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Verschobene RichterwahlPatt zwischen Union und SPD

Die SPD steht zur nominierten Verfassungsrichterin Brosius-Gersdorf, in der Union fehlt die Mehrheit. Sie selbst hält einen Verzicht für möglich.

Ihren ersten öffentlichen Auftritt seit ihrer Nominierung wollte Brosius-Gersdorf nutzen, um die Debatte zu versachlichen Foto: Markus Hertrich/ZDF/dpa

Berlin taz | Morddrohungen, verdächtige Post, Gewaltvideos, bis hin zur Räumung des Lehrstuhls. Der Einblick, den die Potsdamer Professorin Frauke Brosius-Gersdorf am Dienstagabend in ihren derzeitigen Alltag gab, war abgründig. Diese Politisierung einer Verfassungsrichterwahl „hätte man sich in seinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können“, sagte Brosius-Gersdorf in der Sendung „Markus Lanz“. Es gehe dabei nicht allein um ihre Person, sondern auch um die Frage, was es mit dem Land und der Demokratie mache, wenn sich eine solche Kampagne durchsetze.

Die Staatsrechtlerin, die vom Richterwahlausschuss des Bundestags zusammen mit zwei weiteren Personen als Richterin für das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen wurde, ist zur Zielscheibe einer Hetzjagd geworden, die von selbsternannten Le­bens­schüt­ze­r:in­nen orchestriert wurde. Anlass ist Brosius-Gersdorfs Position zum Schwangerschaftsabbruch. Wer abtreibt, setzt sich nach aktueller Rechtsprechung grundsätzlich ins Unrecht, die Juristin befürwortet eine Legalisierung in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft. Wegen dieser Position ist sie für eine höhere zweistellige Zahl von Unionsabgeordneten nicht wählbar, sodass die Wahl der Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen am vergangenen Freitag auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.

Brosius-Gersdorf beantwortete bei Lanz erstmals öffentlich Fragen zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen, stellte falsche Behauptungen richtig, aber auch einen Verzicht auf ihre Kandidatur in Aussicht. Sobald drohe, dass das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts Schaden nehme, würde sie an ihrer Nominierung nicht festhalten. „Ich möchte auch nicht verantwortlich sein für eine Regierungskrise in diesem Land“, sagte sie.

In den Anfängen einer solchen steckt die schwarz-rote Koalition bereits. Obwohl Kanzler Friedrich Merz im ARD-Sommerinterview die Bedeutung des Falls heruntergespielt hatte – das sei kein Beinbruch, auch keine Krise –, herrscht zwischen Union und SPD ein Patt. Der Geschäftsführende Fraktionsvorstand der Union traf sich am Dienstag. Beobachter sehen weiterhin keine Mehrheit für Brosius-Gersdorf und auch keine Chance auf eine solche. CSU-Chef Markus Söder forderte Brosius-Gersdorf zum Verzicht auf ihre Kandidatur auf, es „lag kein Segen drauf“. Durch die Blume sagte dies auch Bundesforschungsministerin Dorothee Bär.

„Rückzug würde der Demokratie schaden“

Die SPD stehe dagegen weiterhin „uneingeschränkt“ hinter Brosius-Gersdorf, so Fraktionsvorsitzender Matthias Miersch in einem am Mittwoch versandten Brief an die Fraktion. „Ihr gestriger Auftritt hat gezeigt, warum sie auch die Uni­ons­ver­tre­te­r:in­nen im Richterwahlausschuss überzeugt hat“, schreibt Miersch.

Brosius-Gersdorf sei eine herausragende Staatsrechtslehrerin und Wissenschaftlerin, die mit ihrem klugen, differenzierten Blick maßgeblich zu wichtigen verfassungsrechtlichen Diskussionen in unserem Land beitrage, erklärte auch SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede gegenüber der taz. „Dabei vertritt sie ausgewogene Positionen. Genau das ist die Aufgabe unabhängiger und verantwortungsvoller wissenschaftlicher Arbeit und qualifiziert sie auch für die wichtige Arbeit am Bundesverfassungsgericht“, so Eichwede, die selbst Richterin ist.

Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, Maria Noichl, sagte zur taz, die SPD müsse „ohne Wenn und Aber“ an Brosius-Gersdorf festhalten. Ein Rückzug von Frau Brosius-Gersdorf würde nur der Demokratie schaden. „Faschisten, Teile der CDU/CSU und Hardliner-Christen würden ihren Rückzug als Erfolg im Netz und auf der Straße beklatschen. Wenn zu Unrecht beschmutze Menschen, um Schaden abzuwenden, Bewerbungen zurückziehen, wird dieses System Schule machen.“

Direktes Gespräch zwischen Union und Brosius-Gersdorf?

Immerhin sind sich Union und SPD einig, dass kein Zeitdruck herrsche. Hinter den Kulissen wird weiter um eine Lösung gerungen. Das Angebot der SPD und von Brosius-Gersdorf, sie persönlich einzuladen, hat die Union bislang nicht angenommen. Doch Miersch ist zuversichtlich: „Ich gehe davon aus, dass die Unionsführung jetzt den persönlichen Austausch mit Frau Prof. Dr. Brosius-Gersdorf suchen wird.“

Der von der Union am Freitag in letzter Sekunde ins Feld geführte und am selben Tag zurückgenommene Plagiatsvorwurf wird wohl keine entscheidende Rolle mehr spielen. Es geht um eine identische Textstelle in der Dissertation von Brosius-Gersdorf und der Habilitation ihres Mannes. In einem von Brosius-Gersdorf selbst in Auftrag gegebenen Kurzgutachten kommt die Kanzlei Quaas und Partner zu der Einschätzung, dass die Übereinstimmungen keinen Plagiatsvorwurf begründen. Wenn überhaupt hätte Herr Gersdorf wohl eher bei seiner Frau abgeschrieben, da dieser sein Manuskript später fertiggestellt hatte.

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13 Kommentare

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  • Cui bono?: AfD

    Berichte über das betr. Strategiepapier der AfD, verfasst von Beatrix von Storch, finde ich in meiner Suchmaschine in den Medien erst ab 11.07. ...



    So schreibt z.B. "Die Zeit" im Artikel:



    "Wie die AfD an die Macht kommen will



    Einen Kulturkampf mit der Linken entfesseln und Schwarz-Rot spalten: Die AfD skizziert in einem Strategiepapier, wie sie den Weg ins Kanzleramt ebnen will."



    Kontext: (Zitat :) "... sollen neue Wählergruppen erschlossen werden: ... kirchennahe Christen ..."

    Wer hat da nicht aufgepasst? Es waren gewiss nicht wenige aus sehr unterschiedlichen Gruppen.

  • Das war’s dann mit der so genannten Brandmauer. Zum Gruseln. Die Union bräuchte jetzt ja eine Brandmauer gegenüber ihren christlich – braunen Fundamentalisten in ihrer eigenen Fraktion. Der SPD bleibt wohl nichts anderes als mitzuspielen und sich endgültig zu marginalisieren, oder die Koalition zu platzen zu lassen.

    Und dann? Neuwahlen mit womöglich über 1/3 AfD-Abgeordneten? Oder erklärt uns Kanzler Merz dann wieder, dass es ihm egal ist, von wem die Stimmen kommen, wenn es in der „Sache“ richtig ist? 1933 lässt grüßen…

    Ich weiß, klingt überspitzt, aber mir ist nicht klar, wie dieser Vorgang noch zurück geholt werden kann.

  • Der "Fall Brosius-Gersdorf" illustriert m. E. nahezu idealtypisch das Problem unserer Zeit: Den Unwillen großer Teile der Bevölkerung differenziert und reflektiert zu denken und der politischen Instrumentalisierung desselben.



    Systemkritische Dämme sind inzwischen gebrochen: Das BVG als Spielball der Rechtsaussen: Polemisch (a)sozialmedialer Pass ins (erz[bischöflich]konservative) Pseudomittelfeld und... Tor.



    Demokraten: 0 Destroiker: 1



    Handbuch Autokratie: Verfassungsgerichte diskreditieren, dann demontieren, siehe (z. B.!) Ungarn.

    But Gemarmoney?

    Die in meiner Wahrnehmung zunehmend fehlende Unterscheidungsfähigkeit zwischen persönlicher Sichtweise oder Meinung und wissenschaftlicher Diskussion verschiedener Perspektiven auf einen Normenkatalog wie das Grundgesetz, sind besorgniserregend.

    Die Meinungen der Verfassungsrichtenden sind mir wurscht, solange sie zumindest versuchen, diese in Bezug zu ihrem Job zu reflektieren und sich deren Einfluss bewusst sind.

  • Regierungskrise - ist das eventuell der Plan?

    • @Alex59:

      Mit dem Ziel, Spahn als Kanzler von Gnaden der AfD zu installieren? Leider vorstellbar bei der verbreiteten Geschichtsvergessenheit innerhalb der Union.

  • Es ist so sicher wie (früher mal) das Amen in der Kirche, dass die Einknickerpartei spd einknicken wird.



    Es ist zum Mäuse melken.

  • Es gibt keinen einzigen Grund, warum sie nicht gewählt werden sollte. Wer hier was einsehen muss, sind die Hardliner in der CSU/CDU.

    • @Pico :

      Es gibt sogar ein sehr gewichtigen Grund wieso sie vielleicht nicht gewählt wird. Alle Abgeordneten, auch der Union sind vollkommen frei in ihren Entscheidungen. Genauso wie die Richterschaft völlig frei in ihren Entscheidungen ist. Das ist auch gut so, und zeichnet einen demokratischen Staat aus.

      • @Martin Sauer:

        "Frei" sind auch die Linken, sowohl in der SPD, den Linken, bei den Grünen in ihrer Entscheidung. Man kann einen konservativen Kandidaten wählen, muss man aber nicht. "Sowie Du mir, so ich Dir"

      • @Martin Sauer:

        „Genauso wie die Richterschaft völlig frei in ihren Entscheidungen ist." - Gott bewahre.



        Sie soll Urteile sprechen. Nach codifiziertem Recht.

      • @Martin Sauer:

        Die freie Gewissensentscheidung entdecken Unionsabgeordnete aber recht selten und dann meist zum falschen Zeitpunkt. Bei der Abstimmung zusammen mit der AfD herrschte bei den meisten offenbar die übliche Gewissenlosigkeit vor.

      • @Martin Sauer:

        Man wünschte sich trotzdem, dass diese Abgeordneten der Union ein bißchen unempfänglicher für religiöse und rechte Hetze wären, ein bißchen mehr recherchierten, bevor sie losblöken, einen besseren Fraktionsvorsitzenden hätten und ein bißchen mehr auf ihren eigenen Richter*innen-Wahlausschuss hören würden.

        Ich erwarte von Abgeordneten mehr Bildung, mehr Seriosität, mehr Abwägung und mehr Verantwortung. Vor allem von solchen in einer "christlichen" Partei.

  • „ ,Wenn zu Unrecht beschmutz[t]e Menschen, um Schaden abzuwenden, Bewerbungen zurückziehen, wird dieses System Schule machen.' "



    Medien-Hetzkampagnen sind nicht neu. Eine Dessertation zu Erfolgen und Misserfolgen wäre interessant.