Versagen der Ermittlungsbehörden: Der Schaden ist enorm
Eine unschuldige Frau wurde monatelang ihrer Freiheit und ihres Kindes beraubt. Das ist ein Skandal, der durch nichts zu entschädigen sein wird.

W enn Gabriela Martínez* am Montag vom Landgericht freigesprochen wird – und alles andere ist nicht vorstellbar –, ist die Hamburger Justiz knapp an einem großen Skandal vorbeigeschlittert. Der entstandene Schaden ist dann trotzdem enorm: Eine unschuldige Frau wurde über Monate ihrer Freiheit und ihres Säuglings beraubt. Während sie sieben Monate lang in Untersuchungshaft saß, wurde ihr Baby durch verschiedene Pflegeeinrichtungen gereicht.
Das Kind bei der Mutter in der Haftanstalt unterzubringen, war der Gefängnisleitung offenbar zu aufwendig. Sie ließ die Mutter-Kind-Zellen lieber leer stehen, als Martínez mit ihrem Baby dort einzuquartieren. Das ist ein Skandal für sich.
Das Fiasko einer falschen Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wurde nur durch das Engagement der Verteidigerinnen abgewendet. Sie stellten auf eigene Faust Ermittlungen an, machten Zeug*innen ausfindig, die das Gericht nicht vorgesehen hatte, und gaben ein Gutachten in Auftrag, das die Staatsanwaltschaft selbst hätte beauftragen müssen. Polizei und Staatsanwaltschaft haben versagt.
Für Martínez war es Glück im Unglück, an so engagierte Verteidigerinnen zu geraten – einerseits. Andererseits ist eine Mordanklage natürlich keine Sache von Glück oder Unglück. Martínez ist eine schwarze Frau, die zum Zeitpunkt der Ermittlungen keinen Aufenthaltstitel – und entsprechend keine Arbeitserlaubnis hatte. Die Wohnung des späteren Mordopfers Ignacio López betrat sie, um sich als Haushaltshilfe zu bewerben. So gelangte mutmaßlich ihre DNA an den späteren Tatort.
Dass es eine illegalisierte Migrantin traf, hat strukturelle Gründe
Sie war also nicht zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort, sondern aus strukturellen Gründen: weil sie als schwarze, illegalisierte Migrantin keinen Zugang zum legalen Arbeitsmarkt hatte. Dass López* von seiner früheren Haushaltshilfe verlangt hatte, mit ihm Sex zu haben, wurde im Prozess nur am Rande thematisiert. Immerhin das blieb Martínez erspart.
Ihr die falsche Anklage und ihrem Sohn das Trauma der Trennung von seiner Mutter zu ersparen, wäre Aufgabe der Justiz gewesen. Es wird durch nichts zu entschädigen sein.
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