Verletzte bei Stuttgart-21-Protesten: Schmerzensgeld, aber keine Reue
Ba-Wü will die Opfer des Schwarzen Donnerstags entschädigen, bleibt aber uneinsichtig: Das Land hält an der Mitschuld der Betroffenen fest.
Die Summen sind verglichen mit anderen Fällen durchaus angemessen. Doch das Angebot, das der Anwalt des Landes im Auftrag des Polizeipräsidiums Stuttgart vorlegte, hat einen unversöhnlichen Unterton. Die 120.000 Euro für Dietrich Wagner bleiben um 5.000 Euro hinter Forderungen seines Anwalts zurück, auch eine lebenslange Rente will das Land dem Rentner nicht gewähren. Die Begründung lautet, man gehe weiter davon aus, dass die Opfer eine Mitschuld tragen.
Das ist überraschend, denn das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte im November vergangenen Jahres festgestellt, die Demonstration gegen das Abholzen der Parkbäume für das umstrittene Projekt Stuttgart 21 sei von der Versammlungsfreiheit gedeckt gewesen. Platzverweise konnte die Polizei also nur bei rechtswidrigem Verhalten der Demonstranten aussprechen. „Der Vorsitzende Richter hat damals gesagt, es sei ihm schleierhaft, wie man von einer Mitschuld der Opfer ausgehen kann“, erinnert sich Anwalt Mann.
Woher kommt also plötzlich wieder der Begriff Mitschuld? Grund dafür könnte sein, spekuliert der Anwalt, dass das federführende Innenministerium nun wieder von der CDU geführt ist, der ein Schuldeingeständnis zum Schwarzen Donnerstag besonders schwer falle. Immerhin war der Protest gegen Stuttgart 21 ein Grund, weshalb die CDU unter Stephan Mappus damals abgewählt wurde.
Doch das Haus von Vizeministerpräsident Thomas Strobl weist die Verantwortung zurück. Die außergerichtliche Einigung zwischen der Polizei und den Opfern des Einsatzes sei vom Ministerpräsidenten initiiert worden, heißt es dort, man sei nicht verantwortlich. Das konkrete Angebot auf Schadensersatz sei vom Polizeipräsidium abgegeben worden. Winfried Kretschmann sagte am Dienstag, er freue sich, dass der Entschädigungsprozess nun in Gang komme. Für die Einzelheiten sei jedoch das Polizeipräsidium zuständig. Dort verweist man zurück ans Innenministerium.
Für das Land Baden-Württemberg ist die Formulierung peinlich, denn es wirkt selbst nach einem klaren Urteil und der Entschuldigung des Ministerpräsidenten („Wir können die Ereignisse nicht ungeschehen machen, wir können uns nur aufrichtig und ernsthaft entschuldigen“) uneinsichtig. Dietrich Wagner spricht von „einer weiteren Finte“ des Landes. Der pensionierte Ingenieur hatte immer betont, dass es ihm weniger um die Summe an Schmerzensgeld gehe, sondern darum, dass anerkannt wird, dass er Opfer eines rechtswidrigen Polizeieinsatzes wurde.
Jetzt sagt Wagner, er nehme diese erneute Schuldzuweisung des Landes gleichmütig hin. Er muss nun überlegen, ob er auf das Angebot eingeht. Die Summe klänge zwar nach viel Geld, sagt der 71-Jährige. Doch für eine kleine blindengerechte Wohnung, die ihm das Leben leichter machen würde, reichen die 120.000 Euro in Stuttgart ohnehin nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen