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Versagen der ErmittlungsbehördenDer Schaden ist enorm

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Eine unschuldige Frau wurde monatelang ihrer Freiheit und ihres Kindes beraubt. Das ist ein Skandal, der durch nichts zu entschädigen sein wird.

Glücksfall: Die engagierten Verteidigerinnen verhinderten einen vollständigen Justizskandal Foto: Ulrich Perrey/dpa

W enn Gabriela Martínez* am Montag vom Landgericht freigesprochen wird – und alles andere ist nicht vorstellbar –, ist die Hamburger Justiz knapp an einem großen Skandal vorbeigeschlittert. Der entstandene Schaden ist dann trotzdem enorm: Eine unschuldige Frau wurde über Monate ihrer Freiheit und ihres Säuglings beraubt. Während sie sieben Monate lang in Untersuchungshaft saß, wurde ihr Baby durch verschiedene Pflegeeinrichtungen gereicht.

Das Kind bei der Mutter in der Haftanstalt unterzubringen, war der Gefängnisleitung offenbar zu aufwendig. Sie ließ die Mutter-Kind-Zellen lieber leer stehen, als Martínez mit ihrem Baby dort einzuquartieren. Das ist ein Skandal für sich.

Das Fiasko einer falschen Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wurde nur durch das Engagement der Verteidigerinnen abgewendet. Sie stellten auf eigene Faust Ermittlungen an, machten Zeu­g*in­nen ausfindig, die das Gericht nicht vorgesehen hatte, und gaben ein Gutachten in Auftrag, das die Staatsanwaltschaft selbst hätte beauftragen müssen. Polizei und Staatsanwaltschaft haben versagt.

Für Martínez war es Glück im Unglück, an so engagierte Verteidigerinnen zu geraten – einerseits. Andererseits ist eine Mordanklage natürlich keine Sache von Glück oder Unglück. Martínez ist eine schwarze Frau, die zum Zeitpunkt der Ermittlungen keinen Aufenthaltstitel – und entsprechend keine Arbeitserlaubnis hatte. Die Wohnung des späteren Mordopfers Ignacio López betrat sie, um sich als Haushaltshilfe zu bewerben. So gelangte mutmaßlich ihre DNA an den späteren Tatort.

Dass es eine illegalisierte Migrantin traf, hat strukturelle Gründe

Sie war also nicht zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort, sondern aus strukturellen Gründen: weil sie als schwarze, illegalisierte Migrantin keinen Zugang zum legalen Arbeitsmarkt hatte. Dass López* von seiner früheren Haushaltshilfe verlangt hatte, mit ihm Sex zu haben, wurde im Prozess nur am Rande thematisiert. Immerhin das blieb Martínez erspart.

Ihr die falsche Anklage und ihrem Sohn das Trauma der Trennung von seiner Mutter zu ersparen, wäre Aufgabe der Justiz gewesen. Es wird durch nichts zu entschädigen sein.

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Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Auch das ist typisch für Deutschland 2023. Ekelhafte Amtsschimmeligkeit ohne Verantwortung. Manchmal denke ich, Deutschland ist tot und weiß es nur noch nicht.

  • Die taz erwähnt trotz des entsprechenden Leserhinweises unter einem vorhergegangenen taz-Artikel nicht, dass es in England - im Gegensatz zu Deutschland - einen NGO gibt, der sich für die Rechte von Kleinkindern einsetzt, deren Mütter sich in Haft befinden. Das dürfte weltweit vorbildlich sein.

    Der NGO centre for womens's justice zitiert eine Studie, der zufolge 75 Urteile in England die Menschen- und Kinderrechte von Mutter und Kind nicht genügend beachten. Dieser Bereich ist gänzlich unerforscht, weil entsprechende Daten fehlen. Alles deutet auf einen strukturellen Missstand hin.



    Genauso ist es in Deutschland, was die unterschiedlichen Regelungen in den Gefängnissen der einzelnen Bundesländer erklärt.



    In dem Hamburger Fall könnten aufgrund der Trennung von Mutter und Baby lebenslange psychologische und körperliche Schäden entstanden sein, oder noch entstehen.

    Die Hamburger Justizsenatorin Galina sollte sich zu dem vom center of women's justice beschriebenen Missstand erklären, da die verantwortliche Richterin keine Kritik an der Hamburger Justizbehörde übte.

    Vielleicht findet sich in Deutschland ein NGO, der die Hamburger Justizbehörde verklagt, weil in dem Hamburger Fall elementare Kinder- und Menschenrechte gebrochen worden sein könnten.



    Der strukturelle Missstand mit den mangelhaften Rechten von Kleinkindern, deren Mütter in Haft geraten, erinnert an die Missstände mit Pflegekindern in den sechziger Jahren.

    howardleague.org/w...04/HLWP_3_2014.pdf

    www.centreforwomen.../mothers-in-prison

    All das weist auf den Bedarf einer Justizreform hin.

    Findet sich in Deutschland kein NGO, der die Hamburger Justizbehörde in dem Fall verklagt, weil elementare Kinder- und Menschenrechte gebrochen wurden?



    Warum hat sich Justizsenatorin Galina als verantwortliche Ministerin nicht eingeschaltet und dafür gesorgt, dass eben diese Rechte eingehalten werden?

  • Entschädigen ?

    Das ist ja wohl das falsche Stichwort.

    Sühne - das passt bessser.

    Buße ebenso.

    D.H. die Schuldigen müssen Büßen.



    Und Sühne kann es hier nur durch Strafe geben.

    Gebe Gott, dass unser Rechtssystem hier nicht versagt.

  • "weil sie als schwarze, illegalisierte Migrantin keinen Zugang zum legalen Arbeitsmarkt hatte."

    Hätte Sie denn als weiße, illigalisierte Migrantin Zugang zum legalen Arbeitsmarkt, oder warum wird im Artikel betont, daß sie schwarz ist?

    • @Jörg Radestock:

      Weil es auch hier in Deutschland rassistische Vorurteile auch gegen schwarze gibt; was Sie mit ziemlicher Sicherheit selbst wissen..

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    An "einem Skandal vorbeigeschrammt"?



    Das ist ein Skandal.



    Und zwar ein großer.



    Für das Gericht und die entscheidenden Richter, die Anträge auf Zusammenführung von Mutter und Kind ablehnten.



    Für die JVA und ihre Leitung, der es offensichtlich zu mühselig ist, sich an Menschenrechte zu halten.



    Für die (Grüne!) Justizsenatorin, die in der Gesamtverantwortung steht und bisher offensichtlich Ohrstöpsel trägt.



    Und für "die Politik", die solche Zustände offenbar Achselzuckend (passiert halt mal) akzeptiert.

    • @655170 (Profil gelöscht):

      spätestens mit dem überfälligen Freispruch gehört dieser ganze Skandal dsnn auf allen Ebenenen und in allem Facetten aufgeklärt.



      Und es muss auch auf allen Ebenen dann organisatorische und juristische Konsequenzen geben.