Verschwundene Klausuren: Bremischer Freischuss
36 Staatsexamensklausuren verschwinden auf dem Postweg. Die Bremer Jura-Studierenden haben jetzt die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Für 36 Bremer Studierende war der ganze Aufwand nun vergebens: Ihre Klausuren sind weg. Vom Paketdienstleister DHL verbaselt. Trotz Sendungsnummer unauffindbar. Die Klausuren sollten zur Korrektur dem zuständigen Professor nach Süddeutschland geschickt werden, aber da kamen sie nie an. Die Studierenden haben nun die Wahl, ob sie die Zivilrechtsklausur wiederholen wollen oder sich damit einverstanden erklären, dass aus den restlichen Klausurnoten ein Durchschnittswert ermittelt wird.
Für viele dürfte das die Wahl zwischen Pest und Cholera sein: Wer in der nun abhandengekommenen Klausur die Jura-Sternstunde seines Lebens hatte, kann diese Leistung vielleicht nicht reproduzieren. Wer bei den anderen Klausuren nicht so gut abgeschnitten hat, kann sich rechnerisch nicht erlauben, nur auf den Durchschnittswert zu setzen. „Das wird von vielen als unfair empfunden“, sagt eine Bremer Jurastudentin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, der taz. „Die meisten werden wohl nochmal schreiben – oft vielleicht aus Angst, dass der Schnitt aus den übrigen Klausuren nicht reicht“. Dass die Klausuren überhaupt per Paket verschickt wurden, kommt nach Angaben des Justizprüfungsamtes nur „in Einzelfällen“ vor. Ortsansässige PrüferInnen erhalten die Klausuren vom Justizprüfungsamt üblicherweise per Botenpost.
Auch in diesem Fall wurden die Klausuren per Bote geschickt – zur Universität. Da der zuständige Professor seinen Wohnsitz jedoch in Süddeutschland hat, wurden die Klausuren per Paket zu ihm geschickt. Die Korrektur sei „in die vorlesungsfreie Zeit“ gefallen und, da sie „innerhalb einer kurzen Frist erfolgen muss“, daher per Post verschickt worden, hieß es aus der Uni-Pressestelle.
Dass die Universität solche sensiblen Dokumente wie unkorrigierte Staatsexamensklausuren der Post anvertraut, wundert die Studierenden: „Alle sind erstaunt, dass sowas überhaupt passieren kann“, sagt eine Studierende der taz. „Vor allem wundern sich alle, dass vom Prüfungsamt die Klausuren persönlich an die Uni Bremen übergeben werden müssen, es eine solche Vorschrift für die Verteilung an die Professoren von der Uni aus aber nicht gibt“. Selbst Abiturklausuren, so die Studentin, müssten persönlich übergeben werden, dürften weder ins Fach gelegt noch mit in den Urlaub genommen werden.
Vielerorts leidet der Unibetrieb darunter, dass ProfessorInnen zwar dort lehren, ihren Lebensmittelpunkt jedoch woanders haben – und damit oft nicht vor Ort sind. Dies gilt insbesondere für die vorlesungsfreie Zeit. Manche Universitäten wie etwa die Uni Magdeburg haben deshalb verbindliche Regeln für die Präsenz der ProfessorInnen aufgestellt.
Eine Bremer Jura-Studierende
Auf Anfrage der taz, wie die Uni Bremen das Thema handhabt, sagte Pressesprecherin Kristina Logemann, die WissenschaftlerInnen seien „dazu angehalten, national und international zu kooperieren, um ihre Forschung und damit auch die Universität Bremen überregional und weltweit sichtbar zu machen.“ Es sei also, so Logemann weiter, „originär mit ihrer Arbeit verbunden, dass sie sich nicht immer am Standort der Universität aufhalten“. Und: „Ihre Lehr- und Betreuungsverpflichtungen nehmen die Hochschullehrenden aber selbstverständlich vor Ort wahr.“ Und wenn der zuständige Professor die Universität Bremen gerade an seinem süddeutschen Heimatort „sichtbar macht“, gibt’s ja DHL. Oder beim nächsten Mal besser: Hermes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“