ärzte der Charité kümmern sich seit November um die gesundheitliche Versorgung, die Kosten trägt das Land Berlin.
Das macht sich bemerkbar. Die Charité engagiert sich dort in hohem Maße. Aber alleine kriegt auch sie das nicht hin, es braucht nach wie vor die Unterstützung der ehrenamtlichen Ärzte.
Kann es trotzdem passieren, dass jemand vor Ort derartig stark erkrankt?
Gerade bei jungen Leuten sind Krankheitsverläufe manchmal sehr schnell. Sie sind noch fit genug, um trotz der Krankheit aufrecht in der Schlange zu stehen. Sie können dann aber innerhalb weniger Stunden schwer krank werden bis hin zum Tod. Das unterschätzt man manchmal.
Könnte man so etwas mit einer besseren medizinischen Versorgung verhindern?
Dafür müsste man ein medizinisches Team in die Warteschlange schicken. Es haben bereits Ärzte und Krankenpfleger Ende letzten Jahres angefangen, regelmäßig in die Wartezelte zu gehen. Sie haben dort Schwerkranke und sogar Schwerverletzte angetroffen, die sich aber mit Händen und Füßen gewehrt haben, sich behandeln zu lassen, weil sie dann wieder aus der Warteschlange rausfallen. Die medizinischen Probleme sind sekundär. Das Hauptproblem ist ein Organisatorisches.
Sie meinen die Warteschlange an sich?
Ja. Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht eine Regelung für Härtefalle vor: Wer besonders bedürftig oder gesundheitlich angeschlagen ist, muss im Verfahren vorgezogen werden. Das hat am Lageso aber zumindest bis Ende Dezember zu keinem Zeitpunkt funktioniert.
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